Autograf: bis mindestens 1943 im Besitz von Werner Wittich, danach Kriegsverlust (vgl. Druck, S. 14)
Druck: Louis Spohr, Briefwechsel mit seiner Frau Dorette, hrsg. v. Folker Göthel, Kassel und Basel 1957, S. 52-56

Dresden, den 16ten Februar 1822

Bester teurer Louis!

Gestern erhielt ich Deinen Brief vom 12ten d.M. der mir sozusagen in mehr als einer Hinsicht den Himmel öffnete. Daß ich früher schon mein Unrecht eingesehen, mir laufend Vorwürfe gemacht, daß ich den fatalen Brief weggeschickt, und Dich auf das demütigste um Verzeihung gebeten, werden Dir meine Zeilen vom 10ten schon gesagt haben. - Ich bin so vor Scham und Reue zerknirscht, daß ich dächte, ich müßte für Jahre lang von ähnlichen Anfällen kuriert sein. „Das gebe der Himmel!” höre ich Dich seufzend sagen. Du armer Junge!!!! - Daß Dein Brief trotz dem vielen Erfreulichen, was er für mich enthält, demohngeachtet in meinem Kopf eine große Revolution veranlassen würde, konntest Du Dir leicht denken. Ich habe fast die ganze Nacht schlaflos zugebracht und selbst in diesem Augenblicke stehen Liebe, Sehnsucht und Pflicht noch im steten Kampf; denn gerade die Versicherung, daß mein Brief die Idee unseres frühern Kommens bei Dir zur Reife gebracht, macht es mir doppelt zur Pflicht, meine Vernunft auf das strengste bei dieser Sache zu Rate zu ziehen, um mein Gewissen von Vorwürfen frei zu erhalten. Erlaube mir daher, Dir die Berge nacheinander aufzutürmen, die sich dem sehnlichsten Wunsche meines Herzens entgegenstellen wollen. Nur erst dann, wenn Du imstande sein wirst, mich über alle diese Punkte genügend zu beruhigen, werde ich mich meiner Freude überlassen können. Bis dahin erfährt von mir auch keine Seele etwas von Deinem Vorschlage. -
Erstlich frage ich Dich, ob man Emilien1 bei den großen Fortschritten, die sie jetzt macht, gerade um den Monat Unterricht bringen darf, der ihr nach Deiner Meinung der wichtigste werden sollte. Du glaubst nicht, wieviel Mühe sich Mieksch gibt, wie er sie auf alles aufmerksam macht, wie er die Vorzüge ihrer Stimme immer mehr hervorzuziehen und die frühern Mängel derselben zu vernichten weiß. Sie hat in dieser Zeit nun mehrere Arien mit und ohne Rezitativ gelernt. Jetzt will er nun anfangen, auch deutsche Sachen mit ihr zu singen, um ihr Organ auch dazu auszubilden. - Daß ich nun sehr befürchte, daß in den 4 Wochen, die wir bei Dir wohnen würden, trotz dem besten Willen von Deiner Seite, das Singen wegen mancherlei Hindernissen sehr vernachlässigt werden würde, kannst Du mir nicht verdenken. Wenn ich mir z.B. denke, daß Du wohl nicht einmal ein Instrument hast, daß Deine Geschäfte sich in der Messe-Zeit wohl noch verdoppeln, daß Du die wenige Zeit, die Dir dieselben übrig lassen, doch auch wohl mir und der Einrichtung unserer neuen Wohnung mit mir gemeinschaftlich wirst widmen wollen, so muß mir allerdings bange werden, daß sie in den 4 Wochen wieder um ein bedeutendes zurückschreiten würde. - Zweitens ist nicht zu leugnen, daß Dir unser dortiger Aufenthalt eine große Depence verursachen würde, denn wenn wir einen Monat lang zu 5½ Personen im König von Preußen essen, Du auch noch Zimmer und Betten für so lange Zeit mieten sollst, wir hingegen doch noch für den Monat März mit bezahlen müssen, so bedarf doch dies auch einiger Rücksicht. Drittens – und dies ist mir etwas sehr Wichtiges – wäre es nicht ganz zu vermeiden, daß Du auch in Deinen Arbeiten, Geschäften usw. sehr gestört werden würdest: dies alles könnte bei Dir leicht üble Laune erzeugen und würde mir, wenn ich mich als Ursache dafür ansehen müßte, sehr viel Kummer machen und ich möchte doch so gerne die Freude des Wiedersehens rein und ungetrübt genießen. Du weißt, geliebter Louis, wie ich mir um alles immer Sorgen mache: mißverstehe mich daher ja nicht. Ich glaube, schon der bloße Gedanke, daß Du für Mangel an Liebe oder Sehnsucht nach Dir halten könntest, was mich alles dies hervorsuchen läßt, könnte mich um den Verstand bringen.
Daß ich das Pianoforte für 130 Rth. sächsisch verkauft, habe ich Dir ja wohl schon geschrieben. -
Wie wirst Du Dich freuen, die kleine Therese wiederzusehen! Wenn wir uns von Dir unterhalten, so kommt sie gewöhnlich und sagt: „Ihr seid sehr bosaft, (das h auszusprechen, ist sie nämlich zu faul) es ist nämlich mein Louis, ihr sollt nicht von ihm sprechen.” Wenn ich ihr von Kassel und von der Weise erzähle, wie ich glaube, daß Du uns empfangen wirst, so wirft sie sich gewöhnlich vor Vergnügen auf die Erde und lacht überlaut. Sehr oft sehe ich sogar Freudentränen in ihren großen blauen Augen glänzen. Schließe nun von der Kinder Freude auf die meinige! Glücklicher wird die Erde nichts tragen, als wie ich mich fühlen werde, wenn ich erst wieder bei Dir bin. -
Herzlich haben wir uns über das hübsche Geschenk, was Du erhalten hast, gefreut. Du weißt, es ist Theresen ihre Passion; sie spekuliert sehr, daß Du ihr die schöne Nadelbüchse zuweilen vorstecken wirst.
Gehe ist in Berlin, wird jedoch in einigen Tagen zurückerwartet, wo ich ihm dann vielleicht Deinen Brief2 schicken werde. Wie würde es denn mit dem Honorar werden, wenn er die Oper bis zu meiner Abreise noch nicht fertig hätte? Vergiß nicht, mir diese Frage zu beantworten. - Noch einmal fragt mein Herz: Soll ich wirklich diesen Brief nun so fortschicken? Die Vernunft antwortet: Ja. Nun in Gottes Namen!
Ich weiß, bester Louis, daß Du jetzt viel zu tun hast, überhaupt nicht gerne schreibst, nehme es Dir daher wahrlich nicht übel, wenn Du mir auch nur in 2 Zeilen Deine Meinung, aber sogleich und bestimmt schreibst. Zur Sicherheit will ich in jedem Fall noch heute an Ferdinand schreiben und ihn fragen, wie bald er wohl kommen kann. Ich umarme Dich 1000mal.

Ewig D.D.

Nachschrift! Mein Brief war schon versiegelt und Ida3 stand eben im Begriff ihn auf die Post zu bringen, als mir der Gedanke, daß Du wahrscheinlich meinen Vorschlägen Gehör geben und sie billigen wirst, wie eine Zentnerlast auf die Seele fällt. Ich muß gestehen, daß ich mich für stärker gehalten habe. ich bitte Dich, lieber Louis, um alles in der Welt, laß uns nicht über irdische, zu ersetzende Dinge das Wahre, Unwiederbringliche aus den Augen setzen und erlaube mir zu kommen; ich hoffe, Du sollst es nicht bereuen. Ich glaube jetzt, wo ich nun einmal die Möglichkeit gesehen, bald wieder bei Dir sein zu können, würde ich das Gegenteil nicht mehr ohne großen Nachteil für meine Gesundheit ertragen können. In 14 Tagen hoffe ich alles zur Reise einrichten zu können; bestimme nur, wie bald wir dann im März kommen dürfen.

D.

Autor(en): Spohr, Dorette
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Gehe, Eduard
Mieksch, Johann Aloys
Spohr, Ferdinand
Spohr, Therese
Wolff, Ida
Zahn, Emilie
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Jessonda
Erwähnte Orte: Dresden
Kassel
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1822021630

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Louis Spohr an Dorette Spohr, 12.02.1822. Der Postweg dieses Briefs überschnitt sich mit Louis Spohr an Dorette Spohr, 14.02.1822. Louis Spohr beantwortete diesen Brief am 23.02.1822.

[1] Emilie Spohr, später verheiratete Zahn.

[2] Dieser Brief ist derzeit verschollen.

[3] Ida Spohr, später verheiratete Wolff.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (03.01.2017).