Autograf: bis mindestens 1943 im Besitz von Werner Wittich, danach Kriegsverlust (vgl. Druck, S. 14)
Druck: Louis Spohr, Briefwechsel mit seiner Frau Dorette, hrsg. v. Folker Göthel, Kassel und Basel 1957, S. 27ff.

Kassel, den 18ten Januar 22

Geliebte Wonne meiner Seele,

Dein lange ersehnter Brief kam gestern mittag endlich an und hat mir unendliche Freude gewährt. Die guten Nachrichten von dem Fleiße und den Fortschritten der Kinder und der Anhänglichkeit und Liebe der Kleinen haben mich sehr erheitert. Nicht, daß ich einen andern Kummer hätte als den der Trennung von Euch (den ich in meinem Alleinsein schmerzlicher empfinde als Ihr); ich bin im Gegenteil, dies abgerechnet, sehr zufrieden und verspreche mir hier nicht allein ein höchst angenehmes Leben mit Euch, sondern sehe auch schon, daß der Wirkungskreis, den ich als Künstler hier finden werde, ganz meinen Wünschen angemessen sein wird. Die Aufnahme, die ich beim Kurfürsten, der Kurfürstin und allen andern Personen des Hofs, denen ich Visite machte, gefunden habe, läßt mich dies mit Gewißheit hoffen. Auch wird das hiesige Theater, Orchester usw. sich bald sehr auszeichnen; es ist schon besser, wie ich geglaubt habe, und man erwartet nur meine Vorschläge, um noch bedeutendere Reformen zu machen. Mlle. Canzi ist jetzt hier und singt Gastrollen. Nächsten Sonntag wird sie als Myrha im Opferfest auftreten. Dies wird die erste Oper sein, die ich dirigieren werde.1 Heute mache ich die erste Probe, morgen die zweite.
Seit zwei Tagen bewohne ich eine Privatwohnung, für die ich monatlich 8 Rth. bezahlen muß. Der Mittagstisch kostet monatlich 12½ Rth., was freilich teuer ist. Du weißt aber, wie ausgesucht das Essen und die Tischgesellschaft im König von Preußen ist, und wirst es mir daher nicht verdenken, daß ich dorthin gehe und nicht an einen wohlfeilen Ort. Das einzig Teuere sind die Wohnungen: wir werden keine angemessene unter 200 Rth. finden. Ich lege Dir hier den Grundriß von einer sehr schönen Wohnung bei, die ich gestern gesehen habe. Sie soll aber 240 Rth. kosten. 20 Rth. ließen sich allenfalls noch abhandeln. Überlege einmal, wie wir die Zimmer einteilen könnten, und schreibe mir dann im nächsten Briefe, ob ich sie mieten soll. – Die Wohnungen werden hier erst Ostern, oft erst 8 Tage nachher geräumt; das könnte dieses Jahr bis Mitte April dauern. Dies darf dich aber nicht beunruhigen. Meine jetzige Wohnung ist groß genug, um Euch 14 Tage und länger zu beherbergen. Wir können die neue Wohnung dann gemeinschaftlich einrichten und möblieren; es sind hier mehrere Möbelmagazine. Ich erwarte Euch daher in jedem Fall in den ersten Tagen des April.
Ich habe 2 Abende sehr angenehm zugebracht. Der erste in Gesellschaft bei Frau von Malsburg, die Dich herzlich grüßen läßt, den 2. in einer Soirée beim Intendanten der Kapelle, dem Herrn von Manger. Dort sangen die Canzi und Gerstäcker, beide sehr vorzüglich. – Musik habe ich nocht nicht gemacht. – Die Idee, die ich Dir von Gotha aus mitteilte, glaube ich gänzlich fallen lassen zu können. –
Mit Sehnsucht sehe ich Deinem nächsten Briefe entgegen. Schreibe mir ja jede Woche. Die Kinder küsse von mir.

Ewig Dein Louis.

Ich wohne auf dem Karlsplatz im Wagnerischen Hause.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Spohr, Dorette
Erwähnte Personen: Auguste, Hessen-Kassel, Kurfürstin
Canzi, Katharina
Gerstäcker, Friedrich (Vater)
Malsburg, Caroline von der
Manger, Ludwig von
Wilhelm II. Hessen-Kassel, Kurfürst
Erwähnte Kompositionen: Winter, Peter von : Das unterbrochene Opferfest
Erwähnte Orte: Kassel
Erwähnte Institutionen: Hoftheater <Kassel>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1822011800

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf den derzeit verschollenen Brief Dorette Spohr an Louis Spohr, 12.01.1822. Der Postweg dieses Briefs überschnitt sich mit Dorette Spohr an Louis Spohr, 18.01.1822. Der Postweg von Dorette Spohrs Antwortbrief vom 26.01.1822 überschnitt sich mit Spohrs nächstem Brief vom 24.01.1822.

[1] Vgl. „Cassel”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 24 (1822), Sp. 324-331, hier Sp. 330.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (15.12.2016).