Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,220
Druck 1: Edward Speyer, Wilhelm Speyer der Liederkomponist 1790-1878. Sein Leben und Verkehr mit seinen Zeitgenossen dargestellt von seinem jüngsten Sohne, München 1925, S. 75f. (teilweise)
Druck 2: Till Gerrit Waidelich, „Die Beziehungen zwischen Carl Maria von Weber und Louis Spohr im Spiegel ihrer Korrespondenz“, in: Weberiana 24 (2014), .S. 117-144, hier S. 136 (teilweise)

Offenbach am 6 April 1824.
 
Theurer Freund!
 
Triumph! Jessonda ist gestern mit großem Beifall aufgenommen worden. Mehrere ungünstige Umstände ließen mich an dem Erfolg zweifeln, und ich bereitete mich zum Dulden, überzeugt, daß den Sieg solches Lied kröne. – Die Bamberger welche die Rolle mit großer Liebe einstudirt hatte, verletzte sich den Kehlkopf an den letzten 3 gestrichenen c von Euryanthe, und mußte mehrere Tage das Zimmer hüten.
Sogleich bekam die Schulz (eine Doublette) die Rolle, und über Hals und Kopf, ohne die vorübergehende Unpäßlichkeit der B. abzuwarten wurde die Oper gegeben. Im übrigen wurde die Oper sehr gut gegeben. Die Ausstattung ist ganz neu, Decorationen und Garderobe prächtig und dem Charakter des Stücks treu. Die Schulz verdarb nichts, sondern war in manchen Sätzen wahrhaft ausgezeichnet, Nieser als Nadori vortrefflich, die Rotthammer als Amazilly, Dobler und Größer brav. Die Chöre gingen gut und das Orchester mit gewohnter Präzision. Manche Tempi wurden vergriffen. – Schon die Ouverture wurde sehr lebhaft beklatscht, ebenso Nadoris Arie in E, die beiden Duette, die letzte Arie der Jessonda u.s.w. –1 Die Anerkennung ist allgemein und ich zweifle nicht, daß die Oper gleich Faust ein Liebling des hiesigen Publikums werden wird. Über den Eindruck, welchen sie auf mich macht, lassen Sie mich mündlich sprechen und erlauben Sie mir einstweilen nur, zu bemerken, daß der 3te A[kt eini]ge Lichtpunkte in den beiden ersten abgerechnet) bei weitem der vorzüglichere ist und für sich allein schon als ein Kunstwerk erster Größe besteht.
Sie überraschen uns auf unangenehme Weise durch den Widerruf Ihrer Hieherreise, indessen ehre und billige ich Ihre Gründe, und es war mir in gewissem Sinn lieb. – Nun aber halte ich fest an Ihr Wort mich auf 8 Tage zu besuchen und ich bitte Sie mir sogleich umgehend zu sagen, wann dieses geschehen wird. Daß Sie bei mir wohnen, versteht sich von selbst. – Allein es2 ist mir nöthig, die Zeit genau zu wissen, um Guhr, wegen Aufführung Ihrer Oper zu benachrichtigen. Wir freuen uns unendlich, und es würde mich sehr verletzt fühlen, wenn diese Lust vereitelt werden sollte.
Molique läßt Sie herzlich grüßen. – Dieser Wüthrich hat Ihr neues Solo Quartett (wie er sagt) bei mir vom Blatt gespielt, daß er mich in die größte Bewunderung versetzt. Sagen Sie mir, ob er es bei Ihnen nicht schon gespielt hat, denn es ist kaum glaublich. – Er bittet Sie um die Erlaubnis, das Andante in dem abschreiben zu dürfen; da er Freitag Konzert geben, nur einige Tage nachher reisen, so sagen Sie mir sogleich Ihre Meinung. Die herzl. Grüße an die lieben Ihrigen
 
Ihr treuer Freund
WmSp.



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Speyer, 18.03.1824. Spohr beantwortete diesen Brief am 08.04.1824.
 
[1] Eine mit geringen Einschränkungen fast gleichlautende Kritik in: „Frankfurter Volksbühne”, in: Didaskalia 11.04.1824, nicht paginiert. Andere Darstellungen widersprechen Speyers Darstellung. So heißt es etwa „Jessonda ist zum Mindesten im Allgemeinen mit Beifall aufgenommen worden, wenn auch dieser Beifall nicht immer allgemein war” („Aus Frankfurt a.M., im April”, in: Zeitung für die elegante Welt (1824), Sp. 839f., 848 und 856, hier Sp. 856) oder „Jessonda [...] wollte nicht sonderlich ansprechen” („Frankfurt a.M., im Mai 1824”, in: Abend-Zeitung (1824), S. 660 und 664, hier S. 660. Eine ebenfalls reservierte Haltung zeigt der Berichterstatter in der Frankfurter Iris; auf die Premiere weist er nur kurz hin (vgl. „Chronik der Frankfurter National-Bühne”, in: Iris (1824), S. 130) und bespricht die Oper erst im Zusammenhang mit den späteren Aufführungen (vgl. dass., in: ebd., S. 137f., hier S. 138; dass., in: ebd., S. 169f. hier S. 170; dass., in: ebd., S. 208ff., hier S. 209; dass., in: ebd., S. 373f., hier S. 374).
 
[2] [Ergänzung 02.05.2022:] „es“ über der Zeile eingefügt.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (19.02.2016).

Offenbach, 6. April 1824.
 
Triumph! ,Jessonda’ ist gestern mit großem Beifall aufgenommen worden ... im übrigen wurde sie sehr gut gegeben. Die Ausstattung ist ganz neu, Dekorationen und Garderobe prächtig und dem Charakter des Stücks treu ... Die Chöre gingen gut und das Orchester mit gewohnter Präzision. Schon die Ouvertüre wurde sehr lebhaft beklatscht ... Die Anerkennung ist allgemein und ich zweifle nicht, daß die Oper gleich ,Faust’ ein Liebling des hiesigen Publikums werden wird. Über den Eindruck, welchen sie auf mich macht, lassen Sie mich mündlich sprechen und erlauben Sie mir einstweilen nur, zu bemerken, daß der dritte Akt (einige Lichtpunkte in den beiden ersten abgerechnet), bei weitem der vorzüglichere ist und für sich allein schon als ein Kunstwerk erster Größe besteht ...