Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,42
Druck: Louis Spohr, Louis Spohr's Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 158f. (teilweise) 

Cassel am 26sten Januar
23.
 
Herzlich geliebter Freund,
 
Verzeihen Sie gütigst, daß ich Ihren Brief vom 22sten Dez. nicht sogleich beantwortet habe; ich war in der letzten Zeit mit meiner neuen Oper so eifrig beschäftigt, daß ich darüber alles übrige ein wenig vernachlässigt habe. Nun ist sie fertig (bis auf die Ouvertüre) und ich bin recht froh eine so bedeutende Arbeit vollendet zu haben. Wenn ich von dieser Oper mehr erwarte, wie von den früheren, so stützt sich dieß auf meine vermehrte Erfahrung und Theaterkenntniß und auf die Begeisterung mit der das wohlgerathene Buch mich fast bey jeder Nummer erfüllte. Um ein anders als in Stunden der Weihe an die Arbeit zu gehen habe ich mir auch bey dieser Arbeit viel mehr Zeit wie bey allen frühern gegönnt. – Wir wollen nun sehen! –
Ich bin leider außer Stande Herrn Guhr mein Oratorium zu borgen, da ich weder die Partitur noch Stimmen in dem Augenblick selbst besitze. Vor 8 Jahren oder länger lieh ich es dem Kap.mstr. Schnabel in Breslau und weil ich in damaliger Zeit stets ambulant war, bat ich ihn, es bis auf weitere Order uns aufzubewahren. Dort liegt es nun noch und ich hatte bis jetzt keine Veranlassung es kommen zu lassen. Übrigens hätte es, mit den dortigen Mitteln doch nicht aufgeführt werden können, da zu mehreren Nummern 3 Chöre und 2 vollständige Orchester gehören. – Bey der Gelegenheit könnten Sie mir eine Gefälligkeit erzeigen, wenn sie Herrn Guhr erinnern wollten, uns so bald wie möglich den Idomeneus von Mozart, den wir ihm zu seinem Weihnachtsconcert geliehen haben, wieder zurück zu schicken, indem wir einiges daraus in unserm Abonnementkonzerten aufführen wollen.
Die Aufführungen des Faust, besonders die 2te und 3te waren recht gelungen. Der Antheil, den das Publikum daran nahm, steigerte sich, so wie es bekannt damit wurde. Die hiesige Zeitung hat vortheilhafte Berichte Sonette und Lobgedichte geliefert.1 – In der bevorstehenden Messe werden wir ihn wieder geben. – In Weimar, wohin ich mit unserm Generaldirektor einen kl. Ausflug machte, haben wir eine junge, sehr talentvolle Sängerin, Dem. Roland engagirt, die eine herrliche Zemire seyn wird. So wie diese angekommen seyn wird, werde ich auch diese Oper wieder in Gang bringen können. Meine neue Oper wird zum Geburtstag des Kurfürsten den 28sten Juli zum erstenmal gegeben werden. Dann denke ich mit meiner Familie eine Erholungsreise über Frankfurt nach der Schweitz zu machen. Vielleicht könnte die Oper auch in Frankfurt während meiner Anwesenheit auf der Hin- oder Her-Reise gegeben werden, was mir sehr lieb seyn würde.
Die Gesangscene fange ich mit dem Aufstrich an, damit ich das d recht zart ansetzen und zu einer Stärke anwachse lassen kann. Freylich hätte Poussé dabey stehen sollen. – Das Octett ist nun erschienen und wir haben es bereits mit unsern guten Hornisten einmal gemacht. Es ist eben noch schwerer als das Nonett und will noch sorgfältig geübt werden. – Emilie war anfangs der Kur beinahe von ihrem Ausschlag und hat sie daher gar nicht begonnen. Herzliche Grüße von uns allen. Stets Ihr treuer Freund Louis Spohr.



Dieser Brief ist die Antwort auf Speyer an Spohr, 22.12.1822 und 23.01.1823. Danach scheint eine Pause eingetreten zu sein und der nächste überlieferte Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Speyer, 04.04.1823.
 
[1] Noch nicht ermittelt.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (16.02.2016).

Ich war in der letzten Zeit mit einer neuen Oper so eifrig beschäftigt, daß ich darüber alles Andere ein wenig vernachlässigt habe. Nun ist sie fertig und ich bin recht froh eine so bedeutende Arbeit vollendet zu haben. Wenn ich von dieser Oper mehr erwarte, wie von den früheren, so stützt sich dieß auf meine vermehrte Erfahrung und auf die Begeisterung mit der das wohlgerathene Buch mich fast bey jeder Nummer erfüllte. Um nie anders als in Stunden der Weihe an die Arbeit zu ehen, habe ich mir bei dieser Arbeit viel mehr Zeit, als bei allen früheren gegönnt.