Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), 4° Ms. Hass. 287[Seiffart,K.:1

Wohlgebohrner Herr
Hochgeehrtester Herr Kapellmeister!

Ich vermag es nicht zu sagen, und wünsche Sie möchten stiller Beobachter gewesen seyn, welche Freude wir beim Empfang Ihres geehrten Schreibens, empfanden. In der glücklichsten Gemüthsstimmung, erzeugt durch Hermstädts seelenvollen Vortrag Ihrer herrlichen, einzigen Kompositionen, von welchen derselbe auf ungestümes Bitten, das Adagio aus dem Cb Concert 3 mal, das potpouri aus A# aber 2 mal, zu blasen die Güte hatte, kehrten wir von meinem Gartenhause zurück wohin uns einer der schönsten Herbsttage am Dienstage geführt hatte, und gleichsam berauscht von den Freuden, welche uns Ihre Meisterwerke stets, so wie an diesem Tage, schenkten, so wie von Ihrer ausgezeichneten, musikalischen Größe, welche, wie bei Mozart, erst von der Nachwelt gehörig begriffen, gewürdigt und anerkannt werden wird, und fanden höchst unerwartet, Ihren lieben Brief vor. Hermstädt vertraut mit Ihren Schriftzügen, eröffnete, auf die Gastfreundschaft pochend, mit Eilfertigkeit denselben, und freute sich der angenehmen gütigen Notiz. Daß wir nun allein von Ihnen und Ihren unübertrefflichen Werken, den übrigen Theil des Tages uns unterhielten, versteht sich von selbst.
Ich sage Ihnen den verbindlichsten, herzlichen Dank, für die gelegentliche Bereitwilligkeit, mit welcher Sie baldigst, einige Aussicht zur Befriedigung meiner und des hiesigen Publicums Wünsche, zu eröffnen die Güte haben.
Es würde freilich sehr wünschens werth seyn, leistete Herr Küffrath etwas mehr auf dem piano; allein ich bin versichert, daß das vortrefliche Spiel deßelben auf der Geige, die allgemeine Beurtheilung zu einer billigen Nachsicht führen werde. Obgleich nach den hiesigen Verhältnissen ein gutes Geigenspiel das erste Erforderniß ist, so darf man jedoch zugleich das Orgelspiel nicht aus den Augen verliehren. Erfreulich ist daß Herr Küffrath im Gebieth des Gesangs nicht unorientiert ist.
Es kömt viel darauf an, den Mann mit dem man vielleicht auf lange Zeit, in engrer Berührung treten werde, von Angesicht kennen zu lernen, so wie es letzterem nicht werthlos seyn wird, seine künftigen Umgebungen ins Auge fassen zu können; es würde daher mir sehr angenehm seyn, wenn Herr Küffrath einen kleinen Abstecher hieher machen und die Geige mitbringen wollte. Die aufzuwendenden Reisekosten von circa 20 Rth. pp. gelobe ich zu restituiren, so bald die Gewißheit der hiesigen Anstellung erfolgt; allein jetzt solche durch ein zu arrangirendes Concert zu gewinnen, ist deshalb billigerweise nicht auszuführen, da Mühling jetzt bereits 2 Concerte zu seinem Abgange ankündigte, die ihm den gehofften Vortheil nicht bringen dürften, wenn ein neues Interesse, seinen Finanzen einen fühlbaren Nachtheil herbeiführen sollte. Er dürfte dadurch in preßhafte Verlegenheit kommen! – Man muß güldene Brücken bauen!
Mit 1-2 Tagen hiesigen Aufenthalts hoffe ich Hn. Küffrath neuerlich mit Allem bekannt machen zu können, und so würde die kleine Digression1 mit wenig Tagen abzumachen seyn.
Hermstädt welcher einige Tage bei mir bleibt, legt gleichsam als Beleg zu Obigem, einige Zeilen2 bei.
Es sind die Gesinnungen der hochachtungsvollsten Verehrung, welche mich früher so wie jetzt für Sie beleben und mit welchen ich die Ehre habe zu seyn
Euer Wohlgebohren

ergebenster Diener
Seiffart.

Nordhausen
den 10 Octbr. 1823.

Autor(en): Seiffart, Karl Wilhelm Ferdinand
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Hermstedt, Johann Simon
Kufferath, Johann Hermann
Mozart, Wolfgang Amadeus
Mühling, August
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Konzerte, Klar Orch, op. 26
Spohr, Louis : Potpourris, Klar Orch, op. 80
Erwähnte Orte: Nordhausen
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1823101047

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf einen derzeit verschollenen Brief von Spohr an Seiffart. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Seiffart an Spohr, 17.05.1824.

[1] Abweichung, Abschweifung, von lat. digressio, Abweichung.

[2] Dieser Brief ist derzeit verschollen.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Wolfram Boder (15.05.2019).