Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,200 
Druck: Edward Speyer, Wilhelm Speyer der Liederkomponist 1790-1878. Sein Leben und Verkehr mit seinen Zeitgenossen dargestellt von seinem jüngsten Sohne, München 1925, S. 57f. (teilweise)

Herrn
Dr. und Physicus Spohr
für H. Louis Spohr
Gandersheim
über Göttingen
Frankfurt a/m, 4 Juli 1820.


Geliebter Freund!
Mit Freude empfing ich Ihr Schreiben vom 18 Juni aus London, und schon einige Zeit früher von H. Obicini in einem Wechsel auf Rothschild £ 400, welche nach hiesigem Gelde ca. f. 4800,- betragen und wofür Sie creditirt sind. – Ihre Berechnung war ganz richtig, denn mit Innbeyrist(?) der Zinßen kommen Ihnen etwas über f 7000. zu gute.
Die glücklichen Resultate Ihres Aufenthalts in London freuen mich ungemein; ich will gar nicht vom pecuniären Gewinn sprechen, allein der Glanz, den Sie durch diese Reise Ihrem Rufe hinzugefügt haben, ist unberechenbar. Wahrscheinlich sind Sie jetzt bei Ihren Kindern und Eltern und ich gönne Ihnen und Ihrer Frau so recht von Herzen jenes entzückende Zusammenleben. – Empfehlen Sie mich doch aufs innigste Ihrem Vater und danken Sie ihm in meinem Namen für den lieben Brief, den er mir vergangenen Herbst geschrieben und den ich, mangelnder Veranlaßung wegen, nicht beantwortet habe.1
Welchen Plan haben Sie nun für die Zukunft, und wohin gedenken Sie sich fürs erste zu wenden? Wäre mit Ihrem Plan nicht eine Durchreise wenigstens, durch Frankfurt zu verbinden? Und würden mich und die Meinigen sehr glücklich machen!
Sollten Sie mir bei Ansicht dieses, noch nicht geschrieben haben, so bitte ich Sie darum, damit wir von Ihrer glücklichen Ankunft bald überzeugt werden. – Aus Nr. 23 der musikal. Zeitung werden Sie entnommen haben, was ich über Ihren Aufenthalt in London habe einrücken lassen2, auch können Sie daraus ersehen, wie es mit der Kunst allhier den Winter über gegangen ist. Unsere Oper wird sich nächstens in einem erbärmlichen Zustande befinden.3 – Die Dölle ist bereits seit einigen Monaten weg, Friedel und Gollmann gehen auch. Die letztere war indessen eine übereilte Aquisition, denn sie hat ihre Stimme beinahe ganz verloren, und singt fürchterlich falsch. Dagegen hat man in Dobler, vom Linzer Theater einen brauchbaren Baßisten gewonnen. – Übrigens geht alles den alten erbärmlichen Gang. Bei der letzten General Versammlung der Actionairs hat sich wieder ein Deficit von f 12/m ergeben.
Ihre Scene oder 8me Conzert ist nun bei Peters erschienen und in meinen Händen. Sie ist recht schön gestochen, noch fand ich keinen Stichfehler bisjetzt; allein auf dem Titel steht op. 47 und auf den Stimmen op. 46. – Ihr Porträt ist noch nicht erschienen. – Wenn Sie mit dem Minieturbild4 keinen andern Zweck haben, so würden Sie mich sehr glücklich machen, wenn Sie Peters beuauftragten, es mir zuzusenden.
Nun etwas Neues, was mich betrifft. – Ich habe nämlich den Entschluß gefaßt, wieder nach Offenbach zu ziehen, um dort auf immer zu bleiben. – Mancherley hat mich dazu bestimmt. Zuvörderst wissen Sie, daß ich ungern in der Stadt wohne, daß mir ein 25jähriger Aufenthalt, und meine Jugendfreunde eine besondere Vorliebe für Off. eingeflößt und eine Sehnsucht dorthin in ei[ner Weise e]rzeugt haben, welche immer stärker wird in dem Grade, als ich mich täglich mehr überzeuge, welch ein erbärmlicher Aufenthalt F. für jeden sein muß, dem nicht die Verwandtschaft mit Pluto über alles geht.
Dazu kommt, daß meine Mutter, welche ebenfalls hier nicht glücklich ist, eine sehr beschränkte Wohnung nur hat, welche ich durch die Miethe des 2ten Stocks meines Nachbarn vergrößern wollte, welches aber an dem Eigensinn dieses Mannes scheiterte. Dieses und noch mehrere andere Ursachen veranlaßten mich zu jenem Entschluß, und hauptsächlich die Pflicht gegen mich selbst, mein Leben nicht unnöthigerweise verkümmern zu lassen. Ich bin nun bemüht, mein Haus hier zu verkaufen und hoffe noch im Laufe des Sommers F. verlassen zu können. In meinen übrigen Verhältnissen verursacht dieses vorderhand nicht die mindeste Veränderung, auch soll es mir in Hinsicht auf die Kunst nicht schaden. – So werde ich nun in Zukunft glücklicher leben können! Dort werde ich Ihrer mit Liebe und Freundschaft gedenken, und trifft es sich vielleicht, daß Sie mich auf einige Zeit in meinem Eden besuchen können, so wird mir von Freude nicht zu wünschen übrig bleiben. Von den Meinigen u. H[errn Pen]sa und Frau dier herzlichsten Grüße.
An Ihre Frau eine herzliche Umar[mung] von der meinigen.

[Leben] Sie glücklich und wohl!
Ihr Wm Speyer



Dieser Brief ist die Antwort auf Spohr an Speyer, 18.06.1820. Spohr antwortete am 22.07.1820.

[1] Vgl. Carl Heinrich Spohr an Wilhelm Speyer, 22.03.1820

[2] [Wilhelm Speyer], „Frankfurt am Mayn”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 22 (1820), Sp. 430-436, hier Sp. 435f. 

[3] Vgl. ebd., Sp. 434

[4] Wohl das heute verschollene Porträt von Adam Grünbaum, nach dem mehrere Lithografien erstellt wurden (vgl. Herfried Homburg, „Bildnisse Louis Spohrs. Eine vorläufige Bestandsaufnahme”, in: Louis Spohr. Festschrift und Ausstellungskatalog zum 200. Geburtstag, hrsg. v. Hartmut Becker und Rainer Krempien (= Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Ausstellungskatalog 22), Kassel 1984, S. 209-230, hier S. 212f.).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (28.01.2016).

Frankfurt, 4. Juli 1820.

Geliebter Freund,

Mit Freude empfing ich Ihr Schreiben vom 18. Juni aus London. ... Die glücklichen Resultate Ihres Aufenthalts in London freuen mich ungemein; ich will gar nicht vom pekuniären Gewinn sprechen, allein der Glanz, den Sie durch diese Reise Ihrem Rufe hinzugefügt haben, ist unberechenbar. Wahrscheinlich sind Sie jetzt bei Ihren Kindern und Eltern und ich gönne Ihnen und Ihrer Frau so recht von Herzen jenes entzückende Zusammenleben ... Aus Nr. 23 der ,Allgemeinen Musikalischen Zeitung’ werden Sie entnommen haben, was ich über Ihren Aufenthalt in London habe einrücken lassen, auch können Sie daraus ersehen, wie es mit der Kunst allhier den Winter über gegangen ist. Unsere Oper wird sich nächsten sin einem erbärmlichen Zustande befinden. ... Nun etwas Neues, was mich betrifft. Ich habe nämlich den Entschluß gefaßt, wieder nach Offenbach zu ziehen, um dort auf immer zu bleiben. Mancherlei hat mich dazu bestimmt. Zuvörderst wissen Sie, daß ich ungern in der Stadt wohne, daß mir ein fünfundzwanzigjähriger Aufenthalt und meine Jugendfreunde eine besondere Vorliebe für Offenbach eingeflößt und eine Sehnsucht dorthin in mir erzeugt haben, welche immer stärker wid in dem Grade, als ich mich täglich mehr überzeuge, welch ein erbärmlicher Aufenthalt Frankfurt für jeden sein muß, dem nicht die Verwandtschaft mit Pluto über alles geht. ... Dieses und noch mehrere andere Ursachen veranlaßten mich zu jenem Entschluß, und hauptsächlich die Pflicht gegen mich selbst, mein Leben nicht unnötigerweise verkümmern zu lassen. Ich bin nun bemüht, mein Haus hier zu verkaufen und hoffe Frankfurt im Laufe des Sommers verlassen zu können. In meinen übrigen Verhältnissen verursacht dieses vorderhand nicht die mindeste Veränderung, auch soll es mir in Hinsicht auf die Kunst nicht schaden. So werde ich nun in Zukunft glücklicher leben können! Dort werde ich Ihrer mit Liebe und Freundschaft gedenken, und trifft es sich vielleicht, daß Sie mich auf einige Zeit in meinem Eden besuchen können, so wird mir von Freude nicht zu wünschen übrig bleiben ... Leben Sie glücklich und wohl!

Ihr Wm. Speyer.