Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Herrn
Capellmeister Spohr,
Wohlgeb.
in
Cassel.

fr.


Hamburg, am 19ten März 1823.

Unartiger Herr Kapellmeister!

So lange lassen Sie mich, Ihren „Spohroman“, vergebens auf Nachrichten warten! – Ich höre so oft und so viel Schönes und Herrliches von Cassel jetzt erzählen, höre so viel von Ihrer neuesten Oper1, von dem Talent und der schönen Stimme Ihrer Tochter Emilie2! Bitte! bitte! bitte! Theilen Sie mir doch einmal selbst, (wenn auch noch so wenig,) etwas Schriftlichers davon mit! – Wie sind Sie mit der „Umbesetzung“ Ihres Oktetts zufrieden? Wie geht es mit Ihren Schülern: Gerke, Mühlenbruch und Lindenau?3 Spielen Sie oft Quartett? – Doch vor Allem bitte ich auch um gütige Nachricht über Ihre liebe Familie. Befindet sich Ihre verehrte Frau Gemahlin in Cassel recht gesund? Haben Sie auch kürzlich Nachrichten aus Gandersheim (dem Städtchen, an welches sich, o! so viele frohe Erinnerungen für mich knüpfen,) erhalten? –
Aber verzeihen Sie mir gütigst meine vielen Fragen, nur die innigste Theilnahme an dem Wohl Ihrer ganzen Familie hat dieselben veranlaßt.
Eduard Grund ist hier kürzlich angekommen, wird sich 8 Tage auch noch in Bremen aufhalten und dann nach England reisen.4
Ueber unsere Familien-Angelegenheiten könnte ich Ihnen zwar Manches, aber nur wenig Erfreuliches mittheilen; daher lieber still davon; nur so viel: unser eigner Onkel Hartmann hat 4 Wochen vor dem Tode unsres Vaters einen Zeitpunkt benutzt, wo derselbe gänzlich ohne Bewußtseyn und Kraft darnieder lag, eine sogenannte Disposition aufsetzen lassen und sich darinn selbst – zum Exec. Testam.5 und zum Vormund der unmündigen gemacht, um – jetzt in dem Nachlaß meines Vaters nach Herzenslust herumwühlen zu können!?
– Nun noch ein Auftrag. Eine Demoiselle Frühwirth, Schülerin von Steinfeldt, welche vor einem Jahre hier zuerst als Sängerinn auf dem Theater auftrat, aber (besonders in der letzten Zeit) wenig Beifall fand, wünscht nichts mehr, als unter Ihrer Leitung bey dem Casseler Theater engagirt zu seyn. Ich habe ihr ein paar Monate wöchentlich eine Generalbaß-Stunde gegeben und kenne daher auch die Mutter. Beide (Mutter und Tochter) verdienen gewiß in Hinsicht Ihres Betragens pp. alle Achtung, aber Talent scheint mir Letztere nicht, weder zur Sängerinn noch Schauspielerinn, zu besitzen.6 Doch muß ich Sie ersuchen, diese meine aufrichtige Meinung ja für sich zu behalten; nur ersuche ich Sie noch, mir so bald als möglich eine gefällige Antwort (die aber wohl so eingerichtet seyn müßte, daß ich sie der Demois. Frühwirth selbst vorzeigen könnte,) hierüber zukommen zu lassen. Hier kann das arme Mädchen auf keinen Fall bleiben, denn die Propositionen der Direktion sind von gar zu erbärmlicher Art; 300 Rth. hat man jährlich angeboten! Davon sollten Mutter und Tochter in dem theuren Hamburg leben! Hübsch ist sie freilich auch nicht und besitzt überhaupt keine äußerlich7 anziehenden Eigenschaften, was doch ja alles von Theater-Direktionen mit verlangt wird, aber an8 Fleiß und gutem Willen läßt sie es gewiß nie fehlen. Sollte es Ihnen daher möglich seyn, sie auf irgend eine Weise bey dem Theater in Cassel zu placiren, so thun Sie gewiß ein recht christliches Werk, denn die armen Leute sind ganz ohne Hülfe und können doch hier auf keinen Fall bleiben. Ein Herr von Plessen, bey dessen Familie diese Frühwirth mit ihrer Mutter vorher im Hause war, wird Ihnen auch deshalb noch schreiben.9
Hierbey folgen noch die Quitungen über verschiedene kleine Auslagen; für Saiten: 24 Fl. 4 S.; für die Ouv. zum Faust 5Fl. 4S., für die Anzeige im Korrespondenten: 7Fl., in Summa 36 Fl. 8 S.
Um recht viele herzliche Grüße an Ihre ganze verehrte Familie bittet

Ihr ergebenster Freund und Diener
J. F. Schwencke.

Adresse: Dammthorwall, No 405.



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Schwencke an Spohr, 14.07.1822. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Schwencke an Spohr, 02.12.1823.

[1] Jessonda.

[2] Später verheiratete Zahn.

[3] Lindenau und Mühlenbruch kamen aus Hamburg, Gerke aus dem benachbarten Lüneburg.

[4] Zu Grunds London-Aufenthalt vgl. Ferdinand Ries an William Watts, April 1823, in: Ferdinand Ries, Briefe und Dokumente, hrsg. v. Cecil Hill (= Veröffentlichungen des Stadtarchivs Bonn 27), Bonn 1982, S. 177.

[5] Testamentsvollstrecker

[6] Vgl. Dramaturgische Blätter für Hamburg (1822), S. 202f., 276, 362 und 475; „Aus Barmbeck über Hamburg“, in: Wegweiser im Gebiete der Künste und Wissenschaften (1822), S. 261ff. und 265f., hier S. 261; Dr., „Hamburgische Theater-Zeitung. Stadt-Theater“, in: Originalien aus dem Gebiete der Wahrheit, Kunst, Laune und Phantasie 6 (1822), S. 295 und 343.

[7] „äußerlich“ über der Zeile eingefügt.

[8] „an“ über der Zeile eingefügt.

[9] Nicht ermittelt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Wolfram Boder (21.06.2018).