Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,204

Herrn
Hofkapellmeister Louis Spohr
Wohlgeb.
Cassel
in Hessen.


Offenbach am 20 Juli 1822.

Theurer Freund!

Die herzlichen Wünsche welche Sie mir in Ihrem Briefe vom 6 d. ausdrücken, thun gewiß meinem Herzen sehr wohl. Wir leben dem Himmel sei Dank! glücklich und vergnügt allein zu unserer Zufriedenheit trägt es viel bei, daß wir auch Sie und Ihre Familie in einer angenehmen, ehrenvollen und sichern Stellung wissen und das Verlangen, uns selbst davon zu überzeugen ist so groß, daß wir uns entschlossen haben, noch im Laufe dieses Sommers (wenn nichts störendes eintritt) eine Reise nach Cassel anzutreten, d.h. meine Frau und ich; wahrscheinlich wird uns d’Orville mit seiner Tochter begleiten. Sein Sie daher so gut mir die Periode zu bestimmen, welche Sie am zweckmäßigsten und belohnendsten halten zur Antretung der Reise.
Wir haben in Herrn Hauser einen sehr gebildeten Künstler und liebenswürdigen Menschen kennen lernen, und sehr vergnügte Augenblicke in seiner Gesellschaft erlebt. Er wird Ihnen die verschiedenen Data und Situationen erzählen welche sich bei unsern musikalischen Unterhaltungen ereignet haben insbesondere der Vorfall mit dem frz. Geiger Fémy. Grüßen Sie denselben von uns Allen auch im Auftrag des Keglers(?) Hoefer.
Herrn Feige habe ich beim Mittagessen bei Rothschild1 gesehen, allein sonderbarerweise nicht gesprochen. Er war nämlich mit einem Stallmeister des Kurfürsten mit dem ich mich über Cassel und Sie lebhaft unterhielt. Während dem Essen rief er den ihm gegenüber sitzenden Feige beim Namen. Auf meine Frage an Frau von Rothschild (die mir zur Seite saß) ob jener Herr Direktor Feige wäre antwortete sie: er wäre ebenfalls ein Stallmeister. Hierdurch kam es daß ich seine Bekanntschaft gar nicht machen konnte und nachher erst erfuhr, daß ein Irrthum obwaltete.
Herrn André habe ich wegen Ihres Concertes erinnert und werde Ihnen vielleicht den ersten Abdruck mitbringen. – Auf die neuen Quartetten freue ich mich gar sehr und bitte Sie recht sehr, mir sobald wie möglich ein Exemplar zu senden.
Die Canzi hat nun ihre Gastrollen geendet, ohne, wie Sie es Ihnen versprochen in der Zemire aufzutreten. Zwar habe ich im Namen mehrerer Musikfreunde in der hiesigen Zeitung um die Zemire gebeten allein ohne Erfolg.2 Indessen glaubte sie doch für die Verehrer Ihrer Muse etwas thun zu müssen und sang als Aschenbrödel3 die bekannte Rosen-Romanze. Wie sonderbar indessen die sentimentale Romanze der kindischen Aschenbrödel anstand, werden Sie wohl begreifen. Als Entschuldigung gab man an, die Oper wäre gar zu schlecht besetzt, allein wenn man bedenkt, daß durch die schlechte Besetzung die Leistung der Hauptparthien nur noch in besseres Licht gesetzt wird, so scheinen andere Motive die Veranlassung zu sein. – Demois. Canzi ist gewiß eine vortreffliche Sängerin, allein die ewigen Wiederholungen ekelhafter Compositionen der osini und asini verbittern den Genuß.
Den Faust hörten wir durch Herrn Hauser4 mit wahrem Vergnügen auch Sie werden Ihre Freude haben, wenn er in dieser Parthie bei Ihnen auftritt. Sein Spiel ist auch recht sehr gut und delicat, besonders in der famosen zudringlichen Ball-scene. Die erste Tenor-Arie in F transponirt macht sich nicht ganz gut. Die Tonart As ist weicher. Sollte es wohl möglich sein den Faust im Lauf des Monaths August dorten in Scene zu setzen? Dann würden wir unsere Reise darauf einrichten. Sagen Sie mir dieses so bald wie möglich. Auch bitte ich Sie, mir einen guten Gasthof wo möglich nicht sehr entfernt von Ihrer Wohnung aufzugeben, nur im Fall die Reise festgesetzt ist, die Zimmer im Voraus für uns zu besetzen. – Ich kann Ihnen nicht sagen wie sehr ich mich auf die Reise freue, und wir schwelgen bereits im Vorgenuß; Grüßen Sie die Ihrigen von uns Allen auf das Herzlichste und genehmigen Sie die Versicherung wahrer Freundschaft

von Ihrem Wm Speyer



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Speyer, 06.07.1822. Speyer beantwortete diesen Brief am 28.07.1822.

[1] Vermutlich Amschel Mayer von Rothschild, denkbar wären aber auch seine 1820 ebenfalls in Frankfurt ansässigen Brüder Salomon und Karl (vgl. Staats-Calender der Freien Stadt Frankfurt 1820, Frankfurt am Main [1820], S. 136; Edward Speyer, Wilhelm Speyer der Liederkomponist 1790-1878. Sein Leben und Verkehr mit seinen Zeitgenossen dargestellt von seinem jüngsten Sohne, München 1925, S. 323-331).

[2] [Wilhelm Speyer], „Bitte”, in: Frankfurter Ober Postamts Zeitung 03.07.1822, nicht paginiert.

[3] La Cenerentola von Gioachino Rossini.

[4] Vgl. „Chronik der Frankfurter Nationalbühne”, in: Iris (1822), S. 184

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (15.02.2016).