Autograf: Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Wohlgebohrener Herr
Hochverehrtester Herr Kapellmeister!
Ew Wohlgebohren wollen beifolgende Gesänge, davon ich es wagte, Ihnen von dem Besten der Kunstkenner gefoderten Namen vorzusetzen, mit der jedem großen Geiste eigenen Nachsicht und Güte aufnehmen. Nur der Wunsch: einen Tondichter, dessen vielfache Werke mich zu offenkundiger Begeisterung erregten, so wie das Studium des technischen Theils derselben höchst belehrend auf mich einwirkte, ein freilich kleines Opfer der innigen Verehrung und Dankbarkeit darzubringen, heute mich mit dem nöthigen Muthe ausdrücken, meine Composition Ihnen vorzulegen. Die Texte von verschiedenen Dichtern sind von mir kurz vor meiner Abreise aus Pohlen, woselbst ich mich 1. Jahr aufhielt componirt. Dieser Umstand ist schuld, daß ich einen Text wählte (Hört Brüder die Zeit) den auch Ew. Wohlgeboren in Ihren vierstimmigen Gesängen im Musik setzten,1 die ich aber erst auf deutschem Grund und Boden kennen lernte.
Wie glücklich wäre ich, wenn mir das Schicksal vergönnte, mein Domicilium in Cassel aufzuschlagen. Ich privatisire seit 6. Monaten in Leipzig und wählte diesen Ort, weil er mir zur Herausgabe meiner Compositionen, so wie zur Erlangung einer Stelle als Musikdirector an einem Theater oder einer Kapelle, am zweckdienlichsten zu sein schien. Das erstere ist mir gelungen; ich habe die persönliche Bekanntschaft mit den hiesigen Musikhändlern gemacht und mehrere Manuscripte ihnen geliefert, die Theils schon heraus sind noch herauskommen. Zu einer Ausstellung öffnet sich jedoch noch keine Aussicht. Sie würden, Herr Kapellmeister, mich sehr verpflichten, wenn Sie bey vorkommenden Fällen, mich empfehlen möchten. Ich bin zu diesem Ende so frey, Ihnen zu berichten, daß ich schon in Posen, der Hautpstadt des preußischen Pohlens, bey der Döbelinschen Truppe Musikdirector gewesen, gleichzeitig auch einer Musikacademie am dasigen Orte vorgestanden habe. Döbelin, vor Gläubigern getrieben, entfernte sich aus Posen2 und die Gesellschaft löste sich auf. Ich privatisirte darauf im Königreich Pohlen, theils auf dem Lande, theils in Warschau. Auch als Organist wäre ich zu gebrauchen, da Orgel mein Lieblingsinstrument ist.
Im Fall es Ihnen möglich ist, mir einen festen Platz zu verschaffen so bitte ich Sie angelegentlichst darum, da Leipzig in der That mir sehr schlecht gefällt. Ein Ort dessen Bewohner nichts anderes als die kalte Bewahrung irdischer Interessen können, ist für die Kunst in der Regel taub und blind.
Genehmigen Sie die Versicherung meiner Ehrfurcht und Ergebenheit, mit der ich mich zu unterzeichnen die Ehre habe
Ew Wohlgebohren
ergebenster Diener
Zoellner
Leipzig d. 15tn April
1823.
Autor(en): | Zöllner, Carl Heinrich |
Adressat(en): | Spohr, Louis |
Erwähnte Personen: | Döbbelin, Carl |
Erwähnte Kompositionen: | Spohr, Louis : Lieder, Ten 1 2 Bass 1 2, op. 44 Zöllner, Carl Heinrich : Lieder, Ten 1 2 Bass 1 2 |
Erwähnte Orte: | Kassel Leipzig |
Erwähnte Institutionen: | |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1823041543 |
Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Zöllner an Spohr, 15.10.1827.
[1] Op. 44.5.
[2] Vgl. „Königsberg“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 19 (1817), Sp. 782; „[Seit der Mitte des vorigen Monats]“, in: Zeitung für die elegante Welt (1817), Sp. 1413.
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (31.05.2023).