Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Inhaltsangabe: Louis Spohr, Lebenserinnerungen, hrsg. v. Folker Göthel, Tutzing 1968, Bd. 1, S. 338, Anm. 70

An des Churfürstlich
Hessischen Capellmeisters
Herrn Spohr
Wohlgeboren
zu
Cassel1


Mein hochverehrter Freund!

Zeiten und Meilen haben uns von einander gedrängt und getrennt, daß ich aber, in welchem Winkel der Erde ich auch sey, Sie und Ihre Spur immer aufsuche und verfolge, daß müßen Sie mir bei meinem stets für Sie und Ihre liebe Gattin und Kinder – ich bitte Sie mich angelegentlichst zu empfehlen! – anhänglich treuen Gemüth, und endlich bei meinem Kunstsinn gern glauben. Ihre Berühmtheit macht Ihr Auffinden nicht schwer und so lese ich in allen Blättern viel und gern wenn nun von Spohr die Rede, und daß ist es jetzt neuerdings seit Jessonda ins Leben getreten ist, wieder recht viel. Leider kenne ich Sie noch nicht, jetzt aber bald darauf.
Mit Ihren Instr. composition, bin ich vor wenig Jahren in Carolath sehr bekannt worden. ich habe dem Fürst in seiner kleinen Kapelle die der Mus. Director Uber jezt2 leitet einen exellenten violinisten in der Person des H. Listner3 – er hat Sie glaube ich in Breslau mit violoncell begleitet – engagirt und der spielt alle Ihre compositionen sehr nett und rein, so daß wir Sie, und Bethoven und Onsloff täglich spielten, aber auch fast für alles andere verdorben waren. –
Auf der Clarinette bin ich, wunderbaar genug und trotz dem daß ich bald aus den vierzigen heraustrete auch immer vorwärts gegangen, und ich glaube Sie würden das nicht unangenehm vermerken, wenn Sie mich hörten. Seit fast einem Jahre lebe ich in Dresden, wo mir wohl die Natur, aber die Menschen nicht sonderlich gefallen. Sie sind nicht sicher daß ich einmahl nach Cassel komme und wenn ich irgend einen appui4 finde, und bleibe. Cassel liegt so reizend wie Dresden hat aber ein besseres Clima.
H. Töpler schickt mir den einliegenden Brief5 und bittet mich ihn mit Anbitte an Sie zu begleiten. Dies thue ich denn nun soweit und kann Ihnen über sein Talent sagen, daß er (Töpler) recht viel hat, Ihre compositionen zum Theil ganz hübsch spielt, auch auf dem Forte-piano und in der composition nicht fremd ist. Dabey ist er ein guter, artiger, junger Mann, der in Breslau studirt hat, aber glaube ich ohne alle baaren Mittel sich befindet. Entscheiden Sie nun Sie nun entweder an mich, oder direct an Töpler nach Borkau b. Glogau.
Euryanthe wird in Wien nicht mehr gegeb. ich habe Kalkbrenner & Dizi hier zu hören die Freude gehabt6 – ich spiele jetzt viel von Ivan Müller, er kennt das Instrument sehr gut. Hermstädt habe ich lange nicht mehr getroffen. Hier ist jetzt Cotta7 wohl der beste Clarinettist. Wir wollen eine concertante in der Harmonie spielen. –
die Ihrige habe ich mit Listner in Carolath gespielt; sie machte mich viel Freude den Sie ist ein herrliches Werk.
ich mache wenig ensemble Musik hier, denn ich bin zu stolz Musik und Künstler zu bezahlen und zu discret ihre Zeit nun frey in Anspruch zu nehmen, da sie der Arbeit soviel haben.
die hiesige Instr. Musik ist gut aber die vocal-Musik will so wenig sagen, daß ich den ganzen Winter einmahl nur in der Oper war, und es bereute.
Bei Mad. Hauptmann höre ich manchmal gute Musik. Empfehlen Sie mich doch ihrem Sohn in Cassel unbekannterweise.
Mi sembra bastanza!8 ---
leben Sie wohl! ich gedenke Ihnen in der ungeschminktesten Hochachtung und bitte Sie mir Ihre Andenken zu schenken für die herzliche Freundschaft die ich Ihnen lebenslang weihe!

Reibnitz
Sächsisch Herzoglicher Cammerh.
Dresden
d. 16. Märtz 1824

Frauengasse
n: 374.

Autor(en): Reibnitz, Ludwig von
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Beethoven, Ludwig van
Dizi, François Joseph
Hauptmann, Louise
Hauptmann, Moritz
Hermstedt, Johann Simon
Kalkbrenner, Friedrich
Kotte, Johann
Lüstner, Peter
Onslow, George
Toepler, Joseph
Uber, Alexander
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Borkau bei Groß-Glogau
Carolath
Dresden
Kassel
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1824031647

Spohr



Der letzte erschlossene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Reibnitz, zweite Hälfte Februar 1815. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Reibnitz, 16.05.1843.

[1] Auf dem Adressfeld befindet sich links oben ein stark verwischter Briefstempel „DRESDEN / 17 [???]“.

[2] „jetzt“ über der Zeile eingefügt.

[3] Peter Lüstner.

[4]Appui, fr. (spr. Apwih) Der Stützpunct, die Stütze, Lehne“ (Friedrich Erdmann Petri, Gedrängtes Deutschungs-Wörterbuch der unsre Schrift- und Umgangs-Sprache, selten oder öfter entstellenden fremden Ausdrücke, zu deren Verstehn und Vermeiden, 3. Aufl., Dresden 1817, S. 39).

[5] Joseph Toepler an Spohr, 07.03.1824.

[6] Friedrich Kalkbrenner und François Joseph Dizi waren 1823-1824 gemeinsam auf einer Konzertreise durch Deutschland („Vermischtes“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 25 (1823), Sp. 616f., hier Sp. 617).

[7] Johann Kotte.

[8] „Mi sembra bastanza“ (it.) = „Das scheint genug zu sein“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (26.06.2024).