Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,48
Druck 1: Louis Spohr's Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 159 (teilweise)
Druck 2: Ludwig Nohl, „Fünf Briefe Spohr’s“, in: Didaskalia 18. und 21.05.1878, nicht paginiert
Druck 3: Wilhelm Bennecke, Das Hoftheater in Kassel von 1814 bis zur Gegenwart. Beiträge zur Bühnengeschichte, Kassel 1906, S. 42f. (Nachdruck aus Selbstbiographie)
Druck 4: Edward Speyer, Wilhelm Speyer der Liederkomponist 1790-1878. Sein Leben und Verkehr mit seinen Zeitgenossen dargestellt von seinem jüngsten Sohne, München 1925, S. 67f. (teilweise)
Druck 5: Louis Spohr, Lebenserinnerungen, hrsg. v. Folker Göthel, Bd. 2, Tutzing 1968, S. 132, Text mit fehlerhafter Paginierung auch online 

Cassel den 2ten August
1823.
 
Geliebter Freund,
 
Sie wünschen durch mich von der ersten Aufführung der neuen Oper etwas zu erfahren; der Auftrag will sich für mich nicht recht schicken, denn ich werde, ohne es zu wollen, doch wohl zu ihrem Lobredner werden müssen. Der Effekt war groß und war es nicht bloß bei denen, die die letzten Proben besucht und daher schon eine genaue Kenntniß der Musik hatten, sondern auch beim großen Publikum.1
Es ist hier Sitte, daß an Geburtstagen nur der Hof mit Applaudissement empfangen und dann die Oper ohne laute Äußerung des Beyfalls angehört wird. Das sollte dießmal auch so seyn; aber schon vor Ende des ersten Akts brach ein stürmischer Beyfall los und nun war die Etikette für den Rest des Abends vergessen. Die Aufführung war wirklich vorzüglich. Gerstäcker, die Roland, Hauser ganz ausgezeichnet, die Braun wenigstens erträglich und besser, wie in andern Rollen. Chöre und Orchester, Szenerie, Tänze, Sch[au]gefechte, Umzüge, Gewitter, Dec[o]rationen, Kleider alles vorzüglich, so mußte sie wohl eine große Wirkung hervorbringen. Mich hat diese Arbeit sehr glücklich gemacht und ich darf hoffen, daß die Oper auch an anderen Orten großen Beyfall haben wird, da sie erstlich viel leichter wie meine früheren ist, ein sehr interessantes Sujet und weit einfachere und größtenteils lieblichere Musik hat. Das einzige Schwere ist das rechte Tempo der Ouverture, nicht der Noten, sondern der Stimmung wegen und wo die Blasinstrumente nicht recht rein stimmen, da wird es gräßlich klingen. Es sind nämlich kleine Flöten in Es, Clarinetten in a Hörner in H und Es, Trompeten in E und das übrige Orchester in Es-moll.
Das Allegro ist dann in Esdur und nicht schwer. – Was hätte ich für eine Freude gehabt, wären Sie zugegen gewesen! Ich war anfangs recht böse, wie ich Ihren Brief bekam; auch mein Vater, der bei uns ist, beklagt es sehr, Ihre persönliche Bekanntschaft nicht gemacht zu haben. Meine Eltern sind Ihnen für immer sehr zugetan, seit Sie sie damals aus der Todesangst gerissen haben2 und werden Ihnen das nie vergessen. Könnten Sie doch morgen bey der 2ten Aufführung, die hoffentlich noch besser gehen wird, zugegen seyn!
Ich möchte nun wohl, daß die Oper auch in Frankfurt gegeben würde und würde auf jeden Fall zur ersten Aufführung hinüberkommen, doch denke ich keineswegs daran, sie dort zu dirigiren oder mich sonst in das Einüben einzumischen. Guhr wird sie schon recht auffassen. – Sollte sie auch erst nach der Messe, im Winter gegeben werden, so würde mich das nicht abhalten, die Reise nach Frankfurt zu machen. Nur mögte ich bald eine entschiedene Antwort von der Direktion haben, und Sie würden mich verbinden, wenn Sie eine solche von Guhr und Ihlée gefälligst einfordern wollten.
Meine Familie und mein Vater grüßen Sie und die lieben Ihrigen auf das herzlichste.
Unverändert stets
 
der Ihrige
Louis Spohr.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Speyer, Wilhelm
Erwähnte Personen: Braun, Cathinka
Gerstäcker, Friedrich (Vater)
Guhr, Carl
Hauser, Franz
Ihlée, Johann Jakob
Roland, Sophie
Spohr, Carl Heinrich
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Jessonda
Erwähnte Orte: Frankfurt am Main
Kassel
Erwähnte Institutionen: Hoftheater <Kassel>
Stadttheater <Frankfurt am Main>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1823080202

https://bit.ly/

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf einen verschollenen Brief von Speyer an Spohr. Speyer beantwortete diesen Brief am 18. und 20.08.1823.
 
[1] Die Kritiken behandeln größtenteils nur die Oper und geben kaum Hinweise auf die Aufführung selbst: „Cassel, im August”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 25 (1823), Sp. 629-636; „Aus Kassel, den 16. August”, in: Zeitung für die elegante Welt 23 (1823), Sp. 1463ff.; „Cassel, am 14. Sept.”, in: Morgenblatt für gebildete Leser 17 (1823), S. 967f. und 972.
 
[2] Vgl. Carl Heinrich Spohr an Speyer, 22.03.1820.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (17.02.2016).

2. August 1823
 
Sie wünschen durch mich von der ersten Aufführung der „Jessonda” etwas zu erfahren; der Auftrag will sich für mich nicht recht schicken, denn ich werde, ohne es zu wollen, doch wohl zu ihrem Lobredner werden müssen. Der Effekt war groß! Es ist hier Sitte, daß am Geburtstag des Kurfürsten nur der Hof mit Applaudissement empfangen und dann die Oper ohne laute Aeußerung des Beifalles angehört wird. Das sollte diesmal auch so sein, aber schon vor Ende des ersten Akts brach ein stürmischer Beifall los und nun war die Etiquette für den Rest des Abends vergessen. Die Aufführung war wirklich vorzüglich. Gerstäcker, die Roland, Hauser ganz ausgezeichnet, die Braun wenigstens erträglich und besser, als in anderen Rollen. Chöre und Orchester, Szenerie, Tänze, Schaugefechte, Umzüge, Gewitter, Dekorationen, Kleider, Alles vortrefflich. ... Mich hat diese Arbeit sehr glücklich gemacht und ich darf hoffen, daß die Oper auch an anderen Orten sehr gefallen wird.

Cassel, 2. August 1823.
 
Sie wünschen durch mich von der ersten Aufführung meiner neuen Oper ,Jessonda’ etwas zu erfahren; der Auftrag will sich für mich nicht recht schicken, denn ich werde, ohne es zu wollen, doch wohl zu ihrem Lobredner werden müssen. Der Effekt war groß und war es nicht bloß bei denen, die die letzten Proben besucht und daher schon eine genaue Kenntnis der Musik hatten, sondern auch beim großen Publikum. Es ist hier Sitte, daß am Geburtstag des Kurfürsten nur der Hof mit Applaudissement empfangen und dann die Oper ohne laute Äußerung des Beifalls angehört wird. Das sollte diesmal auch so sein, aber schon vor Ende des ersten Akts brach ein stürmischer Beifall los und nun war die Etikette für den Rest des Abends vergessen. Die Aufführung war wirklich vorzüglich. Die Solisten ausgezeichnet. Chöre und Orchester, Szenerie, Tänze, Scheingefechte, Umzüge, Gewitter, Dekorationen, Kostüme, alles vorzüglich: so mußte sie wohl eine große Wirkung hervorbringen. Mich hat diese Arbeit sehr glücklich gemacht und ich darf hoffen, daß die Oper auch an anderen Orten großen Beifall haben wird, da sie viel leichter wie meine früheren ist, ein sehr interessantes Sujet und weit einfachere und größtenteils lieblichere Musik hat.
Was hätte ich für eine Freude gehabt, wenn Sie zugegen gewesen wären! Ich war anfangs recht böse, wie ich Ihren Brief bekam, auch mein Vater, der bei uns ist, beklagt es sehr, Ihre persönliche Bekanntschaft nicht gemacht zu haben. Meine Eltern sind Ihnen für immer sehr zugetan, seit Sie sie damals aus der Todesangst gerissen haben und werden Ihnen das nie vergessen. – Ich möchte nun wohl, daß die Oper auch in Frankfurt gegeben würde und würde auf jeden Fall zur ersten Aufführung hinüberkommen, doch denke ich keineswegs daran, sie dort zu dirigieren oder mich sonst in das Einüben einzumischen ...

2. August 1823.
 
Sie wünschen durch mich von der ersten Aufführung meiner neuen Oper ,Jessonda’ etwas zu erfahren; der Auftrag will sich für mich nicht recht schicken, denn ich werde, ohne es zu wollen, doch wohl zu ihrem Lobredner werden müssen. Der Effekt war groß ... Es ist hier Sitte, daß am Geburtstag des Kurfürsten nur der Hof mit Applaudissement empfangen und dann die Oper ohne laute Äußerung des Beifalls angehört wird. Das sollte diesmal auch so sein, aber schon vor Ende des ersten Akts brach ein stürmischer Beifall los und nun war die Etikette für den Rest des Abends vergessen. Die Aufführung war wirklich vorzüglich. Die Solisten ausgezeichnet. Chöre und Orchester, Szenerie, Tänze, Scheingefechte, Umzüge, Gewitter, Dekorationen, Kostüme, alles vortrefflich: so mußte sie wohl eine große Wirkung hervorbringen. Mich hat diese Arbeit sehr glücklich gemacht und ich darf hoffen, daß die Oper auch an anderen Orten großen Beifall haben wird, da sie viel leichter wie meine früheren ist, ein sehr interessantes Sujet und weit einfachere und größtenteils lieblichere Musik hat. ...