Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,34

Herrn
Herrn Wilhelm Speyer
in
Offenbach a/m

franco.


Cassel den 27sten Februar
22.

Herzlich geliebter Freund,

Schon seit einiger Zeit hoffe ich auf einen Brief von Ihnen, bis heute aber immer vergebens. Damit es Ihnen nicht länger an einer Veranlassung dazu fehle, will ich Sie bitten einen Auftrag gütigst zu übernehmen, nämlich den beyliegenden Wechsel0 einzukassiren. In 14 Tagen erwarte ich meine Frau; dann muß ich meine neue Wohnung einrichten wozu ich viel Geld gebrauche. Haben Sie daher auch die Güte sich von Herrn André das Honorar für das Concert auszahlen zu lassen und schicken Sie mir dann beyde Summen. Wollen Sie mir bey der Gelegenheit auch die Interessen für das erste Jahr, obgleich sie noch lange nicht fällig sind, und die einkassirte, von mir in Paris1 verliehene Summe beylegen, so werden Sie mich verbinden, da ich wie gesagt, zu Ostern viel Geld gebrauche!
Mit meiner Lage und meinem Wirkungskreise bin ich fortdauernd sehr zufrieden und schon fange ich an, an unserm Kunsttreiben recht viel Freude zu erleben. Dieß wird sich indessen noch undendlich viel höher schwingen wenn erst mehrere ausgezeichnete Künstler eingetroffen und in Thätigkeit gesetzt seyn werden. Übermorgen werden wir den Freyschütz zum erstenmal geben und bis zum 20sten des nächsten Monaths denke ich Zemire und Azor in Scene zu setzen. Wenn Sie, wie ich bestimmt hoffe, uns im Frühjahr oder Sommer besuchen, so sollen Sie schon recht viel gutes hören.
Meine 3 Quartetten2 habe ich beendigt und werde sie binnen kurzem zum Stich nach Leipzig3 senden. Da sie früher erscheinen werden als das Quartett in H moll4, so bitte ich Sie, um die Erlaubnis darum Ihnen lieber diese dediciren zu dürfen; auch schon, weil es ein bedeutenderes Werk ist. Ich habe sie nun einigemal gehört und halte sie für mein bestes Werk dieser Gattung. Doch glaubt man das immer vom letzten, schon deswegen weil es den Reitz der Neuigkeit hat. – So wie ich jetzt in meiner neuen Wohnung zur Ruhe komme, werde ich anfangen, die neue Oper zu schreiben.
Ich freue mich unendlich auf die Ankunft meiner Familie. Die Trennung ist mir sehr schwer geworden und ich könnte es nicht viel länger aushalten. Zum Glück habe ich jetzt sehr viel zu thun und werde dadurch zerstreut; am Abend aber, wenn ich in mein einsames Zimmer trete, fühle ich mich dann umso verlassener! –
Ich habe wieder 3 Schüler angenommen, junge Leute die sich der Kunst widmen wollen. Sie sollen alle 3 schon recht viel leisten. Sie heißen [Lin]denau von Hamburg, Gerke von Lüne[burg und] Ockernal von Bremen. Ich erwarte sie [binn]en kurzem.
Wie geht es den lieben Ihrigen? Sind sie alle wohl? Grüßen Sie sie herzlich von mir.
In der Erwartung nun bald einen Brief von Ihnen zu bekommen grüße ich Sie von ganzem Herzen und bin immer mit innigster Freundschaft

der Ihrige
Louis Spohr.



Dieser Brief schließt an Spohr an Speyer, 25.01.1822 an. Speyers Antwortbrief ist derzeit verschollen.

[0] [Ergänzung 03.01.2017:] Honorar für die Streichquartette op. 58 (vgl. Louis Spohr an Dorette Spohr, 23.02.1822).

[1] Vgl. Spohr an Speyer, 28.02.1821.

[2] Op. 58.

[3] Zum Verlag Peters.

[4] Op. 61.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit nicht anders in den Anmerkungen angegeben: Karl Traugott Goldbach (11.02.2016).