Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr Wohlgeboren
Herrn Louis Spohr,
Churfürstlichem Hof-Kapellmeister
in
Cassel

durch Güte1


Mannheim den 26ten Juny
1822.

Hochgeehrtester Herr Kapellmeister!

Ich kann unmöglich die schöne Gelegenheit vorüber gehen lassen, da Herr Löwe mir den Brief zu besorgen so gütig ist, ohne einige Zeilen an Sie zu schreiben, und wünsche nur daß Sie dieselben freundlich aufnehmen. Es ist Ihnen vielleicht angenehm von mir zu erfahren, ob und wie H. Löwe hier gefiel, und ich muß in Wahrheit und mit einem Worte Ihnen sage „Außerordentlich
Er feyerte seinen Triumph von der ersten Rolle, der Jaromir und der 2te oder Roderick, in „Leben ein Traum“ bis zur dritten seine Benefiz-Rolle, der Corregio„ den er meisterhaft spielte, und hier allgemein Sensation machte. Wohl kann man nicht diese Rolle nicht vollendeter geben als er sie gab. Er ist Künstler, wahrer denkender Künstler, und soll wie ich allgemein hörte ein bescheidener Mann sein. Dieß erwarb ihm auch hier allgemeine Achtung.
Herr Löwe sagte mir, Sie befänden sich immer recht wohl und lebten recht zu frieden, welches mich freute. Meine Verhältnisse sind noch die Alten, ich muß mich mit geduld über manches Unangenehme hinwegsezen, und auf beßre Zeiten warten. Frey ist auch wohl und spricht oft mit mir von Ihnen und Ihrer Güte. Dieß regt denn immer lebhafter den Wunsch in mir, Ihnen näher zu sein. Doch muß ich die Realisierung dieses Wunsches ganz dem Zufalle und der Zukunft überlassen, ob dann nicht einmahl die Gelegenheit sich ereignen wird, daß Sie meiner sich erinnern, und meinen Wunsch in Erfüllung sezen können.
Damit Sie sehen können daß nichts als die Ihnen früher geschriebenen Ursachen der Veranlaß meiner Unzufriedenheit hier sind, mögte ich, da ich nicht über mein Talent Ihnen selbst schreiben kann, Ihnen durch beyliegende Zeitschrift2 bestätigen, woraus Sie auch vielleicht sehen können, da´ich auch Ihrer Kapelle nützlich sein kann. Es fragt sich nun wie Sie mit dem angekommnen Oboisten3 aus Braunschweig zufiriden sein können. Auf alle Felle dachte ich kann es mir vielleicht in Zukunft nutzen. Deshalb werden Sie mir meine Freyheit nicht verüblen, mit der ich diesen Brief au Sie zu schreiben4 mir erlaube. Es giebt Ihnen aber auch den Beweiß daß die gute Meinung für Sie, so fest begründet ist, daß mein Wunsch immer der nehmliche bleiben wird. Am 18ten Juny gaben wird hier durch den seit 7 Jahren zusammen getrettnen5 Rheinischen MusickVerein „Schneiders Oratorium, „Das Weltgericht“ mit einem Personal von gegen 300 Mitwirkenden. Die Aufführung war gut zu nennen, die Thelnahme aber von Seiten des Auditoriums etwas kühl, doch schon 7 Jahre sind zu einerley, man sollte wieder eine Erneuerung treffen, dachten die meisten, was doch nicht ganz reellen Musiksinn beweißt; So läßt alles nach. Das erste Jahr gaben wir „die Schöpfung“ das 2te „Messias“ das 3te „die 4 Jahreszeiten“ das 4te „Messias“ das 5te „das verlohrne Paradies“ neu6 von Kappelmeister Ritter das 6te „Judas Mackabäus“ und endlich das 7te „das Weltgericht. Ob7 und was wir das künftige Jahr geben weiß man noch nicht. Weber Freyschütz“ macht auch hier Glück und wurde 3 mahl nach einander geben. Ein allgemeiner Wunsch ist Spohrs Faust hier zu geben, und ich glaube daß von Seiten der Intendanz dieser Wunsch bald in Erfüllung gesetzt wird. Ein großes Hinderniß sind uns noch unser Chor, der sehr schwach und klein ist, und so lange der nicht wieder seine vorige Anzahl Mitglieder erhellt, wird machens gute Werk nicht zur Aufführung gebracht. In der Vorausezuung daß mein Brief Sie nicht beläßtigte ließ ich ihn so lange werden, schließe aber jezt mit der Versicherung der innigsten Hochachtung mit der ich bin

Ihr ergebener
Wilh. J. Maas
Hofmusikus



Der letzte erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Maas an Spohr, 21.03.1822. Der nächste erschlossene Brief dieser Korrespondenz ist Maas an Spohr, zwischen 10. und 27.08.1832.

[1] „Schließt man den Brief Jemanden zur Uebergabe bei, so schreibt man auf die Adresse: ,Durch Inlage‘ – ,durch Beischluß‘ – ,durch Einschluß‘ – ,durch Güte‘ oft auch abgekürzt nur die Anfangsbuchstaben: d. I. – d. B. – pr. E. – d. G. –“ (Neuester und vollständigster deutscher Universal-Muster-Briefsteller, sowie österreichischer Privat-Geschäfts-Secretär, welcher alle im bürgerlichen Leben vorkommenden schriftlichen Aufsätze zu verfassen lehrt, Bd. 1, o.O. [1842], S. 124).

[2] Dem Autograf  liegt die Zeitung vom 22.05.1822 bei: „Der Glanzpunkt der heutigen musikalischen Abendunterhaltung aber war das von Hrn. Hofmusikum Maas vorgetragene Konzert Winters für die Oboe, denn von all meinen Bekannten hörte ich einstimmig, daß sie nur, um den lieblichen Tönen zu lauscheen, die unser Künstler seinem Instrumente entlockt, den Theatersaal besucht hätten. Dieses Wintersche Konzert giebt einem Oboisten Gelegenheit, Kraft, Festigkeit Zartheit und Ausdauer des Tons zu beurkunden. Das erste Allegro ist besonders brillant, und von nicht unbedeutendem Kompositioneswerth Das Adagio zeichnet sich durch einen schönen Gesang aus. Von großer Schwierigkeit war eine von Hrn. Maas angebrachte Kadenz, zwischen dem Adagio und Rondo, wo er einen Ton mit ungeheuer langem Athem viele Takte hindurch anhielt, piano anfangend, bis zur größten Stärke wachsend, dann wieder verschwindend, mit demselben Athem mehrere wohlgelungene Läufe durch die Semitöne machte, und so den künstlichsten Uebergang zum netten Rondo bildete. Schon bei Beurtheilung des ersten Abonnements-Konzert von 28. Nov. d. v. J. (Siehe Nro. 72 der vorjährigen Charis) ist das bedeutende Talent dieses jungen Mannes gewürdigt worden, und Jeder, der ihn heute wieder höte, wird sich überzeugt haben, daß sein rastloses Studium, und seine hohe Liebe für dieses schwere Instrument, ihn bald zu jener Vollendung führen müssen, die man nur immer darauf erreichen kann, und seinen Namen jenen Künstlern begesellen werden, die einst auf der Oboe Epoche machten, und noch machen.“ (Erlach, „Konzert der Frau Rosa Beauval, geborne Krämer“, in: Charis 2 (1822), nicht paginiert).

[3] Wohl Wilhelm Ferling, der 1823, aber nicht mehr 1824 in den Besetzungslisten der Hofkapelle genannt ist (vgl. Kurhessisches Staats- und Adress-Handbuch (1823), S. 99; Kurhessisches Staats- und Adress-Handbuch (1824), S. 99).

[4] Hier gestrichen: „mich“.

[5] Sic!

[6] „neu“ über der Zeile eingefügt.

[7] Hier ein Wort gestrichen.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (15.07.2022).