Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,54
Druck 1: Eduard Speyer, Wilhelm Speyer der Liederkomponist 1790-1878. Sein Leben und Verkehr dargestellt von seinem jüngsten Sohne, München 1925, S. 70f. (teilweise)
Druck 2: Till Gerrit Waidelich, „Die Beziehungen zwischen Carl Maria von Weber und Louis Spohr im Spiegel ihrer Korrespondenz“, in: Weberiana 24 (2014), S. 117-144, hier S. 132 (teilweise)

Herrn
Herrn Wilhelm Speyer
Wohlgeb.
in
Offenbach a/m
 
 
Cassel den 6ten Januar
24.
 
Geliebter Freund!
 
Empfangen Sie unser aller herzlichsten Glückwunsch zur Vermehrung Ihrer Familie.1 Wir freuen uns mit Ihnen über das Wohlbefinden der Mutter und des Kindes und nehmen überhaupt den innigsten Anteil an diesem Zuwachs Ihres Familienglücks. Der Himmel erhalte Ihnen alle die Ihrigen ferner gesund.
Wir haben das neue Jahr ebenfalls gesund und froh angetreten und leben in unserer neuen Besitzung überhaupt recht sorgenfrey und zufrieden; unsere Musik wird immer besser und wird sich bald zu den besten zählen können. Besonders werden in unsern dießjährigen großen Konzerten im Theater die Sinfonien fast vollendet ausgeführt und erregen so beim Publikum die wärmste Theilnahme. Ebenso ist ein reger Wetteifer unter unsern Solospielern, die mitunter höchst vorzügliches geben.
Einen Quartettzirkel habe ich im Verein von zwey gebildeten, kunstliebenden Familien gestiftet, in welchem von mir, Wiele, meinem Bruder und Hasemann auch diese Gattung von Musik in möglichster Vollkommenheit gegeben wird. Nach der Musik bleiben wir bis 11-12 Uhr zusammen und unterhalten uns nur über Kunstgegenstände. Auf solche Weise haben wir auch in das neue Jahr hineinmusiziert.
In einem der Winterconcerte2 spielte ich einen neuen Potpourri über Themen aus Jessonda, der so viel Beyfall fand, daß ich dadurch veranlaßt wurde, noch einen 2ten ebenfalls über Themen aus Jessonda für Violine und Violoncell zu komponiren, den ich übermorgen mit Hasemann vortragen werde. Dieser hat hier wieder Fortschritte gemacht und spielt wirklich jetzt meisterhaft. Außer diesen Potpourris habe ich ein neues Soloquartett für Violine geschrieben und bereits mehreremale gespielt.
Ihre launigen und witzigen Bemerkungen über Euryanthe habe ich mit großem Interesse gelesen. Wir werden binnen kurzem auch die Partitur erhalten, und ich bin recht neugierig zu sehen, was an der Musik ist. Haben Sie wohl im Wiener Modejournal die Beurteilung der Oper3 und später die Re[chtfer]tigung der Dichterin über die ihr ge[machten] Ausstellungen und die bey dieser Gelegenheit an Weber ausgeteilten Hiebe4 gelesen?
Wo nicht, so suchen Sie es doch in einem Lesezimmer in Frankf. auf. Es ist sehr interessant.
In nächster Woche gebe ich mit meinem Mädchen4 ein Concert in Göttingen. Es geschieht dieß hauptsächlich, um sie an das öffentliche Auftreten zu gewöhnen und ihr Muth zu machen. Stimme und Geläufigkeit werden immer besser, auch hat sie vollkommen reine und feste Intonation, aber Seele fehlt noch.
Erfreuen Sie mich bald mit einem neuen Br. Unverändert
 
stets Ihr L. Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Speyer an Spohr, 07.12.1823. Spohrs Glückwunsch in diesem Brief zur Geburt eines Kinds von Speyer könnte jedoch ein Hinweis sein, dass Speyer ihm zuvor in einem verschollenen Brief diese Geburt angezeigt hat. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Speyer, 02.02.1824.
 
[1] Hier Anmerkung mit Bleistift vermutlich von Edward Speyer: „Anna Speyer”.
 
[2] Vgl. „Cassel, im März”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 26 (1824), Sp. 225ff., hier Sp. 227
 
[3] „Oper”, in: Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode (1823), S. 1002ff. und 1109-1112. 
 
[4] Helmina von Chezy, „Erster Entwurf eines Scenariums der Euryanthe, Operndichtung für Carl Maria von Weber” und „Berichtigung dieses vorhergehenden Scenariums durch den Compositeur”, in: ebd., S. 1128ff.; dies., „Euryanthe (Schluß)”, in: ebd., S. 1137-1144. 
 
[4] Seine Tochter Emilie, später verheiratete Zahn.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (18.02.2016).

Cassel, 6. Januar 1824.
 
... Wir haben das neue Jahr ebenfalls gesund und froh angetreten und leben in unserer neuen Besitzung überhaupt recht sorgenfrei und zufrieden: unsere Musik wird immer besser und wird sich bald zu den besten zählen können. Besonders werden in unsern diesjährigen großen Konzerten im Theater die Sinfonien fast vollendet ausgeführt und erregen so beim Publikum die wärmste Teilnahme. Ebenso ist ein reger Wetteifer unter unsern Solospielern, die mitunter höchst Vorzügliches geben. Einen Quartettzirkel habe ich im Verein von zwei gebildeten kunstliebenden Familien gestiftet, in welchem auch diese Gattung von Musik in möglichster Vollkommenheit gegeben wird. Nach der Musik bleiben wir bis elf oder zwölf Uhr zusammen und unterhalten uns nur über Kunstgegenstände. Auf solche Weise haben wir auch in das neue Jahr hineinmusiziert ...
Ihre launigen und witzigen Bemerkungen über ,Euryanthe’ habe ich mit großem Interesse gelesen. Wir werden binnen kurzem auch die Partitur erhalten, und ich bin recht neugierig zu sehen, was an der Musik ist. Haben Sie wohl im ,Wiener Mode-Journal’ die Beurteilung der Oper und später die Rechtfertigung der Dichterin über die ihr gemachten Ausstellungen und die bei dieser Gelegenheit an Weber ausgeteilten Hiebe gelesen? ...