Autograf: Universitätsbibliothek Kassel, Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms.Hass. 287

Sr. Wohlgebohrn
dem Herrn Capellmeister
Spohr
dahier.


Cassel den 5 August
1822.

Wohlgebohrner
Besonders Hoch zuverehrender Herr Kapellmeister!

Euer Wohlgeboren werden mir gütig verzeihen, wenn ich es wage Sie mit diesen Zeilen zu belästigen, iedoch Ders algemein bekante Herzensgüte läßt mich schon im voraus Ders gütige Verzeihung hoffen, und giebt mir auch den Muth mich demselben Zutrauensvoll mich einer gehosamsten Bitte zu nahe. ich bin die Tochter des ehemaligen Schauspiel Dierecter Sommers, 19 Jahre führte mein Vater dieses Geschäft, allein die traurigen Zeiten viele uns betrofen Unglücksfälle nöthigten meinen Vater solches aufzugeben, und selbst ein Engagement zu suchen, allein unbekant mit allen großen Theatern, war es solchen trotz allen Bemühungen nicht möglich eines zu finden, wir saßen ein halbes jahr brodlos, im Monat November voriges Jahr reisten wir hieher, um beim hiesigen Theater ein Engagement zu finden, wir schmeichelten uns dieses um so mehr, weil ich schon früher von mehreren Seiten Hofnung darzu gemacht wurde ich wurde auch gleich beim Chor aufgenommen mit einer Monatsgage von 10 Thl. und zwar mit dem Versprechen, bald ins Schauspiel überzugehen und dan auch mehr Gage zu1 bekommen. ich bekam zwar einige kleine Rollen aber die Zulage blieb aus. so lebten wir eine Familie von 4 Personen mit diesen 20 Thl bis im Monat März, wo mein Vater (der im komischen sehr braver Künstler ist) auch engagiert wurde, aber leider, nur mit einem Gehalt von 8 Thl, wir haben nun in dem Monat 18 Thl. allein trotz der größten Sparsamkeit ist es nicht möglich davon zu leben, den wir müßen Monatlich 7 Thl Miethe geben. Mein Vater verkaufte alles Theater Bücher Music und Garderobe, doch nun haben wir nicht mehr zu versetzen nichts mehr zu verkaufen, den auch unsre Straßengarderobe ist bereits verkauft und keine Hoffnung das es beßer wird, was soll aus uns werden, wen wir auch von hier weg gehen, wohin? ohne Assicht ohne Geld, wäre ich allein, ich würde nicht über mein Schicksal klagen sondern getrost auf beßere Tage hoffen, aber meine Eltern (besonders meinen guten Vater edelsten den besten der Menschen leiden zu sehen), das zerreist mir mein Herz, und doch, was soll, was kan ich thun um diese schrekcliche diese verzweiflungsvolle Lage zu verbeßern das gröste Unglück, das mein Vater, der doch so brave Künstler ist gar nicht zu thun, da solcher mit Leib und seel Schauspieler ist, so würde er, wen er, was er zu studiren zu spielen hätte, das traurige unrer Lage zwar nicht ganz, doch wenigstens auf Stunden vergeßen, aber so ist solcher iezt ohne alle Beschäftigung und fühlt nun alles Elend doppelt. Solte es den nicht möglich sein, das mein Vater, der wie mir schon von so vielen Menschen versicherten, eine sehr schöne und angenehme Stimme hat in der Oper zu kleinen Parthien zu gebrauchen sein solcher ist freilich nicht viel musikcalish, hat aber ein sehr gutes Gehör und würde gewiß kleine Parthien, besonders komische geschwind Einstudiren. Sollten es Euer Wohlgebohrn der Mühe werth halten, meinen Vater Probe singen zu2 laßen, so würden Sie sich überzeigen, das ich nicht Unwarheit gesprochen. Doch nun zu meiner Bitte, Zu Euer Wohlgebohrn nehme ich meine Zuflucht. Sie dem Edlen Manne, dem großen Menschenfreund, flehe ich um Trost Hülfe und Rettung an. In Ihrer Macht steht es eine zwar ietz sehr unglückliche aber gewiß sehr brave Familie, vom Untergang vor Verzweiflung zu retten, ein einziges Wort von Ihnen zu meinem Vortheil zusprechen das ich auch in der Oper zu gebrauchen bin, wird mehr wirksam, als alles sublicen.3 Fußfällig mit nassem Auge flehe ich Euer Wohlgebohrn an mir zu einer Zulage zu verhelfen, daß Sie es können bich ich recht(?) überzeigt das Sie es wollen dafür birgt mir Ihr edles herz, daß schon so manchen unglücklichen gehofen, so manchen Kummervollen getröstet4, schon ietzt fühl ich mein Herz erleichtert fühle mich schon iezt beglückt, indem ich dieses schreibe. Sollen es Euer Wohlgeborn, vor gut iea(?) wohl gar vor nöthig halten mich mit einer Suplic an Dierection zu verwenden, so soll es gleich geschehen. In der süßen Hofnung, daß dieselben meiner Freiheit verzeihen, mein kindliches vortrauen nicht mußdeuten, sondern gütig aufnehmen, um meiner gehorsamsten Bitte erhören, werde ich mich bis zum letzten Hauch meines Lebens Dank und Hochachtungs nennen

Euer Wohlgeborn
ergebenste
Louise von Sommers
Schauspielerin und Choristin

Solle ich das Unglück haben Euer Wohlgeborn durch mein Zutrauen zu beleidigen, so bitte ich gehorsamst es doch iea(?) nicht meinen Vater entgelten zu laßen, indem solcher unschuldig noch5 nichts von diesem Brief weiß ich allein bin strafbar, verzeihen Sie meiner Jugend meiner Unverfrorenheit.

Autor(en): Sommers, Louise
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Sommers (Schauspieler in Kassel)
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Kassel
Erwähnte Institutionen: Hoftheater <Kassel>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1823080545

Spohr



Spohr beantwortete diesen Brief am gleichen Tag.

[1] „zu” über der Zeile eingefügt.

[2] „zu” über der Zeile eingefügt.

[3] Vermutlich gemeint „suppliciren” = „ansuchen, bittend einkommen” (Friedrich Erdmann Petri, Gedrängtes Deutschungs-Wörterbuch der unsre Schrift- und Umgangs-Sprache, selten oder öfter entstellenden fremden Ausdrücke, zu deren Verstehn und Vermeiden, 4. Aufl., Dresden 1823, S. 558).

[4] „getröstet” über gestrichenem „geholfen” eingefügt.

[5] „noch” über der Zeile eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (05.10.2016).