Autograf: Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287[Humann:1
Wohlgeborner Herr
Insonders hochzuehrender Herr Kapellmeister
Die Freundlichkeit mit welcher euer Wohlgeboren meinen persönlichen Besuch in Dresden aufnahmen u. Die mir von denselben gütigst erteilte Erlaubnis ihnen eines meiner Geistesprodukte zur Durchsicht zusenden zu dürfen, geben mir den Mut euer Wohlgeboren mit gegenwärtiger Zuschrift lästig fallen u. Lassen mich auf eine günstige Aufnahme des Schreibens sowohl, als den darin gethaenen Bitten hoffen.
Seitdem ich der Kunst obliege ist mir noch niemals das Glück zu Theil geworden, von einem großen Meister mündlichen Unterricht, Zurechtweisung, u. Belehrung ohne welche sicher ein großer Teil der Bemühungen des angehenden Künstlers vergeblich u. fruchtlos sind, zu erhalten. Die Armuth meines Vaters u. deßen höchst zahlreiche Familie, u. das damals noch festsitzende Vorurtheil die Musik bei Stadtmusicis, des Lehrbriefs halber, lernen zu müßen, ließen nur den schlechtesten Unterricht zu, u. ganz aus eigenem Antriebe wagte ich Versuche zu komponieren, späterhin nahm ich meine Zuflucht, um etwas zu lernen, zu den Büchern, aus welchen ich aber eine große Menge Regeln, die in Ge u. Verboten wechselten nur die Überzeugung erhielt, wie oft unzuverläßig ja verwirrend diese sind, da ich vieles gar nicht trotz aller Anstrengung verstand, u. wie unentbehrlich für den der nicht ein entschiedenes ausgezeichnetes Genie ist mündlicher Unterricht eines guten aufgeklärten Meisters ist. Kurz ich war nicht im Standte1 diejenige Klarheit aus den Büchern zu erhalten nach welcher ich strebte, die Folge davon war daß ich sie negieret(???), u. mich beim Fortkomponieren den Zufall hingab, oder andere Tonstücke ohne Wahl nachamte, so sind den seit mehreren Jahren eine der Zahl nach nicht unbeträchtliche Menge Musikstücke, mancherlei Gattungen aus mir hervorgetreten, welche so wie sie da waren tod blieben, da mir der Muth fehlt sie öffentlich zu produciren, u. wenn ich auch hier u. da mit einigen Beifall erhielt, so scheint mir doch derjenige von der Menge, als der von Bekannten u. Freunden in mancher Hinsicht zweydeutig so habe ich bis jetzt immer bald mit Zweifeln bald mit Hoffnungen abgetrieben, u. kein Mann, deßen Urtheil Gewicht genug gehabt hätte, ist mir auf meiner Frage entgegengetreten ich suche diesen in euer Wohlgeboren, da mich außer Ihrer Kunst auch noch Neigung zu dero Bersönlichkeit2 hinzieht u. Zutrauen zu denenselben in erweckt hat. ich nahm mir daher die Freiheit euer Wohlgeboren hiermit eine Polonaise von mir mit der ergebensten Bitte zuzusenden, sich eines Künstlers, der den Namen Künstler verdienen müßte anzunehmen, u. dies Tonstück bey Muse u. Zeit durchzusehen, u. mir, bey Zurücksendung derselben, Ihr Antheil u. Anmerkungen gütigst mitzuteilen, ich erkenne sehr gut das Undenkbare welches für euer Wohlgeboren in diesen Anmuthen liegt u. fürchte sehr denenselben hindurch misfällig zu werden, allein ich erkenne die entschiedene Wichtigkeit für mich, wenn euer Wohlgeboren die Güte haben meine Bitten zu erfüllen, da ich durch Ihr Urtheil in der Stadt gesetzt3 würde, selbst beurteilen zu können, ob es der Mühe lohnt zum Komponisten fortzustreben, oder ob es beßer gethan dieß aufzuben4 u. mich ausschließend nun meinem Instrument zu widmen. Daher wage ich die Bitte, u. da meine Wünsche, nur darauf, etwas Gutes zu leisten, gerichtet sind, so dürfen euer Wohlgeboren nicht fürchten mich zu kränken, von Ihrer Meinung für Letzteres stimmen sollte.
Ein zweiter Grund welchen ich durch Ubersendung dieser Polonaise zu erreichen wünsche ist, euer Wohlgeboren, von dem was ich auf dem Fagott leiste, in Kenntnis zu setzen, u. in Bezug auf die persönlich denenselben vorgetragene Bitte, im Fall dieselben Subjekte für Fagottistellen brauchen sollten, auf mich gütigst mit Rücksicht zu nehmen erlaube ich mir einige Bemerkungen über mein Fagottspiel, die Manier werden euer Wohlgeboren aus dieser Polonaise ansehen können, u. mit der Mechanik bin ich so weit daß es mir nicht mehr sehr schwer fällt binnen kurzer Zeit jede Schwierigkeit zu überwinden, daß ich im Orchester nichts sitzen laße wird u. kann mir Probst5 bezeugen. Auch unterstehe ich mich zu versichern daß ich alle mir bekannte Musikstücke nach Ihren individuellen Forderungen u. Charakter (die einen haben) vortragen kann u. mir die zu meiner Polonaise, der oft reichen Instrumentierung halber nothwendige Tonkunst zu eigen gemacht habe.
Indem ich nun euer Wohlgeboren die Bitte um eine Anstellung unter Ihrer Leitung hiermit nochmals wieder habe . Scheint es mir nothwendig denenselben die Gründe zu den zweymal in 5 Jahren anzuzeigen, damit ich denenselben nicht, rücksichtlich meines Charakters in einer zweydeutigen Beichte erschien, aus Deßau vortrieb mich die unwürdige Behandlung die mir wiederfuhr als ich mich weigerte Tanzmusik zu spielen u. Handleisterdienste(?) zu thun zu welchen ich von Natur keinen Beruf fühlte, u. mich als Kammermusikus dazu nicht verpflichtet glaubte ich mußte auf Befehl des Herzogs u. Anstiften des verstorbenen Direktors Reineke 48 Stunden auf die Hauptwache in Gesellschaft roher gemeiner Soldaten u. zweitens auch der Wiederwille für Deßau meiner Frau. Mit den Dresdner Verhältnissen sind euer Wohlgeboren bekannt hier finden nur Künstler von gewißer Claße Anerkentniß, die Südwinde6 drohen alles zu verbrennen u. ich möchte gern greinen, u. die Fliegel hängen mir schon herunter.
Schlüßlich bitte ich euer Wohlgeboren nochmals gehorsamst mir die Freiheit denenselben mit meinem Schreiben beschwerlich geworden zu sein, gütigst zu verzeihen mit allergröster Hochachtung, u. den herzlichsten Wünschen, daß der Höchste Sie, noch lange zur Zierde u. Freude der Tonwelt künftig erhalten möge verharre einer geneigten Antwort harrend.
Euer Wohlgeboren ganz ergebener Diener
Adolph Humann
Dresden den 8ten April 1822
Autor(en): | Humann, Adolph |
Adressat(en): | Spohr, Louis |
Erwähnte Personen: | Humann (Ehefrau von Adolph Humann) Leopold IV Friedrich Anhalt-Dessau, Herzog Probst, Carl (Dessau) Reinicke, Leopold |
Erwähnte Kompositionen: | Humann, Adolph : Polonaise, Fg Orch |
Erwähnte Orte: | Dessau Dresden |
Erwähnte Institutionen: | Hofkapelle <Dessau> Hofkapelle <Dresden> Hofkapelle <Kassel> |
Zitierlink: | www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1822040843 |
Der Postweg dieses Briefs überschnitt sich mit dem derzeit verschollenen Brief Spohr an Humann, 07.04.1822, den Humann am 13.04.1822 beantwortete.
[1] Sic!
[2] Sic!
[3] Sic!
[4] Sic! Vermutlich gemeint: „aufzugeben“.
[5] Vermutlich der damalige Dessauer Konzertmeister und Spohr-Schüler Carl Probst.
[6] Mit „Südwinde“ sind hier sicherlich die in Dresden zahlreich angestellten italienischen Musiker gemeint. Damit scheint Ledeburs Darstellung unwahrscheinlich: „Mannigfache Verdriesslichkeiten mit C. M. v. Weber veranlassten ihn, Dresden zu verlassen und einem Rufe nach Cassel zu folgen, wo damals Spohr 1822 die dortige Kapelle neu organisierte“ (Carl von Ledebur, Tonkünstler-Lexicon Berlin's von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, Berlin 1861, S. 259).
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Simon Umathum (20.10.2023).