Autograf: Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Sr. Wohlgebohren
Herrn Kapellmeister L. Spohr,
in
Hessen-Cassel

frei.1


Verehrter Freund!

Mein herzlicher Glückwunsch begrüßt Sie und die lieben Ihrigen in meiner Vaterstadt, dem schönen Cassel. Möge, wie dort die Natur sich in reifer und neigender Fülle bietet, auch der Lebenspfad des Künstlers und Familienvaters keiner Freude entbehren! Möge Ihnen die Lust bleiben, zu wirken und zu weben an edeln Kunstgebilden und so Vergnügen und Nutzen zu verbreiten in der hohen Welt der Phantasie und des Gemüths! –
Freund Schunke aus Stuttgard, der mit seinem Söhnchen – einem schon recht fertigen und dabei von Innen heraus arbeitenden Klavierspieler – hier Conzert zu geben gedachte, ist aus Mangel eines günstigen Tages am heutigen Morgen von hier nach Cassel abgereist, um dort sein Spiel unter der neu aufgehenden Kunstmorgenröthe zu versuchen.2 Ihm habe ich ein Manuscript für Sie mitgegeben, ein neues Trauerspiel von mir, Zenobia3. Diese Zenobia ist so eine Art Jungfrau v. Orleans für Frauenzimmer, in einem, bereits nicht mehr von ersten Blüthenauch belebten, Alter und ich glaube daher fest, daß der Madame Feige diese Rolle entsprechend seyn dürfte. In Wien, wo sie das Stück gekauft haben – und Gott weiß wann – aufführen wollen, wird wie mir Schreivogel schreibt, die Schröder diesen Character darstellen. Wollten Sie also die Gefälligkeit haben, in Cassel den Verkauf des Werks zu betreiben, so wäre der Preis der gewöhnliche eines Werks von diesem Umfange, nämlich zehn Ducaten. – Apropos! Ehe ich es vergesse: fänden Sie denn Lust, eine heroische Oper zu componiren? Die zwei ersten Acte einer solchen, Coriolan, habe ich bereits fertig und der dritte, dessen Scenarium schon entworfen ist, kann gleich vollendet werden. Sie ist im großen Styl, mit Recitativ zwischen den Musikstücken, großen Chören, Triumphmärschen u. s. w. –
Jezt zu dem für mich wichtigsten Theile meines Briefes, der mich willkürlich an einen ähnlichen Auftrag erinnert, welchen ich einst von Wiesbaden aus von Ihnen erhielt. Ich lebe hier noch immer, zwar vielfach literarisch beschäftigt, aber in einem unsicheren und unbestimmten Wirkungskreise, was mich auch verhindert, mich mit dem trefflichen Wesen4 zu verbinden, das ich liebe und zur Gespielin meines Lebens erkoren habe. Wie sehr es mir nun in der That am Herzen liegt, in irgend ein festes Dienstverhältniß zu treten, können Sie leicht selbst ermessen. Cassel ist meine Vaterstadt und on aime toujours sa patrie5. Sollte es denn dort, bei dem jezt sich so sehr ausbreitenden Bühneninstitute keine Stelle seyn, wo ich nützen könnte und wo mir gedient wäre? Als Generalsekretair und Theaterdichter etwa? Ihnen darf ich wohl vertrauen, daß H. Feige früherhin einen Groll gegen mich gehegt, der sich aus der Meinung entspann, ich sey Verfasser einer Rezension, in welcher seine Frau angegriffen wurde. Doch liegen 9 Jahre jezt dazwischen und ich glaube nicht, daß dem Thema dergleichen Anstöße aus der Jugendzeit nachgetragen werden. Auf jeden Fall werden Sie sehn, wie H. Feige das Manuscript, über das ich mir aber wohl dringend auch Ihr freundschaftliches Urtheil erbitte, aufnimmt und Ihrer Güte überlasse ich es dann, die weitere, von Ihnen nöthig gehaltenen, Schritte zu thun: Seyn Sie mir nicht böse, daß ich so gewaltig auf Ihre Freundschaft los sündige!
Freund Reinherz läßt Sie herzlich grüßen. Er befindet sich mit seiner Familie im besten Wohlseyn. Zu Ostern erscheint in seinem Verlage ein neues Trauerspiel von mir, der treue Eckhard6, romantischer Natur, mit einem Kupfer; im Lauf dieses Jahres aber noch zwei Bände Phantasiegemälde mit 23 Kupfern.7 Bei Hinrichs in Leipzig kommen 2 Theile Erzählungen und Gedichte8, bei Schumann ebendaselbst 2 Bände der metrischen Uebersetzung von Delille’s Landmann heraus.9 So liefre ich in diesem Jahr der Lesewelt sieben Bände und behalte noch allerlei in petto. Sie sehn: ich bin fleißig gewesen. Auch hat mir der Koenig v. Baiern zum Beweise seiner Gnade eine große goldne Ehrenmedaille gesendet.
Grüßen Sie herzlich Ihre vere[hr]te Frau und alle die Ihrigen von

Ihrem verehrtesten Freunde Georg Doering.
(Litt. J. Nr. 253.)

Frankfurt aM.
den i. März 1822.

NB. Guhr legt jetzt, nächst seinem Theaterdienst und nächst der musikalischen Anthologie10, welche er herausgibt, noch eine Musikhandlg. in Compagnie mit Susenbeth an. Was der Mann nicht alles – unternimmt!11 D.

Autor(en): Döring, Georg
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Feige, Charlotte
Feige, Karl
Guhr, Carl
Reinherz, Ludwig
Schreyvogel, Joseph
Schunke, Gottfried
Schunke, Louis
Susenbeth, Johannes
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte:
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1822030147

Spohr



Der letzte erschlossene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Döring, 29.02.1820. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Döring an Spohr, 28.04.1823.

[1] Auf dem Adressfeld befindet sich rechts oben ein stark verwischter Poststempel, auf der Rückseite des zusammengefalteten Briefumschlags der Stempel „3Marz 1822“.

[2] Zum Konzert von Gottfried und Louis Schunke am 12.03.1822 vgl. „Konzert-Anzeige“, in: Kasselsche Allgemeine Zeitung (1822), S. 350.

[3] Georg Döring, Zenobia. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen, Frankfurt am Main 1823.

[4] Noch nicht ermittelt.

[5] „on aime toujours sa patrie“ (frz.) = „man liebt immer sein Vaterland“.

[6] Ders., Der treue Eckhard. Romantisches Trauerspiel in vier Akten, Frankfurt am Main 1822.

[7] Ders., Phantasiegemälde, Bd. 1, Bd. 2, Frankfurt am Main 1822 (weitere Bände in den Folgejahren).

[8] Ders., Frühlingsklänge, Leipzig 1822.

[9] Jacques Delille, Der Landmann oder die Französischen Georgiken, Bd. 1 und 2, Zwickau(!) 1822.

[10] Musicalisch-dramatische Anthologie, Bd. 1 (mehr nicht erschienen), Frankfurt 1822 (gedruckt beim im Folgenden genannten Johannes Susenbeth).

[11] Die gleiche Skepsis, „daß derselbe seine Thätigkeit so vielseitig zersplittert“, in: F.W.L., „Aus Frankfurt am Main, im März“, in: Zeitung für die elegante Welt (1822), Sp. 519f., 527 und 535f., hier Sp. 527.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (05.05.2023).