Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,23
Druck: Edward Speyer, Wilhelm Speyer der Liederkomponist 1790-1878. Sein Leben und Verkehr mit seinen Zeitgenossen dargestellt von seinem jüngsten Sohne, München 1925, S. 60f. (teilweise)

Monsieur
Monsieur W. Speyer
adr. Mess. Pensa & Speyer
à
Frankfort a/m


Paris den 18ten Dezember
20.

Geliebter Freund,

Obgleich ich Ihnen fast noch weiter nichts als unsere glückliche Ankunft zu melden habe, so will ich dieß doch nicht länger aufschieben, damit wir nicht zu lange auf Briefe von Ihnen warten müssen. Auch könnte es wohl seyn, daß nach unserer Abreise von Frankfurt noch Nachrichten von unseren Kindern unter Ihrer Adresse angekommen wären, die Sie uns vor Empfang unserer Adresse nicht nachschicken konnten. Wir vermuthen dieß nur so sehr, da wir hier unter einer, meinen Eltern zurückgelassenen Adresse, keine Briefe vorgefunden haben. Wir wohnen hier: Rue Richelieu Nro 27 à l’hôtel de la Paix.
Wir haben sehr darauf gerechnet, Sie noch in Mainz zusehen und auch in unserer Hoffnung bestärkt dadurch, daß die Partituren ohne einige Zeilen von Ihnen ankamen. Herr Schmidt1 wird Ihnen von unserer Soirée in Mainz erzählt haben. – Unsere Reise hieher war glücklich. Bis Metz nahm ich eine Mietkutsche, die uns in 3 Tagen hinschleppte. Da ich dort auf die ganze Woche die besten Plätze in der Diligence2 bereits belegt fand, so gingen wir nach Nancy, von wo aus denn mehrere abgehen. Dort blieben wir einen Tag, besahen uns die freundliche Stadt und machten dann ohne weiteren Aufenthalt die letzte Strecke hieher. Diese war die ermüdendste, da wir 2 Nächte im Wagen bleiben mußten. Der Zufall hatte uns mit einem Schweitzer und einem Elsasser zusammengewürfelt, mit denen man sich nicht gut unterhalten konnte. Am 9ten Vormittags kamen wir hier an.
Viotti, Kreutzer, Baillot, Baudiot, mit einem Wort, alle Künstler, die ich bis jetzt habe kennen lernen, haben mich mit Auszeichnung aufgenommen und sich zum Theil schon recht gefällig gezeigt. Nachdem ich bey diesen alle nöthigen Erkundigungen einzogen habe, schien es mir am geratesten, zuerst ein Soiree zu geben. Ob darauf dann ein großes Concert im Theatre Favard (dem einzigen welches zu bekommen ist) folgen wird, weiß ich noch nicht. Mehr als das Risico der Karten (die sich freylich auf 2000 fr. belaufen)3 scheue ich noch die Mühe des Arrangements, besonders weil es so schwer fält Sänger zu bekommen. – Ein Vorschlag, den ich der Administration der gr. Oper gemachet habe: mit ihr gemeinschaftlich etwas zu geben nämlich so, daß wir die erste Hälfte des Abends mit einem Concerte und sie die 2te Hälfte durch ein Ballet ausgefüllt hätten, ist nicht angenommen worden.
Von den Theatern haben wir erst wenige besucht aber noch nicht viel ausgezeichnetes gehört. Heute abend werden wir die Mistères d’Isis oder vielmehr les misères d’ici. hören.4 Auf die Ouvertüre, vom Orchester der gr. Oper executirt, freue ich mich schon den ganzen Tag.5
Gespielt habe ich hier noch nicht, aber übermorgen bei Kreutzer, wo Viotti, Baillot und mehr ausgezeichnete Künstler gegenwärtig seyn werden, werde ich debütieren.
Moscheles ist noch nicht hier; er hat von Mainz aus erst noch einen Abstecher nach Brüssel gemacht.6
Sobald ich etwas Näheres über mein Geschäft weiß, schreibe ich Ihnen wieder und dann recht ausführlich. Bis dahin hoffe ich aber einen Br. von Ihnen zu erhalten.
Von meiner Frau und mir die herzlichsten [Grüße] an Ihre ganze Familie.
Leben Sie wohl. Mit unveränderter Freun[dschaft]
stets

der Ihrige
Louis Spohr.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Speyer, Wilhelm
Erwähnte Personen: Baillot, Pierre
Baudiot, Charles
Kreutzer, Rodolphe
Moscheles, Ignaz
Schmitt, Aloys
Viotti, Giovanni Battista
Erwähnte Kompositionen: Mozart, Wolfgang Amadeus : Die Zauberflöte
Erwähnte Orte: Brüssel
Frankfurt am Main
Mainz
Metz
Nancy
Paris
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1820121802

https://bit.ly/

Spohr



Der letzte Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Speyer, 03.11.1820. Speyers Antwort auf diesen Brief ist derzeit verschollen.

[1] Vielleicht Aloys Schmitt, der zu dieser Zeit noch in Frankfurt wohnte.

[2] Postkutsche.

[3] Offensichtlich war Spohrs Konzert später nicht ausverkauft: während Moscheles tatsächlich 2000 francs erlöste, kam Spohr nur auf 700 (vgl. Conversationsblatt 3 (1821), S. 334). 

[4] Wortspiel: statt „Mysterien der Isis” die „Miseren von hier”. Es handelt sich hier um eine stark bearbeitete französische Fassung von Mozarts Zauberflöte. Spohr schreibt dazu: „Man gab Les mistères d'Isis. Nur zu gerecht sind die Klagen der Verehrer Mozart's über die Umstaltung der herrlichen Zauberflöte in dieses Machwerk, welches bey seinem Erscheinen von den Franzosen selbst in les misères d'içi umgetauft wurde.” (Louis Spohr, „Briefe aus Paris”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 23 (1821), Sp. 139-144, 156-162, 177-184, 189-195, hier Sp. 142; vgl. G[eorg] L[udwig] P[eter] Sievers, „Musikalisches Allerley aus Paris, von den Monaten October, November und December, 1820”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 23 (1821), Sp. 81-93, hier Sp. 82). 

[5] In seinen „Briefen aus Paris” merkte Spohr freilich an: „Selbst die Ouvertüre ging nicht so gut, als sie von einem so herrlichen Verein vorzüglicher Künstler hätte gegeben werden können.” (ebd., Sp. 143).

[6] Vgl. Allgemeine musikalische Zeitung mit besonderer Berücksichtigung auf den österreichischen Kaiserstaat 5 (1821), Sp. 132f. 

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (02.02.2016).

Paris, 18. Dezember 1820.
Geliebter Freund,
... Unsere Reise hierher war glücklich. Bis Metz nahm ich eine Mietkutsche, die uns in 3 Tagen hinschleppte. Da ich dort auf die ganze Woche die besten Plätze in der Diligence bereits belegt fand, so gingen wir nach Nancy. Dort blieben wir einen Tag und machten dann ohne weiteren Aufenthalt die letzte Strecke hierher. Diese war die ermüdendste, da wir 2 Nächte im Wagen bleiben mußten ...
Viotti, Kreutzer, Baillot, Baudiot, mit einem Wort, alle Künstler, die ich bis jetzt habe kennen lernen, haben mich mit Auszeichnung aufgenommen und sich zum Teil schon recht gefällig gezeigt. Nachdem ich bei diesen alle nötigen Erkundigungen einzogen habe, schien es mir am geratesten, zuerst ein Soiree zu geben ...
Von den Theatern haben wir erst einige besucht, aber noch nicht viel Ausgezeichnetes gehört. Heute abend werden wir die ,Mistères d’Isis, oder ,les misères d’ici’. hören. Auf die Ouvertüre, vom Orchester der großen Oper gespielt, freue ich mich schon den ganzen Tag ...