Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Herrn
Kapellmeister Spohr,
Wohlgeb.
in
Cassel.

fr.

Hierbey ein Packen
Musikalien, gezeichnet L.S.
Werth: 20 Rth.


Hamburg, am 14ten July, 1822.

Hochgeschätzter Herr Kapellmeister!

Längst schon hoffte ich auf die Erfüllung Ihres gütigen Versprechens, mir bald wieder zu schreiben. Machen Sie mir doch recht bald diese Freude, denn daß mich Alles, was Sie und Ihre liebe Familie angeht, auf das Innigste interessirt, daran, hoffe ich, werden Sie nicht zweifeln. – Ich lege hierbey die Abschrift der Partitur des Oktetts nebst dem Arrangement als Quintett1, daß es Ihre gütige Zufriedenheit erhalten möge. Sehr angenehm würde es mir seyn, wenn Sie mich recht ausführlich mit Ihrer Meinung bekannt machten, und mir die Stellen, die Sie etwa verändert haben wollen, gefälligst anzeigten. Den Kontrabaß (ad lib.) habe ich später noch hinzugefügt. Gerne hätte ich Ihnen Alles schon früher geschickt, nur wünschte ich es vorher noch einmal zu hören, und leider ist hier jetzt der Sinn für Instrumentalmusik allgemein so sehr erstarrt, daß es mir viele Mühe machte, nur fünf Personen zu einer Probe des Quintettes zusammen zu bringen, obgleich ich die Arbeit schon in der Mitte des Winters vollendet hatte. – Um mich auch als Ehrmann des Ehrentitels „Spohroman“ nicht ganz unwürdig zu machen, so habe ich bereits (als erste Schreibung im Ehrstande) einen Auszug Ihrer schönen Sinfonie in d moll (als Septett) angefangen. – Eine Aufführung des Fausts hoffe ich nächstem Winter zu veranstalten, denn bisher verhinderte mich nicht so wohl meine Verheyrathung daran, als besonders so viele traurige und unangenehme Vorfälle in unserer Familie. Seit vielen Jahren habe ich keinen so traurigen Winter, als den letzten, erlebt! Es bewährte sich recht für mich das leidige Sprichwort: „Selten kommt ein Unglück allein“, denn wirklich jagte ein Unglück das andere! Meine alte Schwiegermutter lag zwey Monate sehr schwer krank; 5 Wochen konnte sie gar nicht sprechen, dabey litt sie an den furchtbarsten Gichtschmerzen. Kurz nach ihrer Genesung stürzte mein Onkel Minder, (ein herrlicher Mann, von seltener Herzensgüte,) mit dem Pferde auf dem Wall und blieb auf der Stelle todt.2 Unsere ganze Familie hat unendlich viel durch diesen Trauerfall verloren, besonders aber seine sehr schwächliche Frau und 4 unmündigen Kinder. Ende des Winters wurde ich selbst sehr krank, mußte mehrere Wochen das Zimmer hüten, (was in 16 Jahren nicht der Fall war,) und litt an unsäglichen Schmerzen durch Magenkrämpfe; jetzt aber befinde ich mich besser, als je vorher. Auch meine Braut (jetzt liebe Frau) litt sehr durch das anhaltende Wachen und Sorgen für ihre alte Mutter, deren einzige treue Stütze und Pflegerin sie war. Recht sehr habe ich deshalb für ihre Gesundheit gefürchtet, doch, dem Himmel sey Dank, es scheinen jetzt alle Plagen und Sorgen gewichen zu seyn, denn wir alle sind gesund und munter! – Nur allein an der Besserung meines Vaters müssen wir verzweifeln, denn sowohl seine körperlichen als geistigen Kräfte nehmen immer mehr ab, er ist im höchsten Grade melancholisch und durchaus durch Nichts mehr aufzuheitern, fast muß man daher wünschen, daß der liebe Gott ihn nur bald zu sich nehme, denn wahrlich martert er oft sich selbst und seine ganze Umgebung auf eine furchtbare Weise. –
B. Romberg hat sich ein großes Haus mit schönem Garten und mehreren kleinen Wohnungen für 52000 Fl. gekauft, und will nun noch für 10000 Fl. daran verbauen lassen, so daß ihn das Ganze 62000 Fl. kosten wird. – Beer reist heute mit seiner ganzen Familie über Lübeck nach Stockholm. – W. Grund will zu Anfang des nächsten Monats über Cassel nach Meiningen reisen und mit Eduard wieder zurück kommen. – Gerstäcker wollte in seinem Konzert hier die große Arie in e des 2ten Aktes Ihrer Oper: Zem. und Azor singen, und bath mich deshalb um die Partitur und Stimmen, doch hat er sie nicht gesungen, weil zu viele Musiker in der Probe fehlten. –
Meine Schwiegerinn3 hat alle Arien des Fausts eingeübt, und freut sich sehr darauf, sie Ihnen einmal vorsingen zu können. Kommen Sie doch ja bald nach Hamburg; es soll dann ungeheuer „gespohrt“ werden! – Wollen Sie, bester Herr Kapellmeister, mich vollkommen glücklich machen, so schicken Sie mir mitunter etwas von Ihren neuesten Kompositionen. Daß ich, wie immer, Alles als Heiligthum bewahren werde, versteht sich von selbst. –
Um recht viele herzliche Grüße an Ihre verehrte Frau Gemahlin und lieben Kinder bitten

Ihr
ergebenster Freund
J.F. Schwencke und Frau

Adresse: Dammthorwall, No 405.



Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Schwencke an Spohr, 19.03.1823.

[1] Johann Friedrich Schwencke fertigte eine Bearbeitung von Spohrs Oktett op. 32 für Klavier, Klarinette, Violine, Viola und Violoncello an, die 1826 bei Cranz in Hamburg im Druck erschien.

[2] Adolph Friedrich Minder stab am 15.02.1822. Er war ein jüngerer Bruder von Schwenckes Mutter Johann Margaretha Katharina (F[riedich] Georg Buek, Die Hamburgischen Oberalten, ihre bürgerliche Wirksamkeit und ihre Familien, Hamburg 1857, S. 294f.).

[3] Alter Ausdruck für Schwiegermutter, zum Teil aber auch für Schwägerin (Johann Christoph Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart, Bd. 3, Wien 1808, Sp. 1749). Die Identität der genannten Person wurde noch nicht ermittelt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Wolfram Boder (21.06.2018).