Autograf: bis mindestens 1943 im Besitz von Werner Wittich, danach Kriegsverlust (vgl. Druck, S. 14)
Druck: Louis Spohr, Briefwechsel mit seiner Frau Dorette, hrsg. v. Folker Göthel, Kassel und Basel 1957, S. 39-42

Dresden, d. 6ten Febr. 1822

Mein geliebter teurer Louis!

So verschieden wie die letzten Nachrichten sind, die Du mir erteilst, auf so verschiedene Weise haben sie auch mein Gemüt bewegt. Deine Briefe dienen mir so gewissermaßen nur als Skizze Deines Tuns und Treibens, denn meine Phantasie läßt es sich nicht nehmen, dies nun alles erst auszumalen, oft mit lichten, oft mit trüben, auch wohl zuweilen mit grellen, ich anderer würde sagen dem Auge, ich sage dem Herzen weh tuenden Farben. Glaube mir, geliebter Louis, auch ich fühle recht gut, welches Opfer ich Emilien1 durch mein längeres Hierbleiben gebracht – ein Opfer, dessen ganze Größe ich vielleicht noch nicht einmal kenne! Denn es gibt Epochen im menschlichen Leben, die ganz dicht am Lebensglücke vorbeistreichen, es nicht selten unangenehm berühren! Wenn Emilie uns wenigstens einmal dankbar ist – vergelten kann sie es mir nie. Der Gedanke, daß ich eine Pflicht erfülle, und der Trost, meine Kinder bei mir zu haben, müssen die Zeit erträglich machen. Unter den Glückwünschen, die Dir jetzt über den glorreichen Antritt Deines Amts von allen Seiten gezollt werden, wird Dir hoffentlich der meinige nicht der unwillkommenste sein. In demselben Grade, wie Du mit Deine Tage mannigfaltig beschreibst, sind die unsrigen eintönig. Zwar nicht durch fremden, aber durch den eigenen Willen um so mächtiger gebannt, komme ich mir im wahren Sinne des Wortes wie eine Gefangene vor. Mich dauern nur die Kinder, die außer den Unterrichts-Stunden bei Mad. Hauptmann auch nicht der geringsten Aufheiterung genießen: aber ich kann mich nicht zum Ausgehen entschließen und alles Zureden von Bekannten macht mich nur noch halsstarriger. Zu wem soll ich auch gehen? Um mich von Dir zu unterhalten – dazu sind mir meine Kinder, und wenn die nicht zu Hause sind, meine Einbildungskraft genug; und weiter, möchte ich fast sagen, interessiert mich auf der ganzen Welt nichts. -
Als Du Deinen letzten Brief vom 2. Feb. datiertest, schienst Du nicht daran zu denken, daß es unser Hochzeitstag sei. 16 Jahre lang war ich nun sehr glücklich! Ob ich es ferner – ob ich es in Kassel sein werde – kannst Du jetzt vielleicht schon besser beurteilen wie ich. -
Deinem Wunsche in Hinsicht unserer Garderobe werde ich so viel wie möglich nachkommen, werde ich wenigstens so einrichten, daß Du Dich unserer nicht zu schämen brauchst. Schwerer wird es mir werden, bei meiner schwachen Gesundheit und immer mehr zunehmenden Reizbarkeit – eine Folge jahrelanger Anstrengungen – mich in den Strudel von Zerstreuungen hineinzuwerfen, wozu Du mir die Einladung schon 2 Monate voraus schickst.
Du willst nach alledem zu urteilen, was Du mir schreibst, in Kassel großes Haus machen! Nun denn, richte Dir's ein, wie Du es zu Deinem Glücke notwendig und wegen der schon angeknüpften Bekanntschaften unvermeidlich findest: ich bin ja alles zufrieden. Meine Liebe zu Dir ist zu groß, als daß ich Dir nicht alles, selbst mein Leben, und was noch weit mehr sagen will, mein Glück mit all seinen schönen Träumen und Hoffnungen für die Zukunft gern zum Opfer bringen sollte, was ja ohnedies die Pflichten der Dankbarkeit schon erheischen, die Du mir neuerdings wieder auferlegt hast. -
Doch wenn ich in diesem Tone fortfahre, bekommt mein Brief einen ganz melancholischen Anstrich und das sollte er eigentlich nicht. Du weißt, ich habe solche Augenblicke, die aber oft mehr durch innere als äußere Ursachen erzeugt werden; bis Du diesen Brief erhälst, wird ja wohl der Paroxismus vorüber sein. Gönne nur mir, mein Herz ein wenig erleichtert zu haben.
Die Herren von der Kapelle können gar nicht begreifen, warum die Glocke von Romberg noch nicht angekommen ist. Einige wollen mich veranlassen deshalb nach Leipzig zu schreiben; dies mag ich jedoch nicht gerne tun, da ich – unter uns gesagt – beinahe vermute, daß Du die ganze Besorgung vergessen hast.
Auch ein gewißer Herr Kühn erwartete ganz bestimmt, bei mir die Antwort auf einen Dir mitgegebenen Brief zu finden.
Sei nicht böse, aber ich kann heute nicht weiterschreiben. Die Kinder sind gesund.

Deine Dorette.

Autor(en): Spohr, Dorette
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Hauptmann (Mutter von Moritz Hauptmann?)
Kühn (in Dresden?)
Zahn, Emilie
Erwähnte Kompositionen: Romberg, Andreas : Das Lied von der Glocke
Erwähnte Orte: Dresden
Erwähnte Institutionen: Hofkapelle <Dresden>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1822020630

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf Louis Spohr an Dorette Spohr, 31.01.1822 und 02.02.1822. Der Postweg dieses Briefs überschnitt sich mit Louis Spohr an Dorette Spohr, 07.02.1822. Louis Spohr beantwortete diesen Brief am 12.02.1822.

[1] Emilie Spohr, später verheiratete Zahn.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (23.12.2016).