Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr. Wohlgeb.
Herrn Kapellmeister Spohr,
in
Cassel.

fr.


Hamburg, am 2ten Dec. 1823.

Werden Sie nicht böse, lieber Herr Kapellmeister, wenn ich dem Wunsch: mich einmal wieder schriftlich mit Ihnen zu unterhalten, nicht länger unterdrücke. Gerne hätte ich Ihnen schon längst geschrieben, wenn ich befürchten müßte, Ihnen dadurch bey Ihren jetzigen, gewiß sehr überhäufen Geschäften lästig zu fallen. Ich bitte daher im Voraus um Verzeihung, wenn dies vielleicht auch jetzt doch der Fall seyn sollte. –
Daß hier vor 14 Tagen der Judas Maccabäus von Händel1 und ein Oratorium von Grund2 in der großen St. Michaelis-Kirche von einem ungefähr 400 Personen starken Personale aufgeführt worden, ist Ihnen wohl schon bekannt. Ich kann Ihnen darüber nichts weiter melden, als daß beide Aufführungen größtentheils zur Zufriedenheit der Zuhörer ausgefallen sind. – Der bekannte Organist Apel aus Kiel, (welchen ich vor 3 Jahren daselbst als einen geschickten, sehr rechtlichen und freundlichen Mann kennen lernte,) besuchte mich in dieser Zeit, und bat mich um die Partitur und Stimmen Ihrer Oper Zemire und Azor, um einige Stücke daraus in seinen Privat-Konzerten in seinem Hause aufzuführen. In der Voraussetzung, daß ich seinen Wunsch erfüllen dürfe, ohne deshalb Ihrem Willen entgegen zu handeln, gab ich ihm daher sogleich das Verlangte, mit dem Versprechen: mich selbst zu den letzten Proben und Aufführungen in Kiel einzufinden. Sollte ich nun aber doch hierin nicht zu Ihrer Zufriedenheit gehandelt haben, so ersuche ich Sie nur, lieber Herr Kapellmeister, mich mit Ihrem Willen deshalb bekannt zu machen, und ich werde sodann die Oper sogleich wieder zurück fordern. – Zu Ihrer Oper Faust schreibe ich mir jetzt die Parthien der Blasinstrumente selbst aus, weil hier fast kein einziger guter und zuverläßiger Kopist mehr zu haben ist; 8 Stücke habe ich schon ganz fertig und hoffe in höchstens 4 Wochen die – ich kann es nicht läugnen – etwas langweilige Arbeit vollendet zu haben, um dann das Ganze endlich einmal zu hören. (Partituren schreibe ich – zumal die Ihrigen – sehr gern, aber das Stimmen-Aussschreiben bleibt doch allemal eine langweilige Arbeit.) Einige Veränderungen des deutschen Textes von einem meiner Bekannten lege ich Ihnen hier mit bey; sie sind zwar nur für Privat-Aufführungen bestimmt, indessen finden Sie sie auch vielleicht mitunter als wirkliche Verbesserungen für das Theater brauchbar. – In dem gestochenen Klavier-Auszuge habe ich beynahe auf jeder Seite mehrere – und oft recht bedeutende – Fehler gefunden; Herr Peters fand es aber nicht der Mühe werth, meine Correktur deshalb zu benutzen! –
Nun erlauben Sie mir noch eine recht große Bitte, liebster Herr Kapellmeister! Durch deren Gewährung Sie nicht mich allein, sondern alle Ihre hiesigen Verehrer überaus erfreuen würden! Ich wünschte mich nämlich auf ein paar Monate im Besitz der Partitur Ihrer Oper Jessonda zu sehn, um mir dann eine Abschrift derselben machen zu dürfen. Finden Sie meine Bitte nicht allzu unbescheiden? Darf ich auf die Erfüllung dieses sehnlichen Wunsches hoffen? – Unser aller Erwartungen sind nach dem Ruf Ihrer Oper zu sehr gespannt, und zu meiner (selbst häuslichen) Glückseeligkeit trägt ein solcher Genuß zu viel bey, als daß Sie mir diese Bitte abschlagen werden! – –
Meine Schwägerinn3 wünscht in ihrem (ersten öffentlichen) Konzerte die große Arie und das Duett aus Ihrem Faust zu singen. Sie hat beide Stücke sehr fleißig geübt, einen recht lebendigen Vortrag und hat sich überhaupt seit einem Jahre recht gebessert, nur würde ihre Stimme für das Theater viel zu schwach seyn, auch wünschen wir alle nicht, aus ihr eine Theaterprinzessin werden zu sehn. – Meine gute Frau grüßt Sie und Ihre Familie herzlich. In diesem Monat noch erwarten wir eine kleine Multiplication unserer Familie. –
Die hier beigelegten musikalischen Kleinigkeiten [Auch von Kirnberger, dem Lehrer meines Vaters, u. a. m. stehen Ihnen jene – wenn Ihnen mit solchen Raritäten gedient ist – Handschriften zu Gebote. (Aber nur Ihnen! S.G.K.)]4 (sämmtlich aus dem Nachlaß meines Vaters) bitte als freundschaftliches Andenken freundlichst aufzunehmen

Ihr ergebenster Freund und
Verehrer J.F. Schwencke.

NS. Die Musikalien-Auktion des Nachlasses meines Vaters wird erst Ende dieses Winters statt finden.5



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Schwencke an Spohr, 19.03.1823. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Schwencke an Spohr, 30.06.1824.

[1] Zu den Konzerten am 15. und 17.11.1823 vgl. Aristoxenos der Jüngste, „Hamburg, am 1. Jan. 1824“, in: Abend-Zeitung <Dresden> 22 (1823), S. 100, 104, 108, 112 und 116, hier S. 112.

[2] Vgl. ebd., S. 108.

[3] Noch nicht ermittelt

[4] Text in eckigen Klammern am Seitenrand eingefügt.

[5] Schließlich sogar erst am 30.08.1824 („Auctions-Anzeige“, in: Staats und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten 16.06.1824, nicht paginiert).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Wolfram Boder (22.06.2018).