Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,222

Offenbach am 8 Mai 1824.

Theurer Freund,

Die 3te Aufführung der Jessonda wollte ich abwarten, um Ihnen von dem Erfolg meiner Bemühungen bei Guhr Nachricht zu ertheilen. Einige Unpäßlichkeiten verhinderten bis jetzt die Aufführung, und ich mag nicht länger zögern, Ihnen Nachricht zu geben.
Das Honorar ist eingegangen; und ich habe Sie dafür mit f 198.40 gutgeschrieben. Mit Guhr sprach ich der Tempi wegen; er war erstaunt, glaubte die Tempi nothwendig schneller zu nehmen und nehmen zu müssen, als das Metronom sie bezeichnet; er citirte mir des Beispiels wegen den Chor: laßt uns Brama loben. Allein eben dieser Chor war das einzige Musikstück, daß er zu schnell nahm, und fast alles andere, besonders im 1. Akt zu langsam. Es zeigte sich indessen, daß er gar keinen Metronom besitzt, sondern das bekannte Gottfried Weber’sche Surrogat1 zur unrichtigen Anwendung brachte. Ich bat ihn daher zum Mittag Essen, und gieng die Oper mit ihm Stück für Stück durch. Nun war es possirlich, wie er mich überzeugen wollte, daß er die Tempi doch so genommen, wie sie der Metronom bezeichnet. Ich ließ mir seine Demonstrationen gern gefallen, überzeugt, daß ich meinen Zweck völlig erreicht hatte, und er bei der nächsten Aufführung die Tempi richtiger nehmen wird. Bei einigen Gläschen Champagner versprach er mir auch in die Hand, Zemire u Azor nächstens in Scene zu setzen, und ich glaube, die Rollen sind schon vertheilt.
Wie sehr wir uns Alle auf Ihre Ankunft freuen, vermag ich nicht zu sagen; dieses wird denke ich mir nun recht bald geschehen, vielleicht wohl noch in diesem Monath?
Schreiben Sie mir den Tag und die Route, ob Sie Ffurt passiren oder von Vilbel über die Schiffbrücke2 kommen; ich mache mich von allen Arbeiten möglichst loß, um nur dem Zusammenzusein zu leben. –
Auch aus dem Grunde mögte ich bald von dem Zeitpunkte Ihrer Reise unterrichtet sein, um dem Würzburger Violoncellisten3, der bis dahin wieder hier sein will, genaue Nachricht geben zu können.

Die herzl. Grüße den lieben Ihrigen
Ewig Ihr WmSpeyer.

Autor(en): Speyer, Wilhelm
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Guhr, Carl
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Jessonda
Spohr, Louis : Zemire und Azor
Erwähnte Orte: Frankfurt am Main
Vilbel
Erwähnte Institutionen: Stadttheater <Frankfurt am Main>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1824050832

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Speyer, 19.04.1824. Der nächste Brief dieser Korrespondenz ist Speyer an Spohr, 14.05.1824.

[1] Vgl. Gottfried Weber, „Ueber meine chronometrische Tempobezeichnung (wörtlich: zeitmessende Zeitbezeichnung), welche ohne Chronometermaschine (Zeit- oder Tactmesser) überall verstanden und ausgeübt werden kann” , in: Allgemeiner Anzeiger der Deutschen (1815), S. 2545-2548. 

[2] Vgl. Felix von Fröhlichsheim, Katzensprung von Frankfurt a.M. nach München, Leipzig 1821, S. 31

[3] Noch nicht ermittelt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (20.02.2016).