Autograf: Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Gehe:3

Dresden den 16ten October 1823

Geehrter Herr und Freund!

Sie werden meinen Brief, den ich H. Philippi zustellte, empfangen haben. Mein darin gegebenes Versprechen, Ihnen über Rübezahl meine Gedanken zu schreiben, hätte ich schon eher gelößt, wenn nicht ein neu beendigtes Drama: die Malteserin1 mir so im Haupte gelegen hätte, daß ich für den Moment unfähig gewesen war, an einen andern Plan zu denken. Jetzt aber habe ich mit freyerer Seele das Mährchen gelesen2, und halte die Wahl, die Sie getroffen, für eine höchst glückliche, sobald nur der Sinn der Fabel noch erhöht und gefestigt wird und das Ganze, in dramatischer Rundung, mit einer Beschwichtigung der Leidenschaften endet. Die Hauptidee, die vielleicht auch Gegenstand der Ouverture seyn könnte, wäre:
Der Sieg einer menschlichen Liebe selbst über den Zorn der Geister, und zwar der schönste im vollkommenen Frieden endigende Sieg, indem selbst die Geister das Göttliche in der Liebe zweyer Menschen zu einander erkennen und zuletzt belohnen.
Fern sey bey der Ausarbeitung aller Geisterspruch. Ueber das innre Wesen der Gnomenwelt zu ergreifen, es im interessanten Gegensatz zu den Menschen zu bringen, die, gegen die Unsterblichkeit der Gnomen gehalten, nur eine Stunde leben, aber eine Stunde reich an Noth, Freude, Liebe, Schmerz und Glück – dünkt mir für Componisten und Dichter zwar eine schwere aber schöne Aufgabe. Eine neue Welt für Worte und Töne könen3 sich hier aufthun. Doch muß ich mich noch in das mir ganz fremde Reich der Gnomen einstudieren und gebe hier nur Andeutungen, mir darüber Ihre Meynung erbittend.
Personen sind
1) der alte Herzog (Baß?)
2) Emma, dessen Tochter
3) Fürst Ratibor Emmas Bräutigam (Tenor?)
4) Erna eine Gespielin Emmas (heiter wirkende Rolle)
5) der Gnomenfürst (Bariton?)
6) Fitzlipuzli ein lustiger Gnome als Buffo
7) Chöre der Gnomen und Chöre der Diener und Dienerinnen auf dem Gute des alten Herzogs und des jungen Ratibors.

Introduktion und erster Akt: Der Gnomenfürst zürnend. Die ganze Gnomenwelt in Schrecken vor ihm bebend4. Er wird vom höchsten Mißmuth erfaßt, unbestimmte Sehnsucht quält ihn in großartigen Empfindungen, wie ein Geisterfürst sie haben kann. Fitzlipuzli, der eine Art Philosophie besitzt, und keck und lüstern sich allein von allen Gnomen auf der Oberwelt umgesehen hat, übernimmt es, zur Freude der Andern, jenen Unmuth zu lösen. Er macht seines Herren Neugier nach den Menschen rege, von denen er, außerhalb ihres Lebenskreises stehend, eine wundersame und drollige Beschreibung giebt. Eins hat Fitzlipuzli auf der Erde gefallen, die Mädchen. Er beschreibt ihre Gestalt und ihr Aussehen in einer Arie. Der Gnomenfürst beschließt, durch die Beschreibung gereizt, eine Reise nach der Oberfläche der Erde, die er noch nie gesehn. Effektvoll kann hier die Ahnung neuer Erscheinungen, die Sehnsucht nach Freyheit, Luft, Licht, Erdengrün alle Gnomen erfüllen. Sie fahren sämtlich zur Oberwelt.
Hier sieht man Emma, Ratibor und den alten Herzog. Er giebt den Segen, die Hochzeit steht bevor. Nach einem Terzett oder Duett opfert Emma auf dem Altar der Freya Rosen. In einer Arie Emmas athmet die reinste Liebe. Gnomenfürst tritt als schöner Jäger auf. Hier im Duett ein Gegensatz: Emma hat Himmelsglück in Ratibors Armen. Der Gnomenfürst beschließt sie zu rauben. Er trift sie an. Geheimnißvoller Schauer ergreift Emma. Ratibor kann dazu kommen, Emma wegführend; Rübezahl scheidet mit der Bemerkung, er werde zur Hochzeit sich einstellen. Man hört ihn mit Abgehen sagen, er wolle sein Unterreich schmücken zum Empfange der Erdentochter. Die Hochzeit mit Chören geht vor sich. Im Augenblick der Trauungsceremonie, die nach altdeutschem heydnischen Gebrauche gefeyert wird, erscheint Rübezahl als Fürst der Geister und entführt Emma. Aber er kann sich auch mit seinem Gefolge als Gast und unter dem Nahmen eines fremden Ritters anmelden lassen. Dabey können die Gnomen Neckereyen ausgehen lassen, bis endlich sie endlich Emma entführen. Was ziehen Sie vor von beyden? Der Schlußchor während Emmas Entführung macht sich von selbst. Auf der Seite der Menschen Schrecken Zorn Verfluchen der Götter, auf der Seite des Gnomenfürsten Siegesgefühl und Leidenschaft an welche sich hohe Keckheit und Neckerey der andern5 Gnomen schließt.
Im 2ten Akte Emma im Reiche der Gnomen. Der Herr vom Berge zu ihren Füßen, leidenschaftlich. Sie sehnt sich nach Menschen. Er verspricht, ihre Lieblingsgespielin ebenfalls zu rauben und zu ihr zu bringen und schenkt, fortschreitend, Emma noch die herrlichsten Kostbarkeiten. Arie Emmas. Sie legt während derselben in einem Spiegelsaale6 den Schmuck an (solche Putzscenen machen sich immer gut und die Sängerinnen lieben sie) Aber bald siegt das bessere Gefühl der Liebe. Gerne gäbe sie für einen Blick Ratibors alle diese Schätze hin. Der philosophische Fizliputzli7 kann sie trösten wollen. An ihr Duett kann sich ein Quartett knüpfen, indem der Gnomenfürst die Gespielin Emmas bringt. Erstaunt, daß Emma noch nicht durch die erblickten Herrlichkeiten bewegt ist, verspricht er ihr, seine ganze Macht zu zeigen. Währenddessen fängt8 Fitzlipuzli Feuer für die scherzhafte Erna. Verwandlung. Ratibor hat den Eingang der Geisterwelt gefunden. Entschlossen in die Erde zu dringen, nimmt er vom alten Herzog Abschied Duett. Dann große Arie Ratibors. Ein zweyter Orpheus sucht er eine Euridice. Er findet sie, nachdem die Scene sich verwandelt hat, im Geisterreiche. Emmas Seele fühlt Überraschung Liebe Angst. Sie zieht Erna zu Rathe, diese wieder den geliebten Fitzlipuzli. Ratibor wird versteckt und der Plan zu allgemeiner Flucht entworfen. Rübezahl naht. Emma, um ihn zu täuschen, zeigt sich gefälliger. Entzückt, verspricht der Geisterfürst ihr ein schönes Schauspiel als Vorahnung der Festlichkeiten, die ihre Vermählung mit dem Geisterfürsten bezeichnen sollen. Als große Pantomime wird den Gnomen die Huldigung9 der vier Elemente im Ballett aufgeführt. Am Schluße Gruppe um Emma, vollendet durch Rübezahls Niederknieen vor ihr. Sie sagt, sie wolle seine Liebe erhören, fordert aber eine Probe seiner Geduld und Zärtlichkeit, daß er ein ganzes Feld voll Rüben zähle. Quintett Rübezahls, Emmas, Ernas, Fitzlipuzlis und des versteckten Ratibors, die verschiedenartigsten Wünsche Aller dieser vereinend.
3ter Akt. Comische Angst und Zärtlichkeit Fitzlipuzlis Duett mit Emma oder auch erst eine Ariette Ernas dann Duett. Hierauf große Arie des Herrn vom Berge. Ungeduldig, glühend vor Leidenschaft zählt er die Rüben und verzählt sich. Endlich hat er die rechte Zahl, da erfährt er Ratibors Anwesenheit und Flucht mit Emma und den Andern. In höchster Wuth eilt er nach und erreicht die Liebenden. Hier Terzett oder Quintett, wo sich Ratibors und Emmas Liebe im höchsten Glanze zeigt. Sie scheuen beyde den Tod nicht. Dies frappirt den Gnomenfürsten. Er beschließt sie zu prüfen. Nun zwey große Scenen, wo Emma und Ratibor, jeder für sich, eine Prüfung bestehen. Vielleicht soll ein Zaubervogel gehohlt werden, oder sonst Etwas, was zu guten Dekorationen Anlaß giebt. Ich werde schon dafür sorgen, daß es der Zauberflöte nicht ähnelt. Was giebt es im Innern der Erde für große Werkstätten der Natur! Die Liebenden bestehen alle Proben. Endlich siegt ihre Liebe über den Zorn des Geisterfürsten. Er entläßt sie in Frieden und nimmt sich vor, nur unächte Liebe zu necken(???). Er verzieht auch Fizlipuzli und Erna. Dieser bezeigt große Lust, sich mit der lustigen reitzenden Tochter(???) fest(???) zu verbinden. Sie benimmt ihm nicht alle Hoffnung und Fizlipuzli sieht schon im Geiste aus ihrer beyseitigen Verbindung ein großes witziges heitres naseweises, allerliebstes Geschlecht entstehen, das Geschlecht der Rezensenten. Die letzten Scenen, auf der Oberwelt spielend, schildern die Freude des Wiedersehens. Emmas Hochzeit geht würklich vor sich und wird durch die Güte des Gnomenfürsten verschönt. Dies der Plan. Wenn er Ihnen gefällt, so verzeichnen Sie mir doch alle Musikstücke, ihrer Reihenfolge nach. Wo soll Ernas Ariette stehen? Wünschen Sie wieder alles in Rezitativ? Vielleicht könnte manche Rede Fizlipuzlis und Ernas blos mit melodramatischer Begleitung gegeben werden. Erfreuen Sie mich bald möglichst mit einer Antwort! Ich habe jetzt gerade Muße zur Arbeit und würde Ihnen die Dichtung vielleicht bis Weihnachten liefern können.
Nun noch ein freundliches Wort über einen Gegenstand, den ich nur leicht berühre, weil auch meine Seele nicht am eitlen Golde hängt. Es macht mir ein Vergnügen für Sie zu schreiben und ich werde daher noch allen meinen Kräften die Dichtung vollenden, wenn Sie auch dafür nur die Bedingungen erneuten, unter welchen Jessonda geschrieben wurde. Können Sie jedoch, ohne sich selbst in irgend einer Hinsicht zu nahe zu treten, dem Dichter, der redlich für Sie arbeiten wird, bey diesem zweyten Texte, welcher ziemliches Studium erfordert, etwas mehr als für den ersten gewähren, so werden Sie – ich bin es von Ihnrem Charakter vollkommen überzeugt – dies thun. Ihrem eigenen Ermessen überlasse ich ruhige diese meine Angelegenheit und bemerke nur um mich selbst von dem Schein einer Unbescheidenheit frey zu halten, daß Frau von Chezy für den Text der Euryanthe (der einige Schönheiten aber keine dramatischen enthält) von Weber mit 30 Dukaten und dann in der Folge einiger lebhafter Erörterungen, die mir durch Zufall bekannt wurden, noch die Zusicherung erhalten habe, Weber wolle bey einigen Hauptbühnen sich dafür verwenden, daß diese doch Etwas besonderes für den Text auswürken. Die Dissonanzen, aus welchen sich diese Harmonie entwickelte, werden bey uns nie eintreten. Ich wiederhole es, ich werde annehmen, was Sie selbst für billig achten, indem ich schon ein Vergnügen darin finde, für Sie zu schreiben.
Noch eine Bitte! In der nächsten Woche werde ich mein Drama die Malteser10, welches die Belagerung Maltas durch die Türken und den Valetter Sieg über letztere enthält, an Herrn Feige einsenden. Es in Cassel, wo Herr Gaßmann ein guter la Valette seyn würde, auf die Bühne zu bringen und bald, wünsche ich sehr, da ich hier in Dresden mit tausend Schwierigkeiten zu kämpfen habe. Können Sie zu der baldigen Aufführung mitwürken, so werden Sie, wenn nur das Stück Ihnen selbst nicht mißfällt, es gewiß thun, selbst wenn ich Sie nicht, wie hiermit geschieht, noch herzlich und inständig darum bäte. Dafür, daß dramatisches Leben in den Maltesern ist, wollte ich doch stehen und da Kräfte in Cassel mein Peter und Alexis mit Beyfall gegeben worden ist11, da jetzt auch der Text zur Jessonda gefallen hat, von Ihrer Musik verlebendigt und getragen – so hoffe ich, die Direction werde auch an meine Malterser gehen. Ich bitte mich im voraus Herrn Director Feige zu empfehlen.
Ist es Ihnen möglich, bereits nach dem jetzigen Entwurfe über Rezitative und die Zahl der Arien mir bestimmte Eröffnung zu machen, so würde dies mir nicht nur die Arbeit erleichtern,12 sondern auch für das Ganze vortheilhaft seyn, weil später eingelegte Arien doch immer etwas fremdartiges behalten und ein ganz andrer Aufschwung genommen werden muß, ist die Oper in lauter Rezitativen zu schreiben. Ich bin sehr für’s letztere, nur weiß ich nicht ob Fitzipuzlis Witz sich auch in gebundener Rede so hervorspringend ausnehmen würde. Doch will ich es versuchen und giebt man sich nur Mühe, so wird es schon gehen.

Von Herzen
ergebener
E. Gehe

Wie steht es mit Jessonda in Frankfurt? Ist sie aufgeführt und kann ich von dort ein Textbuch erhalten? In dieser Hinsicht beziehe ich mich auf meinen frühern Brief, den Sie durch Philippi erhalten haben werden.

Autor(en): Gehe, Eduard
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Chezy, Helmina von
Gaßmann, Karl Georg Eduard
Philippi (Kassel?)
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Der Berggeist
Spohr, Louis : Jessonda
Weber, Carl Maria von : Euryanthe
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen: Hofkapelle <Kassel>
Stadttheater <Frankfurt am Main>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1823101646

Spohr



Der letzte Brief dieser Korrespondenz ist Gehe an Spohr, 01.09.1823. Der nächste Brief dieser Korrespondenz ist Gehe an Spohr, 22.10.1823.

[1] Eduard Gehe, Die Malteser, Bunzlau 1836.

[2] [Johann Karl August] Musäus, „Legenden von Rübezahl“, in: ders., Volksmährchen der Deutschen, Bd. 2, Prag 1796, S. 3-143, hier S. 3.

[3] Sic!

[4] „bebend“ über der Zeile eingefügt.

[5] „andern“ über der Zeile eingefügt.

[6] „in einem Spiegelsaale“ unter der Zeile eingefügt.

[7] Ab hier ändert Gehe die Schreibung dieses Namens.

[8] Hier gestrichen: „G“.

[9] „Huldigung“ über gestrichenem „Vereinigung“ eingefügt.

[10] Siehe Anm. 1.

[11] Vgl. Gehe an Spohr, 23.01.1822.

[12] Hier gestrichen: „sollte“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (20.03.2025).