Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,33
Druck 1: Ludwig Nohl, „Fünf Briefe Spohr’s“, in: Didaskalia 18. und 21.05.1878, nicht paginiert
Druck 2: Eduard Speyer, Wilhelm Speyer der Liederkomponist 1790-1878. Sein Leben und Verkehr dargestellt von seinem jüngsten Sohne, München 1925, S. 63ff. (teilweise)
Druck 3: Horst Heussner, Die Symphonien Ludwig Spohrs, Phil. Diss. Marburg 1956, Anh. S. 26f.(teilweise)
Druck 4: Till Gerrit Waidelich, „Die Beziehungen zwischen Carl Maria von Weber und Louis Spohr im Spiegel ihrer Korrespondenz“, in: Weberiana 24 (2014), S. 117-144, hier S. 131 (teilweise)

Cassel den 25sten Januar
1822.
 
Herzlich geliebter Freund,
 
Ihren lieben Brief (ohne Datum) habe ich durch Herrn Hauptmann d’Orville richtig erhalten. Er war selbst in meiner Behausung, leider war ich aber nicht zu Haus. Ich werde ihn aufschreiben um seine Bekanntschaft zu machen.
Daß ich meine jetzige Stelle nicht ohne mich in jeder Hinsicht sicher zu stellen angenommen habe, können Sie von mir, der ich schon so manche Erfahrung gemacht habe, wohl voraussetzen. Nun, da ich schon im vollen Wirken bin und die Verhältnisse kenne, in denen ich ins Künftige leben werde, kann ich Ihnen versichern, daß ich sie weit angenehmer und ehrenvoller gefunden, als ich selbst vorher gehoft habe. Mein Wirkungskreis ist so ausgedehnt, als der, den ich in Frankfurt hatte und hat noch das voraus, daß mich kein Leers in meinem Streben für das Beste der Kunst hemmen kann, noch daß ich Rücksichten auf die mehrere oder mindere Einnahme zu nehmen hätte. Die ganze artistische Leitung der Oper ist mir uneingeschränkt übertragen worden. Ferner bin ich vom Kurfürsten, der Kurfürstin und allen0, von denen ich mehr oder weniger abhängen werde, mit so viel Auszeichnung empfangen worden, daß ich mir die angenehmsten Verhältnisse auch für die Folge versprechen darf. Dann hat die Weise, wie ich meine Geschäfte übernommen0a und die 2 ersten Opern geleitet habe, mir bereits ein so unbedingtes Vertrauen des Kurfürsten und des Publikums erworben, daß ich darauf für mein künftiges Wirken die schönsten Hoffnungen bauen darf. So habe ich jetzt bereits Vorschläge zur Komplettierung der Chapelle gemacht, die, wenn sie genehmigt unser Orchester bald zu einem der ersten von Deutschland erheben werden. Und endlich bin ich mit pekuniären Vorteilen (2000 Rth Gehalt auf Lebenszeit und 2 Monath Urlaub jährlich) engagirt worden, die ich in keiner andern Stadt gefunden haben würde. Ich kann daher in jeder Hinsicht sehr zufrieden seyn.
So sehr es mich drängt, Sie wiederzusehen und ihrer freundlichen Einladung zu folgen, so ist es mir doch unmöglich, vor dem Sommer wegzugehen. Erstlich habe ich0b jetzt überhaupt viel zu thun. Dann ist 2tens, Dem. Canzi bis Ostern engagirt und es sollen bis Ostern außer mehreren alten Opern auch zwei neue gesetzt werden, nämlich Webers Freyschütz und Zemire und Azor. Drittens muß ich bis zum 1sten Aprill, wo meine Familie eintreffen wird, eine Wohnung für uns einrichten und meubliren. – Im Sommer hoffe ich Sie aber einmal besuchen zu können. Vorher kommen Sie aber ja einmal zu uns und lernen unser Musikwesen, was bis dahin recht respektabel seyn soll, kennen. Dann will ich Ihnen auch meine neuen Quartetten zu hören geben, die ich dann mit Hasemann, Wiele und Barnbeck schon eingeübt haben werde. Schicken mögte ich sie Ihnen früher nicht gern, damit Sie sie hier zum erstenmal hören und der erste Eindruck ungeschränkt sey. Das 3te ist überdieß noch nicht einmal fertig. – Das Quartett in Hmoll, welches bis zum Sommer auch bei Peters erscheinen wird, wird Ihnen, wie es auch schon im Manuscript war, zugeeignet sein. Peters hat mir bei meiner Durchreise durch Leipzig alle meine Manuskripte ohne Ausnahme abgekauft und sehr lamentirt, daß ich das Dmoll Conzert an André gegeben habe.
Das Sujet meiner neuen Oper1 hoffe ich Ihnen einmal mündlich erzählen zu können; schriftlich würde es zu weitläufig seyn. Der Dichter Gehe in Dresden bearbeitet es mir.
Vor ein paar Tagen gab mir die Chapelle ein Fest zur Feier meiner Ankunft2, dem ähnlich was in Frankfurt bey meinem Abgange im Forsthause gegeben wurde. Es waren dazu die angesehensten Leute der Stadt eingeladen, und viel für mich Schmeichelhaftes veranstaltet. Ein Gedicht welches bey meinem Toast ausgetheilt wurde3, würde ich Ihnen gern beylegen; die beyden Exemplare die ich erhielt, habe ich aber bereits meiner Frau4 und meinen Eltern zugesandt.5 Gerstäcker und 3 andere Sänger sangen mehrere von meinen 4stimmigen Liedern sehr vorzüglich.
Haben Sie doch die Güte unserem Freunde André den Inhalt dieses Br. mitzutheilen und mich bey ihm zu entschuldigen daß ich mit heutiger Post nicht auch an ihn schreibe. Ich habe noch mehrere Briefe zu beantworten. Die Correctur der Prinzipalstimme meines Concerts würde ich sehr gern übernehmen.6
Die herzlichsten Grüße an Ihre liebe Frau und Angehörigen. Mit unveränderter Liebe
 
stets der Ihrige L. Spohr
 
NS Meine Messe wird nun wohl schon in Frankfurt zu haben seyn. Thun Sie doch etwas dafür, daß sie im neuen Cäcilienverein und von Ihrem in Offenbach bald einstudirt werde, damit ich sie bei meinem Besuch bey Ihnen zu hören bekomme.



Dieser Brief ist die Antwort auf einen verschollenen Brief von Speyer an Spohr. Spohrs nächstem überlieferten Brief an Speyer vom 27.02.1821 zufolge scheint Speyer diesen Brief nicht beantwortet zu haben.
 
[0] [Ergänzung 22.04.2022:] Hier ein Wort gestrichen.
 
[0a] [Ergänzung 22.04.2022:] Hier gestrichen: „habe“.
 
[0b] [Ergänzung 22.04.2022:] Hier ein Wort gestrichen.
 
[1] Jessonda.
 
[2] Vgl. Louis Spohr an Dorette Spohr, 24.01.1822; Louis Spohr, Lebenserinnerungen, hrsg. v. Folker Göthel, Tutzing 1968, Bd. 2, S. 128f., Text mit fehlerhafter Paginierung auch online; ders., Louis Spohr’s Selbst-Biographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 154
 
[3] Gedruckt in: Alexander Malibran, Louis Spohr. Sein Leben und Wirken, Frankfurt am Main 1860, S. 156
 
[4] Louis Spohr an Dorette Spohr, 24.01.1822
 
[5] Der Brief an die Eltern ist verschollen
 
[6] Diese Formulierung legt die Existenz eines verschollenen Briefs von Johann Anton André nahe. Da Spohr die Frage, ob er die Korrektur der Solostimme übernehmen wolle, im Brief an Speyer beantwortet, ist fraglich, ob er den Brief an André später noch beantwortete oder die Übersendung der Noten durch André abwartete.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (11.02.2016).

Cassel, 25. Januar 1822.
 
... Daß ich meine jetzige Stelle nicht ohne mich in jeder Hinsicht sicher zu stellen angenommen habe, können Sie von mir, der ich schon so manche Erfahrung gemacht habe, wohl voraussetzen. Nun, da ich schon im vollen Wirken bin und die Verhältnisse kenne, in denen ich künftig leben werde, kann ich Ihnen versichern, daß ich sie weit angenehmer und ehrenvoller gefunden, als ich selbst vorher gehofft habe. Mein Wirkungskreis ist so ausgedehnt, als der, den ich in Frankfurt hatte und hat noch das voraus, daß mich kein Leers in meinem Streben für das Beste der Kunst hemmen kann, noch daß ich Rücksichten auf die mehrere oder mindere Einnahme zu nehmen hätte. Die ganze artistische Leitung der Oper ist mir uneingeschränkt übertragen worden. Ferner bin ich vom Kurfürsten, der Kurfürstin und allen, von denen ich mehr oder weniger abhängen werde, mit so viel Auszeichnung empfangen worden, daß ich mir die angenehmsten Verhältnisse auch für die Folge versprechen darf. Dann hat die Weise, wie ich meine Geschäfte übernommen und die 2 ersten Opern geleitet habe, mir bereits ein so unbedingtes Vertrauen des Kurfürsten und des Publikums erworben, daß ich darauf für mein künftiges Wirken die schönsten Hoffnungen bauen darf. So habe ich jetzt bereits Vorschläge zur Komplettierung der Kapelle gemacht, die, wenn sie genehmigt unser Orchester bald zu einem der ersten von Deutschland erheben werden. Und endlich bin ich mit pekuniären Vorteilen engagiert worden, die ich in keiner andern Stadt gefunden haben würde. Ich kann daher in jeder Hinsicht sehr zufrieden sein.
So sehr es mich drängt, Sie wiederzusehen, so ist es mir doch unmöglich, vor dem Sommer wegzugehen. Ich habe jetzt überhaupt viel zu tun. Bis Ostern sollen außer mehreren alten Opern auch zwei neue in Szene gesetzt werden, nämlich Webers ,Freischütz’ und meine ,Zemire und Azor’. – Im Sommer hoffe ich Sie aber einmal besuchen zu können. Vorher kommen Sie aber ja einmal zu uns und lernen unser Musikwesen, was bis dahin recht respektabel sein soll, kennen. Dann will ich Ihnen auch meine neuen Quartette zu hören geben ... Das in H-Moll, welches bis zum Sommer bei Peters erscheinen wird, wird Ihnen, wie es auch schon im Manuskript war, zugeeignet sein. – Peters hat mir, bei meiner Durchreise durch Leipzig, alle meine Manuskripte ohne Ausnahme abgekauft und sehr gerügt, daß ich das D-Moll-Konzert an André gegeben habe.
Vor ein paar Tagen gab mir die Kapelle ein Fest zur Feier meiner Ankunft. Es waren dazu die angesehensten Leute der Stadt eingeladen und viel für mich Schmeichelhaftes veranstaltet worden.

Cassel, 25. Januar 1822.
 
... Daß ich meine jetzige Stelle nicht ohne mich in jeder Hinsicht sicher zu stellen angenommen habe, können Sie von mir, der ich schon so manche Erfahrung gemacht habe, wohl voraussetzen. Nun, da ich schon im vollen Wirken bin und die Verhältnisse kenne, in denen ich künftig leben werde, kann ich Ihnen versichern, daß ich sie weit angenehmer und ehrenvoller gefunden, als ich selbst vorher gehofft habe. Mein Wirkungskreis ist so ausgedehnt, als der, den ich in Frankfurt hatte und hat noch das voraus, daß mich kein Leers in meinem Streben für das Beste der Kunst hemmen kann, noch daß ich Rücksichten auf die mehrere oder mindere Einnahme zu nehmen hätte. Die ganze Artistische Leitung der Oper ist mir uneingeschränkt übertragen worden. Ferner bin ich vom Kurfürsten, der Kurfürstin und allen, von denen ich mehr oder weniger abhängen werde, mit so viel Auszeichnung empfangen worden, daß ich mir die angenehmsten Verhältnisse auch für die Folge versprechen darf. Dann hat die Weise, wie ich meine Geschäfte übernommen und die 2 ersten Opern geleitet habe, mir bereits ein so unbedingtes Vertrauen des Kurfürsten und des Publikums erworben, daß ich darauf für mein künftiges Wirken die schönsten Hoffnungen bauen darf. So habe ich jetzt bereits Vorschläge zur Komplettierung der Kapelle gemacht, die, wenn sie genehmigt unser Orchester bald zu einem der ersten von Deutschland erheben werden. Und endlich bin ich mit pekuniären Vorteilen engagiert worden, die ich in keiner andern Stadt gefunden haben würde. Ich kann daher in jeder Hinsicht sehr zufrieden sein.