Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

An
des Herrn Capellmeisters Spohr
Wohlgeboren
bei
Kurfürstl. Hessischer Hof-Capelle
zu
Cassel.

frey1.


Wohlgeborner Herr,
hochgeehrtester Herr Capellmeister.

Wenn ich mir erlaube Ew. Wohlgeboren mit einer Bitte zu behelligen, so rechne ich dabei auf Ihre mir bekannt gewordene Güte, und glaube um so mehr einer baldgefälligen Erfüllung derselben gewiß zu seyn2, da mein Vater, der Hofmusicus Hollenstein bei seiner Anwesenheit in Frankfurt die Ehre hatte, Ihre, ihm so werthe Bekanntschaft zu machen.
Nachdem ich in Carlsruhe meine Laufbahn als Sängerin eröffnet und daselbst mehrere Jahre bei dortigem Hoftheater mehrentheils in den ersten Opernparthien aufgetreten, ward ich Ende des vorigen Jahres aufgefordert, nach Braunschweig zu kommen, um daselbst erste Gastrollen zu geben und alsdann nach Umständen bei dem National-Theater angestellt zu werden. Die Abreise verzögerte sich wegen Kränklichkeit, von der ich auch in Frankfurt befallen war, und ich ward daher verhindert, zur bestimmten Zeit in Braunschweig einzutreffen. Während des ließ man sich mit andern Sängerinnen in Unterhandlung ein und engagirte eine Demoiselle Schäffer. Ich habe nun jetzt hier in Braunschweig 2 Gastdarstellungen als Königin der Nacht3 und Donna4 Anna5 (im welcher letztern Parthie ich, wie ich mir schmeichle, ungetheilten Beifall erdtete) gegeben und werde morgen die Constanze6 singen.7 Hoffnung zur Anstellung hieselbst habe ich dennoch, ob schon man die erwähnte Demoiselle – die noch ganz Anfängerin sein soll – engagirt hat; jedoch ist’s ungewiss, und um nun nicht länger in einem ungewissen Verhältniss zu stehen und um keine Zeit zu verlieren und vorzüglich da ich erfahren habe, dass es bei dortiger Bühne an einer Sängerin fehlen soll, erlaube ich mir, Ew. Wohlgeboren ergebenst zu ersuchen, mir so bald als thunlich, wissen zu lassen, ob das der Fall ist, und ob ich Hoffnung haben kann, dort einige Gastdarstellungen zu geben und nachdem ich gefallen sollte, daselbst Anstellung zu finden, auch gefällig zu bemerken, auf welches Honorar ich ungefähr, für die Gastdarstellungen, rechnen könnte. Es kommt alsdann auf die löbl. Direction an, in welchen Parthien ich auftreten und welche von den Folgenden gewählt würden:
Donna Anna, Constanze, Sargines, Sextus8, Oberon pp
Bienahe muss ich fürchten, Ew. Wohlgeboren Unwillen auf mich zu ziehen, denn ich komme noch mit einer Bitte. Ich ersuche auf Ihre geneigte Nachsicht und ersuche Sie, beikommenden Brief an seine Adresse zu befördern. Es ist von Herrn Weixelbaum aus Carlsruhe und betrifft meine Person. Leider hatte ich bei meiner Durchreise durch Cassel auf der Post, die keinen Aufenthalt gestattet, nicht Zeit, selbst Ew. Wohlgeb. und9 Herrn Feige meine Aufwartung zu machen und den Brief selbst zu behändigen, weshalb ich mich zu entschuldigen sehr bitte.
Ew. Wohlgeboren werden mir meine Freyheit verzeihen; ich wußte Niemand anders mich zu wenden und galube den rechten Mann in Ihnen gefunden zu haben, da mein Vater mir so viel Gutes von Ihnen und Ihrer Gefälligkeit oft erzählte.
Euer baldgefällige Benachrichtigung gegenwärtigend verbleibe mich mit ausgezeichneter Hochachtung

Ew. Wohlgeb.
ergebenste
Mare Hollenstein

Braunschweig d 19t Febr. 13

Die Antwort bitte ich unter der Adresse meines Hn. Wirthes zu senden, nämlich
An
Herrn Hoftapezirer Schröder
(Papenstieg)
Braunschweig.



Spohrs Antwortbrief vom 23.02.1823 ist derzeit verschollen.

[1] Auf dem Adressfeld befindet sich rechts oben der Poststempel „BRAUNSCHWEIG / FEB 23“; links über dem Adressfeld der Stempel „22 FE[BRUAR]“.

[2] „zu seyn“ über der Zeile eingefügt.

[3] Rolle in Die Zauberflöte von Wolfgang Amadeus Mozart.

[4] Hier gestrichen: „Elvira“.

[5] Rolle in Don Giovanni von Wolfgang Amadeus Mozart.

[6] Rolle in Die Entführung aus dem Serail von Wolfgang Amadeus Mozart.

[7] Vgl. „Braunschweig, im März“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 25 (1823), Sp. 216-220, hier Sp. 218f.

[8] Rolle in La clemenza di Tito von Wolfgang Amadeus Mozart.

[9] „Ew. Wohlgeb. und“ über der Zeile eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (04.08.2021).