Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287
Druck: Ferdinand Ries, Briefe und Dokumente, hrsg. v. Cecil Hill (= Veröffentlichungen des Stadtarchivs Bonn 27), Bonn 1982, S. 168f.

a
Monsieur
Monsieur L. Spohr
Directeur &c
a
Cassel


London 14 Feb. 1823

Mit vollem Herzen, lieber Freund, schreibe ich Ihnen, über einen Brief, den ich gestern von meinem Bruder erhielt: ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr ich Ihr freundschaftliches Anerbiethen fühle, und stets dafür innig dankbar bleiben werde: nichts hätte mir wiederfahren können, welches mir mehr innigeres, unverhofftes Vergnügen machen konnte, und ich hoffe nicht allein, daß mein Bruder nun als Schüler dankbar seyn wird, sondern wenn er so unverdorben und gutmüthig bleibt, auch als Wunsch eine persönliche Anhänglichkeit zeigen wird; die dem großen Künstler auch manchmal eine angenehme Stunde verschaffen kann. Der höchste Wunsch meines Bruders ist befriedigt, und ich hoffe, er wird wissen davon Gebrauch zu machen. Hätten Sie seinen Brief an mich lesen können, so würden Sie wahrlich mit mancher Aeußerung zufrieden seyn und über manches gelacht haben. Nun, lieber Freund, muß ich Sie doch noch um eine andere Gefälligkeit bitten, ich hatte ihm beym H. Mendelson1 in Berlin ganz besonders empfohlen, und auch Geld angewiesen, was er aber nur monathlich erhalten sollte – in der Hoffnung, daß dieses Mittel ihn kurz halten würde, indem er nie von Haus war, von schlechten Menschen und Gesellschaft keine Idee hat, nie Geld gehabt und gebraucht hat. Ich kenne in Cassel keinen Menschen, den ich damit beschweren könnte, muß also nun an Ihnen kommen, indem Goldschmidt2 mit keinem Hause in Verbindung steht, und ich meinem Bruder alles Geld in Hände geben müßte – ich werde Ihnen also nächste Post einen Wechsel schicken (indem ich an meinen Bruder schreiben will) und sind so freundschaftlich, lieber Spohr, ihm monathlich auszuwerfen, was Sie glauben, daß er braucht, und wenn das alle ist, so will ich schon wieder eintreffen. Es ist unmöglich Ihnen zu sagen, wie froh und glüklich ich über diese Geschichte bin, und ich darf wohl nicht sagen, sollte es mir in den Weg fallen, irgendwo Ihrer Kinder oder Familie nützlich zu werden, ich keiner weitere Anspornung bedürfte. Finden Sie eine kleine Viertelstunde Zeit, mir einmal wieder einige Zeilen zu schreiben, so wird es mich unendlich freuen, doch da Ihre Zeit beschrankt und der Welt zugehört, so tragen Sie nur meinen Bruder auf3, was er mir schreiben sollt.
Mit recht herzlichem Vernügen höre ich, daß Ihre liebe Frau, der Sie mich bestens empfehlen wollen, und auch von meiner Frau, recht wohl ist – und gewiß in Ihrer Familie glüklicher wie in England ist.4
Nun auch eines – seit dem 17 Januar habe ich an Breitkopf & Härtel in Leipzig meine Sinfonie in F- (die glaube ich Ihnen am besten gefiel) verkauft, sie wird diese Ostermesse herauskommen – Sie ist Ihnen dediciert, und nehmen sie diese als ein Beweiß meiner Freundschaft und Liebe an. Ich sage Ihnen dieses jetzt, damit Sie sehen, der Künstler und der Freund war mir theüer, auch wie er mir nicht dienen konnte, und daß ich mich nicht durch Ihre Güte und Theilnahme für meinen Bruder bestechen ließ. Ich bin über Hals und Kopf in der Arbeit, und in anderhalb Jahr hoffe ich England zu verlassen. Grüßen Sie meinen Bruder herzlich und bleiben mir immer zugethan.

Ihr
unveränderlicher
Ferd. Ries

Autor(en): Ries, Ferdinand
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Mendelssohn, Joseph
Ries, Harriet
Ries, Hubert
Erwähnte Kompositionen: Ries, Ferdinand : Sinfonien, op. 110
Erwähnte Orte: Kassel
Erwähnte Institutionen: Breitkopf & Härtel <Leipzig>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1823021443

Spohr



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Ries an Spohr, 24.12.1822. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Ries an Spohr, 28.10.1823, aus dem sich noch ein derzeit verschollener Brief von Spohr an Ries erschließen lässt.

[1] Joseph Mendelssohn, der Inhaber des Bankhaus‘ Mendelssohn. Dessen Bruder Abraham Mendelssohn Bartholdy hatte das Bankhaus 1821 verlassen.

[2] Das Bankhaus B.A. Goldschmidt & Co. in London (vgl. Druck, S. 170, Anm. 2).

[3] „auf“ über der Zeile eingefügt.

[4] Im Gegensatz zu früheren Reisen nahm das Ehepaar Spohr ihre beiden Töchter auf die zeitlich ausgedehnte Reise nach London nicht mit (vgl. Louis Spohr, Lebenserinnerungen, Bd. 2, Tutzing 1968, S. 93, Text mit fehlerhafter Paginierung auch online; ders., Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 109).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (18.07.2019).