Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Leipzig am 4 Dec 1822

Mein lieber sehr verehrter Freund,

ich habe durch meinen Freund Reissiger, der sich jetzt in München aufhält erfahren daß Sie Molique zu den erledigten Stellen in Hannover und Gotha vorgeschlagen haben, ind(???)1 er aber in München bleiben werde. Mein Jugendfreund Louis Maurer in Petersburg, ein sehr guter Geiger und guter Komponist, der auch ein Orchester zu leiten durch eigene Erscheinung(?) belehrt(?) versteht, äußerte mir bey seiner lezten Anwesenheit in Deutschland daß er sich danach sehnt in sein Vaterland zurück zu kehren, wenn er eine für ihn passende Stelle finden könne, und diesen empfehle ich nun Ihner freundschaftlichen Obsorge: Sie haben ihn vielleicht selbst kennen gelernt, wenn nicht, so können Sie auf meine Empfehlung bauen.
Reissiger, von dem ich mit Ihnen sprach, macht mir große Freude, und kürzlich hat er mir eine Messe, eine Hymne und ein Klavierquintett geschickt, welches Alles ihm die größte Ehre macht. Das Quintett wird bey Peters erscheinen, und von der Messe sind das Kyrie und Gloria hier in den Kirchen mit großem Beyfall gemacht worden. Mein Schwiegervater2, sonst ein strenger Kritiker, ist außerordentlich mit diesen Arbeiten zufrieden u spricht mit wahrer Begeisterung von den Schönheiten der Messe. Reissiger ist noch immer in München wo Winter sich seiner liebevoll angenommen, und schreibt unter dessen Leitung eine Oper mit der er Anfang nächsten Jahres fertig zu seyn hofft. Es macht große Freude wenn man meinen Schüz u Pflegling so nach Vollkommenheit streben u sich so auf die beste Weise belohnt sieht. Hier habe ich jetzt einen Schüler, einen jungen Herrn aus dem Orchester namens Just, der Anlagen und Fleiß hat, u ich hoffe einen guten Violoncellisten aus ihm zu ziehen, u ihn noch im Winter im Konzert zu produziren.3
Man thut was man kann für die Kunst, nur ist hier der Sinn für Musik sehr lau. Meine Frau ist jetzt fleißig über Ihrem herrlichen Faust her. Nun(???) grüßen Sie Ihre gute liebe Gattin u Kinder mit herzlicher Freundschaft:

Ihr aufrichtiger Freund
C. Weisse

N.S. bitte um gefällige Abgabe der Anlage.



Spohrs Antwortbrief vom 15.01.1823 ist derzeit verschollen.

[1] Abk. f. „indessen“?

[2] Johann Gottfried Schicht.

[3] Der erste solistische Auftritt August Justs ist erst für den im Sommer in einem Konzert des Leipziger Musikvereins nachgewiesen („Leipzig, von Ostern bis Michaelis“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 25 (1823), Sp. 786-792, hier Sp. 788), in den Gewandhauskonzerten erst am 20.11.1823 („Leipzig, am 26. Juny. Abonnement-Concerte von Michaelis 1823 bis Ostern 1824“, in: ebd. 26 (1824), Sp. 485-490, hier Sp. 489).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (21.10.2021).