Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

An
den kurhessischen Hofkapellmeister, Herrn L. Spohr
Wohlgeboren
in
Cassel.

franco.

zur1 Post.


Königsberg in Preussen d. 12ten December 1823.

Ew. Wohlgeboren werden aus dem Datum dieses Briefes ersehen, daß der Schreiber desselben in einer Stadt lebt, die in der musikalischen Welt nicht gerade zu den berühmtesten gehört. Nichts desto weniger lebt hier ein kleines Häufchen(?), dem die Musik die schönste Gabe des Himmels däucht, und welches mit großem Interesse Theil nimmt an allen Erzeugnissen der verdienten meister aller Nationen.
Daß Ew. Wohlgeboren nun unter den deutschen meistern einen der ersten Plätze einnehme, bezweifelt hier Niemand mehr, doch ist es kürzlich den hiesigen Musikliebhabern so unwiderleglich von neuem bestätigt worden, daß Ew. Wohlgebohren Name hier stets mit der größten Achtung in Verehrung genannt wird.
Ein leidenschaftlicher Verehrer der Tonkunst, und selbst Sänger suche ich von allen bedeutenden Erzeugnißen berühmter Meister dadurch wenigstens ein Uebersicht zu erhalten, daß ich mir die Clavierauszüge ankaufe, u. so besitze ich auch die Clavierauszüge von drey Ihrer Opern, den Zweikampf mit der Geliebten, Zemire und Azor und Faust. Nach Alruna habe ich vielfältig aber immer vergebens gefragt, und ich muß daher glauben, daß kein Clavierauszug erschienen ist. Auf Jessonda bin ich auf das äußerste gespannt.
Unter den vielen Singanstalten hier, steht die des Königl. Musik-Direktors Riel am höchsten. Durch sie sind die schönsten Kunstsachen u. alle Oratorien berühmter deutscher Meister dem Publikum zu Gehör gebracht und Herr Musik-Direktor Riel zeichnet sich neben seinen großen praktischen Fertigkeiten als Musikdirektor, Vorsteher eines Singinstituts, Clavierspieler und Gesagslehrer, auch vorzüglich durch die liberale(?) Ansicht aus, daß er in der Musik nichts in verba magistri scheint, nicht einem Götzen huldigt, sondern mit gleicher Liebe und Wärme alles umfaßt, was schön ist.
Als ich ihm daher den Clavierauszug von Ihrem Faust vorlegte, so geriethen wir beide um so mehr gleich auf den Gedanken, das Werk durch das Singinstitut zur Kenntniß des hiesigen musikalischen Publikums zu bringen, als bey der Blödigkeit der hiesigen Hurayschen(?)2 Schauspielergesellschaft nie darauf zu rechnen war, daß Ihre Oper je gegeben werden würde.
Herr Riel eröffnete eine Subskription zur Deckung der bey diesem Unternehmen nicht unbedeutenden Kosten, welche leider bey den gegenwärtigen schlechten Zeiten, und der hier herrschenden großen Armuth so schlecht von statten ging, daß daran gar nicht zu denken war, die Partitur kommen zu lassen, und die Kosten der Ausschreibung der Stimmen und des orchesters gedekt zu erhalten. Underdessen war das Werk aber von dem Singinstitut bereits einstudirt, und sowohl von den Solo-Sängern als choristen mit solcher Liebe aufgenommen, daß Herr Riel sich entschluß, dem Publikum wenigstens eins Skizze des Werks dadurch vorzulegen, daß er dasselbe beym clavier aufführte. Diese Aufführung beym Fortepiano ging demnach würklich vor sich, wurde sorgfältig executirt, und vor dem spärlich versammelten Publikum mit vieler Wärme aufgenommen. Ich selbst hatte mich unterfangen mich an die partie des Faust zu machen, nd fühlte mich bey den Proben und bey der Aufführung von der Tiefe der Composition so begeistert, daß ich mit meinen schwachen Kräften das mir sonst Unmögliche leistete; vorzüglich schienen mir in der Partie des Faust seine Arie Nr. 19. und das Duett Nr. 1 das Unübertreffliche zu seyn, und die Composition zu den Worten in dem Duett: „und eine Mahlzeit will ich halten, wie sie die Welt noch nie gesehn,” pp riß auch jedesmal so hin, daß ich sie für etwas in höchster Begeisterung des Componisten Empfangenes erachten muß.
Sie können leicht denken, daß diese in form eines Oratorii veranstaltete Aufführung nicht geeignet war, bey mir und ähnlich fühlenden den Gedanken an die Partitur und eine Aufführung mit Begleitung des Orchesters zu ersticken, vielmehr ist der Wunsch nur noch reger geworden3, und im Gefolge dessen frage Ew Wohlgebohren ich ganz ergebenst an:
was das Honorar für eine vollständige Partitur nebst Buch von der Oper Faust seyn möchte?
Da aber bey der gegenwärtigen traurigen lage unsrer Handelsstadt ohne handel, bey sehr beliebten Musiken immer nur auf ein Auditorium von höchsten 300 Personen zu rechnen ist, das Einlaßbillet für die person nach nach altem Herkommen nur auf 16 sgr. Courant bestimmt werden darf, und die Kosten für Beleuchtung, Saal-Miethe, Druckkosten, Orchester und Ausschreiben der Stimmen wenigstens 160-170 Rth. Preuß. Courant zu stehen kommen, so muß sie sie ersuchen, Ihre Forderung so mäßig als möglich einzurichten, wei sonst daraus nichts würde eingegangen werden können; ich selbst aber leider nicht so reich bin, um nach Würden das Talent belohnen zu können, und am hiesigen Orte die Gattung Menschen, welche man mit den Namen Maecene zu belegen pflegt, seit undenklichen Zeiten ganz ausgestorben ist.
Falls wir einige werden, so würde ich zur Ersparung der großen Portokosten vorschlagen, den Weg des Versands durch die Buchhandlungen Breitkopf & Haertel in Leipzig und Gebr. Borntraeger hier in Königsberg zu wählen.
Möchte doch der Himmel Sie einst – vielleicht bey einer Reise nach St. Petersburg u. Moskau, - in unser Städtchen führen, und mir Gelegenheit geben, Sie zu versichern, daß es keinen aufrichtigeren Verehrer von Ihrer Muse gebe, als

Ihren
gehorsamsten Diener
Malinski.
Preuß. Justizkommissarius.

Autor(en): Malinski, Johann Friedrich
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Riel, Johann Friedrich Heinrich
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Alruna
Spohr, Louis : Faust
Spohr, Louis : Jessonda
Spohr, Louis : Zemire und Azor
Spohr, Louis : Der Zweikampf mit der Geliebten
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen: Breitkopf & Härtel <Leipzig>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1823121249

Spohr



Spohr beantwortete diesen Brief am 27.12.1823.

[1] Hier gestrichen: „fahrenden”.

[2] Vgl. „Aus Königsberg (Geschrieben im Januar 1824.)”, in: Zeitung für die elegante Welt 24 (1824), Sp. 742ff., 751, 758f., 767, 774ff., 784, 790f., 800, 807f., 815, und 822ff., hier Sp. 784.

[3] Vgl. „Königsberg. (Bericht vom August 1824 bis Ostern 1825)”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 27 (1825), Sp. 315-320, hier Sp. 318; „Bemerkung”, in: Zeitung für die elegante Welt 24 (1824), Sp. 144. Eine spätere Aufführung in Königsberg unter dem gleichen Dirigenten, Friedrich August Riel, fand 1840 statt (vgl. „Königsberg, im Januar 1840”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 42 (1840), Sp. 112-116 und 133ff., hier Sp. 112).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (08.12.2016).