Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,52
Sr. Wohlgeb.
Herrn Wilhelm Speyer
in
Offenbach a/m
Cassel den 24sten October
23.
Geliebter Freund,
Kaum ist mein voriger Brief in Ihren Händen und schon muß ich Sie wieder mit neuem bestürmen und Ihre Gefälligkeit in Anspruch nehmen. Es ist uns die Partitur von Boildieu's Rotkäppchen verloren gegangen und wir mögten sie gern vom Frankfurter Theater auf 14 Tage geliehen haben. Da nun Guhr in Besorgung solcher Sachen ein wenig sehr nachlässig ist, so wen[de] ich mich an Sie mit der Bitte: die Parti[tur] in meinem Nahmen von ihm zu borgen und sie mir mit erster Post gefälligs[t] zu überschicken. Zugleich hätten Sie wohl [auch] die Güte sich von ihm unsere Orchesterstimmen vom Idomeneo geben zu lassen und sie der Partitur beyzupacken. Lassen Sie sich aber von ihm nicht mit dem Versprechen abweisen, daß er mir beydes gleich selbst überschicken wolle, denn sonst bekäme ich weder das eine noch das andere. Um die Stimmen habe ich ihn seit einem Jahr wenigstens 10 mal mahnen lassen und immer fruchtlos. – Verzeihe[n] Sie übrigens, daß ich Sie so plage und schreiben Sie es Ihrer Pünktlichkeit in Besorgung solcher Aufträge zu, wenn ich mich immer von neuem an Sie wende. Die Partitur werde ich sogleich abschreiben lassen und binnen 14 Tagen sicher zurück schicken.
Wie sieht es denn sonst in Frankfurt aus? Sind die Parthien der neuen Oper schon vertheilt und sind sie in guten Händen?
Ich bin aufgefordert worden in 14 Tagen in einem neuerbauten, sehr schönen Saale in Göttingen ein Concert zu geben.1
Da wird Emilie außerhalb von Cassel zum ersten mal singen. Sie hat in neuester Zeit wieder Fortschritte gemacht; doch bleibt mir immer noch gar vielerley zu wünschen übrig. Es fehlt ihr hauptsächlich noch an Gefühl oder an Ausdruck dessel[ben] und das läßt sich gar nicht leh[ren.] Hoffentlich wird es mit den Jahren kommen.
Die herzlichsten Grüße von uns allen an die lieben Ihrigen. Mit unveränderter Freundschaft stets
der Ihrige
Louis Spohr.
Autor(en): | Spohr, Louis |
Adressat(en): | Speyer, Wilhelm |
Erwähnte Personen: | Guhr, Carl Zahn, Emilie |
Erwähnte Kompositionen: | Boïeldieu, François-Adrien : Le petit chaperon rouge Mozart, Wolfgang Amadeus : Idomeneo Spohr, Louis : Jessonda |
Erwähnte Orte: | Frankfurt am Main Göttingen |
Erwähnte Institutionen: | Stadttheater <Frankfurt am Main> |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1823102402 |
Dieser Brief schließt direkt an Spohr an Speyer, 06.10.1823 an. Speyer beantwortete diesen Brief am 08.11.1823.
[1] Vgl. „Göttingen, im März”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 26 (1824), Sp. 227f., hier Sp. 228.
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (18.02.2016).