Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,201
Druck 1: Edward Speyer, Wilhelm Speyer der Liederkomponist 1790-1878. Sein Leben und Verkehr mit seinen Zeitgenossen dargestellt von seinem jüngsten Sohne, München 1925, S. 58f. (teilweise)
Druck 2: Till Gerrit Waidelich, „Die Beziehungen zwischen Carl Maria von Weber und Louis Spohr im Spiegel ihrer Korrespondenz“, in: Weberiana 24 (2014), S. 117-144, hier S. 129 (teilweise)

Herrn
Dr. und Physicus Spohr
für Kapellmeister L. Spohr
wohlgeb.
Gandersheim
bei Göttingen
 
 
Frankfurt a/m 26 Oktobr 1820.
 
Verehrtester Freund!
 
Es ist für mich und die Meinigen immer ein Fest, wenn ich Nachrichten von Ihnen erhalte, und so war es auch mit dem letzten Briefe aus Gandersheim der Fall. So interessant mir alles war, was Sie mir von neuen Compositionen, brillantem Erfolg der letzteren usw. schreiben, so bekenne ich dennoch, daß mir der leise Schimmer von Hoffnung, den ich aus Ihrem Schreiben entnehme, nämlich Sie und Ihre liebe Frau bald wiederzusehen, das Allerliebste und Interessanteste war. Die Erinnerung von so mancher schön verlebten Stunde, die persönlich Anhänglichkeit, die ich gegen Sie hege, und die lange Trennung machen mir ein Wiedersehen zu einer wahren Herzenssache. Liebster Freund! wenn Sie es eingermaßen einrichten können, so besuchen Sie uns auf Ihrer Durchreise nach Paris. Sie werden es auch hinsichtlich der Stimmung mancher Menschen gegen Sie sehr verändert hier finden. Die Oper hat seit Ihrem Weggang so beträchtlich verloren, das Repertoire ist so außerordentlich schlecht geworden, daß die allgemeine Stimme endlich laut geworden ist und offensichtlich und heimlich, mündlich und schriftlich, die Direktion der Unwissenheit und Nachlässigkeit bezüchtigt. Die Ober-Direction wirft nun alle Schuld auf Hoffmann, welcher sich wohl nicht auf seinem Posten halten wird. Dieser glaubte sich die Gunst der Direction durch die Wahl sogenannter Kassenstücke zu sicher. Eins dieselben: das lustige Beylager.1 Ist aber sehr traurig für ihn ausgefallen; nur einmal gegeben wurde es förmlich ausgepfiffen, und die Iris erhob das Haupt zuerst gegen den Auswähler solcher Jämmerlichkeiten. Sie nannten alle schlechten Opern, welche seit einiger Zeit hier gegeben worden, und zählten dann ein Verzeichniß der besten auf, welche man hier vom Repertoire gestrichen; zu meinem Vergnügen befanden sich unter den letztern Ihre beiden hier gegebenen Opern. Alle Frankfurter Correspondenten im Morgenblatt2, in der Eleganten3 u.s.w. ließen sich nun in der Art vernehmen, wie ich es früher in der m.Z.4 gethan habe. Das wirkte sehr. – Dazu kam, daß Hoffmann glaubte, er müsse durchaus, um sich zu erhalten die Weise des verstorbenen Musikdirectors Schmitt annehmen, d.h. recht grob sein. Da diese Kraftäußerungen jedoch seiner Natur zuwider sind, so verfehlten sie auch ihre Wirkung. Wir sehen nun der Auflösung des Orchesters der einzigen Zierde des hiesigen Theaters entgegen. De Groote, Reinhard, Hasemann gehen weg; Rhode ist bereits fort. Auch im Singpersonale sind gruselige Lücken entstanden. Die Friedel geht nächstens, Hofler ist schon weg.5 In dieser Lage hat die Direction in einen sauren Apfel gebissen und Hoffmann zu Schelble geschickt und ihn um Beistand gebeten, vermutlich aber zur Mitwirkung in der Ausführung von Faust und Zemire u. Azor. Daß dieses ein großer Triumf für uns Gutgesinnten ist, können Sie sich leicht denken. – Auf mein dringendes Zureden hat sich S. entschlossen, sobald es seine Gesundheit erlaubt zu singen. Wie herrlich wäre es wenn dieses bei Ihrer Anwesenheit geschehen könnte!
Moscheles war bei seiner Rückreise von Amsterdam hier und hat5a ein sehr einträgliches Konzert gegeben.6 – Er hat mich beauftragt, Sie herzlich zu grüßen und Ihnen zu sagen, wie sehr er sich freue, diesen Winter mit Ihnen in Paris zu verleben. Er hat ein neues Konzert geschrieben, das ganz vortrefflich ist.
Der Flötenspieler Drouet aus Paris hat sich als einen der größten Virtuosen seiner Zeit kundgegeben. Dieses arme Instrument erscheint unter seinen Händen in einem unbeschreiblichen Zauber und fesselt den größten Flötenhasser einige Stunden und mehr.7
Meyerbeers Emma ist hier komplett durchgefallen und das mit Recht.8 Daß man in Italien soviel Aufhebens damit gemacht hat, wundert mich nicht, daß aber C.M. von Weber in Dresden ihm das Wort spricht, ist mir unbegreiflich.9
Lassen Sie mich nun etwas von mir sprechen. Vor 6 Wochen habe ich mein hiesiges Haus verkauft und mir ein anderes, sehr angenehmes in Offenbach gekauft, welches ich nächsten Montag beziehe und wodurch einer meiner Lieblings Wünsche erfüllt wird. Ich hoffe nun wieder recht glücklich zu werden. Auch in meinem Geschäftsleben wird es sich anders gestalten. – Die Geschäftslosigkeit der jetzigen Zeit überhaupt und die Umstände in Italien insbesondere veranlassen mich gegen Ende des Jahrs die Gesellschaftshandlung mit H. Pensa aufzugeben und vor der Hand, bis bessere Aussichten sich zum Geschäft zeigen, zu privatisieren und von meinen Briefen zu leben. Die Musen und die Erziehung meiner Kinder geben mir hinlängliche Beschäftigung. – Obgleich ich nicht wünsche, daß die Auflösung der Handlung ins Publikum vor der Zeit (d.h. gegen das Ende des Jahres) komme, so fühle ich mich dennoch verpflichtet es Ihnen jetzo anzuzeigen, damit Sie, wegen dem bei uns stehenden Kapital die nöthigen Vorkehrungen treffen können. –
Melden Sie mir daher, was Sie für Absichten mit jenem Gelde haben, und ob Sie solches vielleicht einem andern hiesigen Kaufmanne anvertrauen wollen; in diesem Falle schlage ich Ihnen Hr. Petsch, Associé von Goll & Söhne vor, da Sie ihn persönlich kennen. Jedenfalls bleibt das Geld bis zu Ihrer Verfügung bei uns stehen.
Ihrer Frau empfehle ich mich von ganzer Seele, die meinige grüßt Sie ebenfalls.
 
Leben Sie wohl Ewig
Ihr treuer Freund
WmSpeyer.



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Speyer, 26.09.1820. Der Postweg überschnitt sich offensichtlich mit Spohr an Speyer, 25.10.1820. Spohr beantwortete diesen Brief am 03.11.1820.
 
[1] Vgl. [Wilhelm Speyer], „Frankfurt am Mayn”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 22 (1820), Sp. 855-863, hier Sp. 858
 
[2] „Frankfurt a.M., den 4. Okt.”, in: Morgenblatt für gebildete Stände 14 (1820), S. 984
 
[3] W.K., „Aus Frankfurt a.M., im Oktober”, in: Zeitung für die elegante Welt (1820), S. 1759f. 
 
[4] [Wilhelm Speyer], „Frankfurt am Mayn”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 22 (1820), Sp. 430-436, hier Sp. 435f. 
 
[5] Vgl. [Wilhelm Speyer], „Frankfurt am Mayn”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 22 (1820), Sp. 855-863, hier Sp. 857.
 
[5a] [Ergänzung 22.04.2022:]
 
[6] Vgl. ebd., Sp. 858.
 
[7] Vgl. ebd.
 
[8] Vgl. ebd., Sp. 857f. 
 
[9] Zwar war Webers Aufführung erfolgreich, seine Kritik an dieser Oper dürfte jedoch mit den Anschauungen Spohrs und Speyers übereinstimmen: „Emma di Resburgo trägt hingegen ganz das Gepräge des Himmelsstriches, unter dem sie geschaffen wurde, und des da jetzt herrschenden Musikgeistes. Ich glaube, daß der Componist es sich zum Ziele gesetzt hatte, gefallen zu wollen, um so zu zeigen, daß er als Herr und Meister über alle Formen schalten und gebieten könne.” (Carl Maria von Weber, „Dramatisch-musikalische Notizen”, in: Abend-Zeitung 21.01.1820 und 22.01.1820, hier 22.01.1820, nicht paginiert; vgl. Armin Schuster, Die italienischen Opern Giacomo Meyerbeers, Marburg 2003, Bd. 2, S. 141f.).
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (01.02.2016).

Frankfurt, 26. Oktober 1820.
 
Es ist für mich und die Meinigen immer ein Fest, wenn ich Nachrichten von Ihnen erhalte, und so war es auch mit dem letzten Briefe aus Gandersheim der Fall. So interessant mir alles war, was Sie mir von neuen Kompositionen, brillantem Erfolg der letzteren usw. schreiben, so bekenne ich dennoch, daß mir der leise Schimmer von Hoffnung, den ich aus Ihrem Schreiben entnehme, nämlich Sie und Ihre liebe Frau bald wiederzusehen, das Allerliebste und Interessanteste war. Die Erinnerung von so mancher schön verlebten Stunde, die persönlich Anhänglichkeit, die ich gegen Sie hege, und die lange Trennung machen mir ein Wiedersehen zu einer wahren Herzenssache. Liebster Freund! wenn sSie es eingermaßen einrichten können, so besuchen Sie uns auf Ihrer Durchreise nach Paris. Sie werden es auch hinsichtlich der Stimmung mancher Menschen gegen Sie sehr verändert hier finden. Die Oper hat seit Ihrem Weggang so beträchtlich verloren, das Repertoire ist so außerordentlich schlecht geworden, daß die allgemeine Stimme endlich laut geworden ist und offensichtlich und heimlich, mündlich und schriftlich, die Direktion der Unwissenheit und Nachlässigkeit bezüchtigt.
Moscheles war bei seiner Rückreise von Amsterdam hier und hat ein sehr einträgliches Konzert gegeben. Er hat mich beauftragt, Sie herzlich zu grüßen und Ihnen zu sagen, wie sehr er sich freue, diesen Winter mit Ihnen in Paris zu verleben. Er hat ein neues Konzert geschrieben, das ganz vortrefflich ist. – Der Flötenspieler Drouet aus Paris hat sich als einen der größten Virtuosen seiner Zeit kundgegeben. Dieses arme Instrument erscheint unter seinen Händen in einem unbeschreiblichen Zauber und fesselt den größten Flötenhasser einige Stunden und mehr. – Meyerbeers ,Emma’ ist hier komplett durchgefallen und das mit Recht. Daß man in Italien soviel Aufhebens damit gemacht hat, wundert mich nicht, daß aber C.M. von Weber in Dresden ihm das Wort spricht, ist mir unbegreiflich.
Lassen Sie mich nun etwas von mir sprechen. Vor 6 Wochen habe ich mein hiesiges Haus verkauft und mir ein anderes, sehr angenehmes in Offenbach gekauft, welches ich nächsten Montag beziehe und wodurch einer meiner Lieblingswünsche erfüllt wird. Ich hoffe nun wieder recht glücklich zu werden. Auch in meinem Geschäftsleben wird es sich anders gestalten. Die Geschäftslosigkeit der jetzigen Zeit überhaupt und andere Umstände veranlassen mich gegen Ende des Jahrs mein hiesiges Unternehmen aufzugeben und vorderhand, bis sich bessere Aussichten zeigen, zu privatisieren. Die Musen und die Erziehung meiner Kinder geben mir hinlängliche Beschäftigung ...
Leben Sie wohl! Ewig Ihr treuer Freund Wm. Speyer.