Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

London, d. 4 April, 1823

Lieber Herr Kapellmeister,

Entschuldigen Sie, daß ich nicht von Hamburg oder Bremen aus schon Ihnen schrieb, aber 8 Tage in Bremen u. ebensoviele in Hamburg vergingen so schnell, daß ich nicht dazu kommen konnte; Mademoiselle Paasche ist noch auf ein ganzes Jahr engagirt u. ist trotz meiner Vorstellungen entschloßen, dann eine große Reise nach Italien, Frankreich u. England zu machen. Das gute Mädchen wäre schon1 eines beßern zu überreden aber die Eltern, rohe Menschen welche sie auf Reisen begleiten wollen, bestehen auf ihrem ersten Vorsatz. Sie wünschen übrigens sehr daß die Tochter2 in Cassel Gastdarstellungen geben könne. Ich habe mein Möglichstes gethan um dem Vater eine getreue Schilderung vom Reisen u. seinen vielen Unannehmlichkeiten zu machen, aber vergebens! Die Leute versprechen sich goldne Berge. –
In Bremen spielte ich in einer Abendunterhaltung d. Herrn Burow einige Ihrer Potpourris mit meiner Schwester3, mein Schwager Sengstack machte mich mit England bekannt, auf seine Worte(???) von London orientirte ich mich und suchte mir eine Straße aus wo ich nun Anstand nehme(???) und doch nicht zu fern von meinem Bruder Caesar bin. – Ries und Moscheles hab ich besucht, ersterer will mich zu den Direktoren der philharmonischen Konzerte führen. Kiesewetter ist noch hier, ist aber mit der Direktion zerfallen, kürzlich war er wieder in den Provinzen. – Das gewaltige Treiben in London hat so etwas grandioses das mir gar sehr gefällt, wenn nur die wege nicht gar so groß wären, gestern konnte ich vor Ermüdung nicht einmal4 mit Appetit zu Mittags eßen. – Seekrank hat mich die Seereise garnicht gemacht, aber wohl meine 9 andern5 Reisegefährten, die noch dazu schon früher zur See waren, mein Privatlogis ist zufällig bey einem Deutschen, so daß es mich wenig genirt nicht Englisch sprechen zu können, aber doch will ich die Englische Sprache während meines Aufenthaltes recht aus dem Grunde lernen, so wie es einem Grund geziemt. –
Recht herzliche Grüße an Ihre Frau, An Emilie u. Ida, an Ihre Schwägerin6, an Ferdinand7 und Hauptmann und auch an Hasemann

von Ihrem Sie innig liebenden
Eduard Grund.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Grund an Spohr, 26.02.1823. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Grund an Spohr, 18.11.1823.

[1] Hier gestrichen: „ge“.

[2] „daß die Tochter“ über der Zeile eingefügt.

[3] Christiane Sengstack. Zum Konzert vgl. „Bremen. Ende December 1822“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 26 (1824), Sp. 140-147, hier Sp. 145.

[4] „einmal“ über der Zeile eingefügt.

[5] Hier gestrichen: „meiner“.

[6] Die in Spohrs Haushalt lebende Schwägerin Wilhelmine Scheidler.

[7] Spohr Bruder Ferdinand, der in der Hofkapelle Kassel angestellt war.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (13.12.2022).