Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,20

Gandersheim den
26sten September
20.

Geliebter Freund,

In der Einförmigkeit in der wir hier leben, hat es mir seither ganz an Stoff zu einem Briefe gefehlt, sonst hätte ich Ihnen längst wieder geschrieben. Ein einziges mal haben wir eine Ausfahrt nach Hildesheim gemacht und dort eine von den dortigen Musikfreunden1 im Voraus arrangirte Musik-Abend-Unterhaltung gegeben die außerordentlich ergiebig war und mir von neuem die Überzeugung gegeben hat, daß bey einiger Berühmtheit in kl. Städten wegen der dort seltenen Concerte und der geringen Kosten mehr zu gewinnen sey, als in großen. Ich habe daher auch nicht übel Lust vor unserer Reise nach Paris noch einen Zug durch Deutschland zu machen und hauptsächlich solche Städte zu besuchen, wo ich noch nie war, z. B. Magdeburg, Dessau, Halle, u.s.w.
In 14 Tagen werden wir nach Quedlinburg reisen wo Bischoff auf den 12ten und 13ten October 2 ganze Musikaufführungen veranstaltet, die ich dirigieren werde.2 Am ersten Tage wird auf meinen Vorschlag Schneiders neues Oratorium: Das Weltgericht gegeben werden ein Werk welches in den Chören und Fugen außerordentliche Schönheiten hat. – Am 2ten Tage: 1.) Ouverture aus Egmont v. Beethoven. 2.) Neues Violin-Concert von mir (D moll). 3.) Die Londoner Sinfonie, welche wir schon vor den gestochenen Stimmen spielen werden (die Partitur werde ich Ihnen schicken. Sie ist aber in Leipzig und der Stich nach ihr gemacht.) 4.) Meine Concertante, von Herrn Müller in Braunschweig und meinem Schüler Grund in Hamburg gespielt. 5.) Concertino von Hermstedt geblasen. 6.) Die Harmonie der Sphären von Andr. Romberg.
Es erscheinen jetzt in Leipzig bey Peters außer der Sinfonie noch folgende Sachen: 1.) Die Concertante welche bereits versandt wird. 2.) Rondo concertant für Pianof. und Violine nach meiner Fantasie für Harfe bearbeitet aber sehr verändert. 3.) Ein Potpourri für diese Instrumente über Themas aus der Zauberflöte, die Sie als Harfenstück schon gehört haben und dann 4.) endlich das Portrait.3 Ich werde nun zwar das Gemälde wieder bekommen, allein da ich es schon früher meinen Eltern versprochen hatte, so bin ich außer Stande Ihrem Wunsche zu genügen. – Das neue große Quintett für Pianof. und Blasinstrumente werde ich noch einige Zeit im Manuscript behalten weil meine Frau es auf der Reise spielen wird. – Gegen Weihnachten wird der Clavierauszug von Zemire und Azor bey Kranz in Hamburg erscheinen. Der von Faust wird bis zur Ostermesse bey Peters fertig. Dann wird, wenn auch nicht in den Theatern, doch in den Privatgesellschaften viel von meiner Komposition gesungen werden. – In Hamburg hat der dortige Gesangverein4 mit einem großen Orchester Zemire u Azor 3 mal als Concertmusik in einem Saal gegeben und als Folge dieser Aufführungen hat mir Kranz ein bedeutendes Honorar für den Clavier-Auszug geboten, den Schwencke nun so bald als möglich machen wird. Einen frühren Verkauf an Peters konnte ich, da er noch so viele von meinen Manuscripten hat, wieder rückgängig machen. An Verlegern zu diesem Clavierauszug hat es mir überhaupt nicht gefehlt, denn auch Stainer in Wien, der die Oper in Leipzig gehört hatte, machte mir Anträge. Da ich jetzt von Manuscripten, die zum Stich bestimmt sind, nichts vorräthig habe, so kann ich unserm Freund André vor der Hand nichts anbiethen; sobald ich aber wieder etwas haben werde, soll es geschehen.
Wie geht es Ihnen, dem geliebten Freund? Werden Sie wirklich nach Offenbach gehen? Oder haben Sie die Idee wieder aufgegeben? Hat der Krieg in Italien keinen nachtheiligen Einfluß auf Ihr Geschäft? Ich weiß noch nicht, welchen Weg5 wir nach Paris nehmen und ob wir nach Frankfurt kommen werden. Nach der Quedlinburger Reise schreibe ich Ihnen wieder; bis dahin hoffe ich aber einen Brief von Ihnen zu erhalten. Grüßen Sie alle die Ihrigen recht herzlich von uns. Ewig

Ihr
treuer Freund
Louis Spohr.



Der letzte überlieferte Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Speyer, 22.07.1820. Speyer beantwortete diesen Brief am 26.10.1820. Dabei überschnitt sich der Postweg offensichtlich mit Spohr an Speyer, 25.10.1820.

[1] In Hildesheim war damals der im Folgenden noch genannte Georg Friedrich Bischoff Musikdirektor der evangelischen Kirchen.

[2] Vgl. „Musikfest zu Quedlinburg”, in: Literarisches Conversationsblatt 21.11.1820, nicht paginiert

[3] Wohl das heute verschollene Porträt von Adam Grünbaum, nach dem mehrere Lithografien erstellt wurden (vgl. Herfried Homburg, „Bildnisse Louis Spohrs. Eine vorläufige Bestandsaufnahme”, in: Louis Spohr. Festschrift und Ausstellungskatalog zum 200. Geburtstag, hrsg. v. Hartmut Becker und Rainer Krempien (= Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Ausstellungskatalog 22), Kassel 1984, S. 209-230, hier S. 212f.).

[4] Spohr gibt nicht an, um welchen der Hamburgischen Gesangvereine es sich handelt. Zu diesem Zeitpunkt gab es Chöre unter der Leitung von Johann Heinrich Clasing, Louise Reichard, Johann Jacob Behrens und Wilhelm Grund (Gottfried Benjamin Eisenschmidt, Freimüthige Bemerkungen über einige Gebräuche, Sitten und Gewohnheiten in der protestantischen Kirche, Ronneburg 1821, S. 220). Vielleicht ist hier der Chor von Grund gemeint, dessen Zweck jedoch nach einer zeitgenössischen Quelle ausschließlich die „gemeinschaftliche Uebung des religiösen Gesangs“ war (Georg Nicolaus Bärmann, Hamburg und Hamburgs Umgebung. Ein Hand- und Hülfsbuch für Fremde und Einheimische, nach den neuesten Angaben und zuverlässigsten Quellen, Hamburg 1822, S. 175).

[5] Hier gestrichen: „ich“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (01.02.2016).