Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Muehlenbruch,H.:1

Wittmoldt (bei Plön in Holstein)
d. 13 July 1822.

Hochgeehrtester Herr Kapellmeister!

Ich würde es nicht gewagt haben, mich so geradezu an Sie zu wenden, wenn Ihre liebevolle Aufnahme, die ich bei Ihrem letzten Aufenthalt in Hamburg1 genoß, so wie Ihre freundschaftlichen Aeußerungen gegen meinen Vater, mich nicht gewißermaßen verpflichteten ein so wichtiges Anliegen wie mein Genenwärtiges, Ihnen lieber selbst mitzutheilen, als es durch einen Andern thun zu lassen.
Gleich nach Ihrer letzten Abreise von Hamburg im November 1819, begann ich meinen Unterricht in der Composition bei dem Musikdirector Schwencke, und setzte ihn bis zum Ende des Monats Juny 1820 fort. Mein Vater verließ damals Altona um auf‘s Land zu ziehen, und ich sollte mich entweder zur Musik oder zur Landwirthschaft bestimmen. Ich war 16 Jahre alt, und hatte leider! noch nie das väterliche Haus verlaßen, weshalb einzig und allein ich mich vor einer zu großen Entfernung von meinen Eltern bei meiner ersten Ausflucht fürchtete; ich widmete mich daher meines Vaters Wunsche zuwider, der Landwirtschaft, das erste Jahr brachte ich auf meines Vaters Landgute2, bei Rostock, zu, seit einem Jahre ist mein jetziger Aufenthalt in Holstein auf dem Gute des Herrn Eckhard3, eines vieljährigen Freundes meines Vaters, dessen Sohn4 Sie vielleicht im Hause des Hofpredigers Dr. Küper in London gesehen haben werden. Meine bisherigen Verhältniße haben mir nicht nur erlaubt durch fortgesetztes (wenn auch nicht regelmäßiges) Selbst-Studium der Musik den Sinn für dieselbe zu erhalten, sondern ihn noch mehr zu stärken, und ich habe zuweilen zu meiner heimlichen Freude von Andern hören müssen, daß ich niemals ein großer Landwirth werden könne, weil ich zu sehr an Musik hänge. Wenn ich länger bei der Oeconomie bliebe, so würden sich auch meine Geschäfte um ein bedeutendes vermehren und ich hätte alsdann die Aussicht, binnen einem Jahre mein Violinspiel vielleicht ganz aufgeben zu müssen; das Leben würde aber nicht viel Reiz mehr für mich haben, wenn ich meiner Neigung zur Musik unterdrücken müßte. Ich habe also den festen, unveränderlichen Entschluß gefaßt mich der Musik zu widmen, wozu ich auch, unter der Bedingung daß Sie, Hochgeschätzter Herr Kapellmeister, mein Lehrer und Vorbild werden, meines Vaters Einwilligung habe. Es ist also für mich keine Bitte denkbar, deren Gewährung oder Versagung so vielen Einfluß auf mein ganzes Leben haben könnte, als die, daß Sie mich zu Ihrem Schüler annehmen mögen; und nur das Vertrauen auf Ihre Nachsicht, mit der Sie mich in Hamburg unterrichteten, konnte mir den Muth geben, diese Bitte auszusprechen.
In wie fern ich Ihren Forderungen im Theoretischen Genüge leiste, kann ich nicht bestimmen, nur glaube ich mich der Zufriedenheit meines würdigen Lehrers, während der kurzen Zeit seines Unterrichts rühmen zu dürfen. Sie haben mich selbst vor 2½ Jahren auf der Violine gehört und wenn Sie es dann als der Mühe werth fanden, mich fast täglich bei Ihnen spielen zu lassen, so werden Sie aus meiner überragenden Neigung zur Musik schließen können, daß es mir wenigstens an den besten Vorsätzen nicht fehlen wird, um das Versäumte baldigst nachzuholen und mich hernach unter Ihrer Anleitung auszubilden.
Ich bin zugleich so frei, bei Ihnen anzufragen, ob Ihre Verhältniße es Ihnen gestatten, wenn ich vielleicht einst als Schüler bei Ihnen seyn darf, mich in Ihrem Hause aufzunehmen; oder ob Sie, wenn das nicht der Fall ist, mir ein anders Unterkommen dort anweisen können. Sollten Sie hierin etwas Zudringliches finden, so muß ich mich mit meiner gänzlichen Unbekanntschaft in Cassel so wie mit Ihren besondern Verhältnissen entschuldigen.
Schließlich ersuche ich Sie noch ergebenst um eine gütige Antwort, da ich so bald wie möglich meine neue Laufbahn anzutreten wünschte, und vorher gern noch meine Eltern5 möchte, addressiren Sie dann gefälligst Ihre Briefe an Herrn E. Hegewisch in Hamburg Neuenwall No 43, der sie mir von da zusenden wird. In Ihrer Antwort sehe ich auch zugleich einem Ausspruche über mein künftiges Schicksal entgegen und in der Hoffnung daß dieser günstig für moch ausfallen möge, verharre ich
mit der größten Hochachtung

Ihr Ergebenster
H. Mühlenbruch

Autor(en): Mühlenbruch, Heinrich
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Eckard, Christian Detlev
Eckard, Friedrich Albert
Hegewisch, Ernst
Kuper, William
Mühlenbruch, Caspar Friedrich
Schwencke, Johann Gottlieb
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Altona
Gerdshagen
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1822071340

Spohr



Spohrs Antwortbrief ist derzeit verschollen.

[1] Vgl. u.a. Spohr an Wilhelm Speyer, 19.10.1819.

[2] Das Gut Gerdshagen in Gerdshagen, heute ein Ortsteil von Satow in Mecklenburg-Vorpommern.

[3] Christian Detlev Eckard.

[4] Friedrich Albert Eckard.

[5] Gestrichen: „zu“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Wolfram Boder (28.05.2019).