Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,16
Abschrift: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,17
Druck 1: „Briefe von L. Spohr”, in: Niederrheinische Musik-Zeitung 8 (1860), S. 73-77 und 93f., hier S. 74-77. 
Druck 2: „Letters of Spohr“, in: Musical World 38 (1860), S. 249-252, hier S. 251 (engl. Übersetzung von Druck 1)
Druck 3: Ludwig Nohl, „Fünf Briefe Spohr’s“, in: Didaskalia 18. und 21.05.1878, nicht paginiert
Druck 4: Edward Speyer, Wilhelm Speyer der Liederkomponist 1790-1878. Sein Leben und Verkehr mit seinen Zeitgenossen dargestellt von seinem jüngsten Sohne, München 1925, S. 49-55 (teilweise)

London den 17ten Aprill
20.
 
Geliebter Freund,
 
Wie kann ich Ihnen genug danken, daß Sie durch schnelles Wiederrufen jene Schreckensnachricht von unserm Tode meinen Eltern2 und meiner Schwiegermutter2 Tage des Kummers erspart haben!3 Ohne Ihren Brief, was hätten sie nicht noch alles gelitten bis der Wiederruf in den Zeitungen zu ihren Augen gekommen wäre. Nie werde ich Ihnen diesen Freundschaftsdienst vergessen! – Wir erhalten jezt aus allen Gegenden Deutschlands Glückwünschungsschreiben über unsere Erhaltung die uns als Beweis für die Theilnahme vieler guter Menschen viel Freude gewährt haben. Ich kann aber immer noch nicht begreifen wie das Gerücht von unserm Untergange entstanden seyn kann, da wir schon längst in London waren, wie der Sturm wüthete der so viel Schiffe zertrümmert hat.
Meinen ersten Brief worin ich Ihnen mein Auftreten in den 2 ersten Concerten der Ph. Gesellschaft meldete, haben Sie ohne Zweifel gleich nach Abgang des Ihrigen erhalten. Seit der Zeit habe ich wieder 3 mal öffentlich gespielt und das 3te Concert der Ph. Ges. dirigirt und bin, ich darf es wohl behaupten, immer mehr in der Gunst des Publikums gestiegen; wenigstens hat es mir bey jedem Auftreten die unzweideutigsten Beweise davon gegeben. Zuerst spielte ich im Theater Drurilane, in einem sogenannten Oratorio meinen Potpourri aus B dur; dann im lezten Dilettanten-Concerte3a in der Citti im Saal der Londoner- Schenke mit meiner Frau eine Sonate und im 2ten Theil meine Scene4 und zulezt in dem sogenannten Vokal Concerte einem sehr schönen Saal in Hannover-Square mein neues A-dur Concert5 welches besonderes Glück machte. Meine Frau die bey ihrem ersten Auftreten in London, wo so viel gute Harfenisten sind, durch ihren Muth mich ganz überraschte und beschämte da ich beym ersten Auftreten viel zaghafter war, erregte durch das eigenthümliche ihres Spiels große Sensation und erhielt von allen, die an dem Abend auftraten, den lebhaftesten Beyfall. Daß uns dieses Gelingen unserer Bestrebungen als Künstler den Aufenthalt sehr erheitert, können Sie leicht denken. Die größeste Freude hat mir aber die günstige Aufnahme meiner neuen Sinfonie gewährt. Es war vor meiner Ankunft in London noch nie irgend eine meiner Orchester-Kompositionen, weder im Ph. Concerte noch so viel ich weiß irgend einem der andern der andern Concerte gegeben worden und ich wünschte sehr eine Gelegenheit herbey, um den Künstlern und Kennern etwas davon zu hören zu geben. Diese fand sich. Unter mehreren recht zweckmäßigen Einrichtungen bey der Ph. Ges. findet auch die statt, daß sie im Laufe ihrer Concerte an zwey Abenden vor einem kl. ausgesuchten Publiko von Künstlern und Kennern neue, ihnen unbekannte Kompositionen (hauptsächlich Sinfonien und Ouvertüren) aufführen und den Beyfall der Anwesenden entscheiden lassen, ob sie der öffentlichen Aufführung in einem der folgenden Concerte würdig sind oder nicht. Bey einer solchen Probe gab ich ihnen meine gestochene Sinfonie (die neue war noch nicht ausgeschrieben) und 2 meiner Ouverturen, die aus der Alruna und die neue zu hören und der enthusiastische Beyfall mit dem die Sachen ausgezeichnet wurden (freylich hatten sie auch nur mit sehr schwachen Produkten zu concurriren einer Sinfonie von Soliva, dem Komponisten der Oper la testa di bronzo und einer andern noch schwächern von einem hiesigen Komponisten6) veranlaßte die Herren Directoren zu der Bitte ihnen die gestochene Sinfonie im nächsten Concert aufzuführen; dieß lehnte ich aber6a ab, indem ich ihnen sagte, daß ich zu meinem Debut als Komponist eine neue hier in London geschriebene bestimmt habe, welches denn auch genehmigt wurde, obgleich die Herren zu glauben schienen, daß ihnen die neue wohl kaum so gut gefallen könne wie die alte. Diese Meynung änderten sie aber schon in der Probe nach dem ersten Anhören. Das Orchester, dessen Gunst ich mir durch kl. Aufmerksamkeiten und Artigkeiten schon früher bey der Aufführung meiner andern Sachen erworben hatte, gab sich alle mögliche Mühe, die Sinfonie mir zu Dank zu executiren. Auch gewöhnten sie sich immer mehr an meine Weise zu dirigiren (ich war nemlich 8 Tage vorher bey der Probe der neuen Kompositionen ebenfalls zum Dirigiren aufgefordert worden.) und fanden darin eine große Stütze, so daß nicht allein meine Sinfonie, sondern auch alle andern Sachen, die in diesem Concerte aufgeführt wurden (die Sinfonie aus c mit der Fuge von Mozart und die Ouvertüren aus Fidelio und Medea) viel Genauer gingen als gewöhnlich. Es ist aber auch die Weise, wie man hier im Theater und in Concerten dirigirt, die verkehrteste, die man ersinnen kann. Von zwey Direktoren die da paradiren ist es eigentlich keiner. Der Conductor, wie er auf den Affichen heist, sizt am Piano und spielt aus der Partitur, giebt aber weder den Takt noch die Tempi an; der Leader oder erste Geiger sollte es eigentlich, da er aber nur eine erste Violinstimme vor sich6b hat, so kann er dem Orchester nicht einhelfen, begnügt sich daher seine Stimme herunter zu streichen und läßt das Orchester mitlaufen so gut es gehen will. Die Künstler hier haben des fehlerhafte dieser Weise und die Ohnmöglichkeit, daß ein Orchester von 50-60 Personen auf solche Art je ein Ensemble haben könne, wohl früher eingesehn, als ich es6c ihnen auseinandergesezt habe, allein sie wagen nicht eine Änderung zu treffen weil das einmal hergebrachte hier als heilig und unantastbar betrachtet wird ; so denn der Engländer überhaupt bey aller politischen Freiheit doch der ärgste Sclave der Etikette ist. – Ich dirigirte aber bey den Proben auf alte gewohnte Weise aus der Partitur und am Abend, wo dann freilich der Conductor hinter dem Piano paradiren mußte, wußte ich die Sachen schon so auswendig, daß ich dem Orchester auch ohne Partitur einhelfen konnte. – Meine Sinfonie wurde allso so genau und besonders so nuancirt vorgetragen, wie ich es nach einer einzigen ziemlich flüchtigen Probe nie gehofft hatte und dem habe ich es wohl zu danken, daß sie vom Publiko mit einem Enthusiasmus aufgenommen wurde, wie seit meiner Anwesenheit hier noch kein anderes Orchesterstück.
Die Menuette oder das Scherzo wurde Da capo verlangt und nach der Wiederholung noch lebhafter beklatscht. Dieser gute Erfolg ist mir doppelt erfreulich gewesen, weil er mich hoffen läßt, daß ich bis jezt als Komponist noch nicht zurückgeschritten bin, denn dem eigenen Urtheil, nach welchem diese Sinfonie das beste ist, was ich je an Orchestermusik geschrieben habe, darf ich nicht so unbedingt trauen, theils weil man die jüngsten Kinder immer am liebsten hat, theils weil man sich gar zu ungern gestehen will, daß die Schöpfungskraft der Jugend schon im Abnehmen6d sey.
Von andern Concerten und Musikaufführungen, denen wir beywohnten, läßt sich nicht viel erfreuliches melden. Die Italiänische Oper ist jezt ganz schlecht. Wir haben so fürchterliche Langeweile dort ausgestanden, daß wir uns bis jezt noch nicht haben entschließen können ein 2tes mal hinzugehen. Unter den Sängern zeichnet sich auch nicht ein einziger aus. Das Orchester, auf die Weise dirigirt, die ich oben beschrieben habe, ist im ewigen Schwanken und man fürchtet jeden Augenblick, daß es völlig umwerfen werde. Die Chöre sind unter aller Critik. – Von6e Benefice-Concerten war das interessanteste für uns (aber nicht durch seine Güte!) das, was die 71jährige Mara im Opernhause gab.
Sie hatte warscheinlich gehofft, die Neugierde eine Sängerin, die man vor 40 Jahren in ihrer Blüthe hier bewundert hatte, nun als Matrone wieder zu hören, werde die Engländer in großer Anzahl ins Theater locken und sie in ihren alten Tagen noch einmal einen recht bedeutenden Schlag machen, allein sie betrog sich gewaltig! Das Haus war leer und bey den ungeheuren Kosten in diesem Theater (das Haus allein kostet 100 Guineen) wird sie wohl noch zu den Unkosten haben zulegen müssen. Hat sie sich ohne die größeste Noth dazu gezwungen worden zu seyn, durch dieses öffentliche Auftreten lächerlich gemacht und ihren Wohl erworben Ruf so leichtsinnig vergeudet, so verdient sie vollkommen durch den schlechten Erfolg dafür bestraft worden zu seyn. Ist es aber wahr, was man hin und wieder im Publiko erzählt, daß sie beim Brande von Moskau um all das Ihrige gekomnen sey, so muß man der armen alten Frau sein volles Mitleiden schenken, die in so hohem Alter des Gewinns wegen den lezten Überrest ihres ehemals so hoch gefeyerten Kunsttalents öffentlich ausstellen muß. Was sie übrigens an dem Abend davon zu hören gab, war gar zu wenig und sie entging dem allgemeinen Verspotten wohl nur dadurch, daß sie vor ihrem Auftreten dem Publiko sagen ließ, sie sey ganz heiser und müsse um Nachsicht bitten. Es ist ihr nicht nur fast gar keine Stimme geblieben, sondern auch alles was sie an diesem unglücklichen Abend zu machen versuchte, war so unsicher, falsch und selbst6f geschm[acklos], daß man sich daraus ohnmöglich einen Begriff von ihren frühern Vorzügen entnehmen konnte. – An diesem Abend geschah noch einiges, was nur in Engeland vorfallen kann. Ein Schüler von Kramer sollte das große Clavierconcert von Mozart in C dur mit Trompeten und Pauken und stark besezten Orchester spielen7, es fand sich aber, daß das Piano so hoch stand, daß keins der Blasinstrumente gebraucht werden konnte. In jeder andern Stadt hätte man ein solches Concert vorher probirt und dann hätte der Stimmer zwischen Probe und Aufführung das Instrument noch gehörig stimmen können; hier war das aber nicht geschehen. Ich erwartete nun man werde das Concert ganz weglassen der Clavierspieler werde statt dessen etwas anderes ohne Begleitung [spielen], aber weit gefehlt! man gab dieses Musickstück wo die Blasinstrumente so wesentlich sind ganz ohne diese, bloß die erste Oboe-7a und erste Fagott-Stimme wurden auf Geige und Violoncell gespielt. Wie nun besonders die Tutti in dem großen Opernhause klangen können Sie sich denken! Ich habe aber nicht bemerkt, daß irgend jemand im Publiko diese Profanation eines herrlichen Meisterwerks übelgenommen hätte! oder haben sie vieleicht geglaubt es müsse so seyn? Der Violinist Cramer spielte dann im 2ten Theil ein Violin-Concert von Martini welches wenigstens 120 Jahr alt ist. Etwas langweiligeres giebt es wohl schwerlich auf der Welt! Wie man so etwas im Publiko spielen kann ist mir unbegreiflich! Wenn es aber auch hier nicht geschähe, mögte es wohl schwerlich wo anders geschehen! Als eine Merkwürdigkeit von London war es mir daher nicht ohne Interesse; auch fühlte ich einmal wieder recht lebhaft, daß wenn es in jener Zeit auch schon Vokal-Musik gab, die Instrumental-Musik doch erst in den lezten 50-60 Jahren von unsern Heroen in Wien geschaffen worden ist! Dagegen habe ich sogenannte Glees aus jener Zeit, 4stimmige Gesänge für Männerstimmen mit dem größesten Vergnügen schon in mehreren Concerten singen hören. Es ist dieß die einzige National-Musick die die Engländer besitzen. Besonders giebt7b es einige von Webbe und Smith, die ganz vortrefflich sind. Es ist aber auch ohnmöglich solche Gesänge vollendeter vorzutragen als es von den Herren W. und C. Knyvett, Vaughan und Bellamy geschieht. Eine solche Gleichheit der Simmen und eine so vollkommen reine Intonation sind mir früher nie vorgekommen. Man scheint hier aber nicht viel Werth darauf zu legen und hat mich immer sehr verwundert angesehen, wenn ich mit Entzücken davon gesprochen habe. Eine Rossinische Cavatine sezt auch hier die Hände viel sicherer in Bewegung! – In einem der lezten Vokal-Concerte wurde ein Te deum von Graun gesungen. Kaum hatten die Sänger nach dem sehr langen Vorspiele die ersten Worte gesungen, als sich alle Anwesenden erhoben und so lange das Musickstück dauerte stehen blieb[en]. Es ist mir dieß in doppelter Hinsicht lächerlich vorgekommen! Erstlich zu sehen, daß die Engländer unserm Herr Gott gleiche äußere Ehre wie ihrem Könige erweisen, denn bekanntlich wird das Gott sav the King, der König mag anwesend seyn oder nicht, auch immer stehend angehört, und 2tens, daß sie ein Concert-Musickstück, was eben wie die andern im Concert-Saal nur aufgeführt wird, um den Anwesenden einen Kunstgenuß zu bereiten, als zum Kirchlichen Ritus gehörig betrachten und dabey sich geberden als wären sie in der Kirche. Der Ernst und die Gravität, womit der Engländer die oft absurden Vorschriften der Etikette beobachtet, kommt mir überhaupt immer sehr komisch vor und ich kann das mit dem Verstande und dem Freiheitssinn, dessen er sich rühmt, wenig reimen.
Ich mögte wohl, mein geliebter Freund, daß Sie oder, wenn Sie keine Zeit und Lust dazu hätten, Döring, aus meinen Briefen und dem was über unsere Leistungen in den hiesigen Zeitungen (die ja wohl in Frankfurt gelesen werden,) steht, einen Bericht für die Musikalische Zeitung auszögen; allein es versteht sich, daß niemand auch nur ahnden dürfte, daß die Nachrichten von mir herrühren! denn es ist sehr warscheinlich, daß ich nächstes Jahr wieder hieher kommen werde und da mögte ich mich durch manche meiner Berichte wohl nicht eben insinuiren.
Von Berlin habe ich Nachricht, daß die erledigte Kapellmeister Stelle nicht wieder besezt werden soll. Man hat aus dem Hornisten Schneider einen 2ten Musikdirektor gemacht und will sich nun damit begnügen. Ich habe nun allso keine weitere Veranlassung meine Oper noch länger zurück zu behalten und bitte Sie daher Partitur und Buch mit einliegendem Briefe mit erster fahrender Post an den Grafen Brühl abzusenden.
Da das Porto hier so unerhört theuer ist und mich fast jeder Brief aus Deutschland 5 Schillinge kostet, so bin ich sehr froh eine Gelegenheit gefunden zu haben, durch welche ich die meinigen portofrey absenden und auch die Antworten erhalten kann. Haben Sie daher doch die Güte Ihre Briefe an mich mit einem doppelten Couvert zu umgeben; auf das innere schreiben Sie: An Herrn Doktor Küper in London 12 Lower7c Eaden Street - und auf das äußere: An Herrn Feldpropst Gündell in Hannover und schicken sie sodann nach Hannover. Von dort gehen sie mit Kabinettsdepeschen sehr schnell hieher, so daß ich sie eben so bald erhalten werde als wenn Sie sie über Calais schickten.
Bey dem herrlichen Frühlingswetter fangen wir an nun an Excursionen in und um London zu machen um die Merkwürdigkeiten zu sehen. So waren wir am lezten Sonntag in Richmond, 13 Engl. Meilen von hier in einer wahrhaft paradiesischen Gegend. Ich kann Ihnen nicht beschreiben wie wohl es uns that das erste Grün und die ersten Baumblüthen zu sehn und einmal wieder reine Luft ohne den unerträglichen Steinkohlendampf einzuathmen. Um so schwerer fiel es uns aber auf die Brust wie wir uns dem großen Steinhaufen wieder näherten. – Es wird jezt täglich lebhafter in der Stadt und die Winter-Saison wird nun mit der Baumblüthe endlich ihren Anfang nehmen. Kann es wohl größere Verkehrtheit geben als in London?!
Im nächsten Briefe werde ich Ihnen beschreiben wie man hier in den meisten Privat Häusern Musick treibt. Es ist dieß auch ganz Englisch! Doch machen einige Häuser rühmliche Ausnahmen. So habe ich gestern Abend beym Herzog v. Hamilton gespielt wo der Herzog von Sussex8 und eine sehr vornehme Gesellschaft zugegen waren; ich kann aber nicht genug die Stille und Aufmerksamkeit während der Musik, so wie das artige Betragen der Anwesenden gegen uns Künstler rühmen! Die Engländer, besonders die gereiset sind, können auch recht liebenswürdig seyn!
Leben Sie wohl. Die herzlichsten Grüße an die Ihrigen. Erfreuen Sie uns bald wieder mit einem Briefe.
Wie immer ganz der Ihrige
Louis Spohr.



Dieser Brief schließt an Spohr an Speyer, 27.03.1820 an. Speyer beantwortete diesen Brief am 04.07.1820.
 
[1] Ernestine und Carl Heinrich Spohr.
 
[2] Sophie Elisabeth Susanne Scheidler.
 
[3] Vgl. Carl Heinrich Spohr an Speyer, 22.03.1820.
 
[3a] [Ergänzung 07.06.2022:] „Dilettanten-“ über der Zeile eingefügt.
 
[4] Violinkonzert op. 47, sogenannte „Gesangszene”.
 
[5] Die Verschlagwortung folgt hier Clive Browns Vermutung, es handle sich um die Konzertante op. 48 (The Popularity and Influence of Spohr in England, Phil. Diss. Oxford 1980, S. 8).
 
[6] Noch nicht ermittelt.
 
[6a] [Ergänzung 07.06.2022:] „aber“ über der Zeile eingefügt.
 
[6b] [Ergänzung 07.06.2022:] „vor sich“ über der Zeile eingefügt.
 
[6c] [Ergänzung 07.06.2022:] Hier gestrichen: „Ih“(???).
 
[6d] [Ergänzung 07.06.2022:] Hier gestrichen: „und“.
 
[6e] [Ergänzung 07.06.2022:] Hier ein Wort gestrichen.
 
[6f] [Ergänzung 07.06.2022:] Hier ein Buchstabe gestrichen.
 
[7] Vermutlich KV 467, denkbar wäre aber auch KV 415.
 
[7a] [Ergänzung 07.06.2022:] Hier gestrichen: „Stimme“.
 
[7b] [Ergänzung 07.06.2022:] „giebt“ über gestrichenem „sind“ eingefügt.
 
[7c] [Ergänzung 07.06.2022:] Hier ein großer Buchstabe gestrichen.
 
[7d] [Ergänzung 07.06.2022:] „wohl“ über gestrichenem Wort eingefügt.
 
[8] Augustus Frederick, Bruder des damals amtierenden Königs Georg IV und des späteren Königs Wilhelm IV.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (27.01.2016).

London, den 17. April 1820.
 
Geliebter Freund!
 
Wie kann ich Ihnen genug danken, dass Sie durch schnelles Widerrufen jener Schreckens-Nachricht von unserem Tode meinen Eltern und meiner Schwiegermutter Tage des Kummers erspart haben! Ohne Ihren Brief, was hätten sie nicht noch alles gelitten, bis der Widerruf in den Zeitungen zu ihren Augen gekommen wäre! Nie werde ich Ihnen diesen Freundschaftsdienst vergessen. Wir erhalten jetzt aus allen Gegenden Deutschlands Glückwünschungen über unsere Erhaltung, die uns als Beweis für die Theilnahme vieler guten Menschen viel Freude gemacht haben. Ich kann aber immer noch nicht begreifen, wie das Gerücht von unserem Untergange entstanden sein kann, da wir schon längst in London waren, als der Sturm wüthete, der so viele Schiffe zertrümmert hat.
Meinen ersten Brief, worin ich Ihnen mein Auftreten in den zwei ersten Concerten der Philharmonischen Gesellschaft meldete, haben Sie ohne Zweifel gleich nach Abgang des Ihrigen erhalten. Seit der Zeit habe ich wieder drei Mal öffentlich gespielt und das dritte Concert der Philharmonischen Gesellschaft dirigirt, und bin, ich darf es wohl behaupten, immer mehr in der Gunst des Publicums gestiegen, wenigstens hat es mir bei jedem Auftreten die unzweideutigsten Beweise davon gegeben. Zuerst spielte ich im Theatre Drurylane in einem so genannten Oratorium mein Potpourri aus B-dur, dann im letzten Dilletanten-Concerte in der City im Saale der London Tavern mit meiner Frau eine Sonate und im zweiten Theile meine Scene, und zuletzt in dem so genannten Vocal-Concerte in einem sehr schönen Saale in Hanover Square ein neues A-dur-Concert, das besonderes Glück machte. Meine Frau, die bei ihrem ersten Auftreten in London, wo so viele gute Harfenmeister sind, durch ihren Muth mich ganz Überraschte und beschämte, da ich beim ersten Auftreten viel zaghafter war, erregte durch das Eigentümliche ihres Spiels grosse Sensation. und erhielt von allen, die an dem Abfinde auftraten, den lebhaftesten Beifall, dass uns dieses Gelingen unserer Bestrebungen als Künstler den Aufenthalt sehr erheitert, können Sie leicht denken.
Die grösste Freude hat mir aber die Aufnahme meiner neuen Sinfonie gewährt. Es war vor meiner Ankunft in London,noch nie irgend eine meiner Orchester-Compositionen weder im Philharmonischen Concerte noch, so viel ich weiss, in irgend einem der andern Concerte gegeben worden, und ich wünschte sehr eine Gelegenheit herbei, um den Künstlern und Kennern etwas davon zu hören zu geben. Diese fand sich. Unter mehreren recht zweckmässigen Einrichtungen findet auch die Statt, dass sie im Laufe ihrer, Concerte an zwei Abenden vor einem kleinen ausgewählten Publicum von Künstlern und Kennern nur ihnen unbekannte Compositionen (hauptsächlich Sinfonien und Ouvertüren) executiren, und den Beifall der Anwesenden entscheiden lassen, ob sie der öffentlichen Aufführung in einem der folgenden Concerte würdig sind oder nicht. Bei einer solchen Probe gab ich ihnen meine gestochene Sinfonie (die neue war noch nicht ausgeschrieben) und zwei meiner Ouvertüren, die aus der Alruna und die neue, zu hör.en, und der enthusiastischste Beifall, mit dem diese Sachen ausgezeichnet w urden (freilich halten sie nur mit sehr schwachen P.roduclcn zu concurriren, einer Sinfonie von Soliva, dem Componislen der Oper La testa dl bronzo, und einer andereu noch schwächeren von einem hiesigen Componsten) veranlasste die Herren Directoren zu der Bitte, ihnen die gestochene Sinfonie im nächsten Concerte aufzuführen; dieses lehnte ich aber ab, indem ich ihnen sagte, dass ich zu meinem Debut als Componist eine neue, hier in London geschriebene bestimmt habe, welches denn auch genehmigt wurde, obgleich die Herren zu glauben schienen, dass ihnen die neue wohl kaum so gut gefallen könne, wie die alte. Diese Meinung änderten sie aber schon in der Probe nach dem ersten Anhören. Das Orchester, dessen Gunst ich mir durch kleine Aufmerksamkeiten und Artigkeiten schon früher bei der Aufführung meiner anderen Sachen erworben hatte, gab sich alle mögliche Mühe, die Sinfonie mir zu Dank zu executiren. Auch gewöhnten sie sich immer mehr an meine Weise, zu dirigiren (ich war nämlich acht Tage vorher bei der Probe der neuen Composition ebenfalls zum Dirigiren aufgefordert worden), und fanden darin eine grosse Stütze, so dass nicht allein diese Sinfonie, sondern auch alle anderen Sachen, die in diesem Concerte aufgeführt wurden (die Sinfonie aus C mit der Fuge von Mozart und die Ouvertüren aus Fidelio und Medea) viel genauer gingen, als gewöhnlich.
Es ist aber auch die Weise, wie man hier im Theater und in Concerten dirigirt, die verkehrteste, die man ersinnen kann. Von zwei Directoren, die da paradiren, ist es eigentlich keiner. Der Conductor, wie er auf den Affichen heisst, sitzt am Piano und spielt aus der Partitur, gibt aber weder den Tact noch die Tempi an; der Leader oder erste Geiger sollte es eigentlich, da er aber nur eine blosse Violinstimme vor sich hat, so kann er dem Orchester nicht einhelfen, begnügt sich daher, seine Stimme herunter zu streichen, und lässt das Orchester mitlaufen, so gut es gehen will. Die Künstler hier haben das Fehlerhafte dieser Weise und die Unmöglichkeit, dass ein Orchester von 50-60 Personen auf solche Art je ein Ensemble haben könne, wohl früher eingesehen, als ich es ihnen aus einander gesetzt habe; allein sie wagen nicht, eine Aenderung zu treffen, weil das einmal Hergebrachte hier als heilig und unantastbar betrachtet wird, so wie denn der Engländer überhaupt bei aller politischen Freiheit doch der ärgste Sclave der Etiquette ist. Ich dirigirte aber bei den Proben auf alte gewohnte Weise aus der Partitur, und am Abende, wo dann freilich der Conductor hinter dem Piano paradiren muss, wusste ich die Sache schon so auswendig, dass ich dem Orchester auch ohne Partitur einhelfen konnte. Meine Sinfonie wurde also so genau und nuancirt vorgetragen, wie ich es nach einer einzigen, ziemlich flüchtigen Probe nie gehofft hatte, und dem habe ich es wohl zu danken, dass sie vom Publicum mit einem Enthusiasmus aufgenommen wurde, wie seit meiner Anwesenheit hier noch kein anderes Orchesterstück. Die Menuett oder das Scherzo wurde da capo verlangt und nach der Wiederholung noch lebhafter beklatscht. Dieser gute Erfolg ist mir doppelt erfreulich gewesen, weil er mich hoffen lässt, dass ich bis jetzt als Componist noch nicht zurückgeschritten bin; denn dem eigenen Urtheile, nach welchem diese Sinfonie das Beste ist, was ich je von Orchestermusik geschrieben habe, darf ich nicht so unbedingt trauen, theils weil man die jüngsten Kinder immer am liebsten hat, theils weil man sich gar zu ungern gestehen will, dass die Schöpfungskraft der Jugend schon im Abnehmen sei.
Von anderen Concerten und Musik-Aufführungen, denen wir beiwohnten, lässt sich nicht viel Erfreuliches melden. Die italienische Oper ist jetzt ganz schlecht. Wir haben so fürchterliche Langeweile dort ausgestanden, dass wir uns bis jetzt noch nicht haben entschliessen können, ein zweites Mal hinzugehen. Unter den Sängern zeichnete sich auch nicht ein einziger aus. Das Orchester, auf die Weise dirigirt, die ich eben beschrieben habe, ist in ewigem Schwanken, und man fürchtet jeden Augenblick, dass es völllig umwerfen werde. Die Chöre sind unter aller Kritik. Von Benefiz-Concerten war das interessanteste für uns (aber nicht durch seine Güte!) das, was die siebenzigjährige Mara im Opernbause gab. Sic halte wahrscheinlich gehofft, die Neugierde, eine Sängerin, die man vor vierzig Jahren in ihrer Blüthe hier bewundert hatte, nun als Matrone wieder zu hören, werde die Engländer in grosser Anzahl ins Theater locken, und sie in ihren alten Tagen noch einmal einen rechten Schlag machen; allein sie betrog sich gewaltig. Das Haus war leer, und bei den ungeheuren Kosten in diesem Theater (das Haus allein kostet 100 Guineen) wird sie wohl noch zu den Unkosten haben zulegen müssen. Hat sie sich, ohne durch die grösste Noth dazu gezwungen worden zu sein, durch dieses öffentliche Auftreten lächerlich gemacht und ihren wohlerworbenen Ruf so leichtsinnig vergeudet, so verdient sie vollkommen, durch den schlechten Erfolg dafür bestraft worden zu sein. Ist es aber wahr, was man hin und wieder im Publicum erzählt, dass sie beim Brande von Moskau um all das Ihrige gekommen sei, so muss man der armen allen Frau sein volles Mitleiden schenken, die in so hohem Alter des Gewinnes wegen den letzten Ueberrest ihres ehemals so hoch gefeierten Künstler-Talentes öffentlich ausstellen muss. Was sie übrigens an dem Abende davon zu hören gab, war gar zu wenig, und sie entging dem allgemeinen Verspotten wohl nur dadurch, dass sie vor ihrem Auftreten dem Publicum sagen liess, sie sei ganz heiser und müsse um Nachsicht bitten. Es ist ihr nicht nur fast gar keine Stimme geblieben, sondern auch alles, was sie an diesem unglücklichen Abende zu machen versuchte, war so unsicher, falsch und selbst geschmacklos, dass man sich daraus unmöglich einen Begriff von ihren früheren Vorzügen abnehmen konnte.
An diesem Abende geschah noch Einiges, was nur in England vorkommen kann. Ein Schüler von Kramer sollte das grosse Clavier-Concert von Mozart mit Trompeten und Pauken und stark besetztem Orchester spielen; es fand sich aber, dass das Piano so hoch stand, dass keines der Blasinstrumente gebraucht werden konnte. In jeder anderen Stadt hätte man ein solches Concert vorher probirt, und dann hätte der Stimmer zwischen Probe und Aufführung das Instrument noch gehörig stimmen können; hier war das aber nicht geschehen. Ich erwartete nun, man werde das Concert ganz weglassen, und der Clavierspieler werde statt dessen etwas Anderes ohne Begleitung geben; aber weit gefehlt; man gab dieses Musikstück, wo die Blas-Instrumente so wesentlich sind, ganz ohne diese, bloss die erste Oboe- und erste Fagott-Stimme wurden auf Geige und Violoncell gespielt. Wie nun besonders die Tutti in dem grossen Opernhause klangen, können Sie Sich denken. Ich habe aber nicht bemerkt, dass irgend Jemand im Publicum diese Profanation eines herrlichen Meisterwerkes übel genommen hätte; oder haben sie vielleicht geglaubt, es müsse so sein? – Der Violinist Cramer spielte dann im zweiten Theile ein Violin-Concert von Martini, das wenigstens 120 Jahre alt ist. Etwas Langweiligeres gibt es wohl schwerlich auf der Welt! Wie man so etwas im Publicum spielen kann, ist mir unbegreiflich. Wenn es aber auch hier nicht geschähe, möchte es schwerlich wo anders geschehen. Als eine Merkwürdigkeit in London war es mir daher nicht ohne Interesse; auch fühlte ich einmal wieder recht lebhaft, dass, wenn es in jener Zeit auch schon Vocal-Musik gab, die Instrumental-Musik doch in den letzten 50-60 Jahren von unseren Heroen in Wien geschaffen worden ist. Dagegen habe ich so genannte Glees aus jener Zeit, vierstimmige Gesänge für Männerstimmen, mit dem grössten Vergnügen schon in mehreren Concerten singen hören. Es ist dieses die einzige National-Musik, welche die Engländer besitzen. Besonders gibt es einige von Webbe und Smith, die ganz vortrefflich sind. Es ist aber auch unmöglich, solche Gesänge vollendeter vorzutragen, als es von den Herren W. und C. Knyvett, Vaughan und Bellamy geschieht. Eine so vollkommene Gleichheit der Stimme und eine so vollkommen reine Intonation sind mir früher nie vorgekommen. Man scheint hier aber nicht viel Werth darauf zu legen, und hat mich immer sehr verwundert angesehen, wenn ich mit Entzücken davon gesprochen habe. Eine Rossini'sche Cavatine setzt auch hier die Hände viel sicherer in Bewegung.
In einem der letzten Vocal-Concerte wurde ein Te Deum von Graun gesungen. Kaum hatten die Sänger nach dem sehr langen Vorspiele die ersten Worte gesungen, als sich alle Anwesenden erhoben und, so lange das Musikstück dauerte, stehen blieben. Es ist mir dieses in doppelter Hinsicht lächerlich vorgekommen. Erstlich zu sehen, dass die Engländer unserem Herrgott gleiche äussere Ehre wie ihrem Könige erweisen; denn bekanntlich wird das God save the King, der König mag anwesend sein oder nicht, auch immer stehend angehört; und zweitens, dass sie ein Concert-Musikstück, das eben wie die anderen im Concertsaale nur aufgeführt wird, um den Anwesenden einen Kunstgenuss zu bereiten, als zum kirchlichen Ritus gehörig betrachten, und dabei sich geberden, als seien sie in der Kirche. Der Ernst und die Gravität, womit der Engländer die oft absurden Vorschriften der Etiquette beobachtet, kommt mir überhaupt immer sehr komisch vor, und ich kann dieses mit dem Verstände und dem Freiheitssinne, dessen er sich rühmt, wenig reimen.
Von Berlin habe ich Nachricht, dass die erledigte Capellmeister-Stelle nicht wieder besetzt werden soll. Ich habe also nun keine weitere Veranlassung, meine Oper noch länger zurück zu behalten, und bitte Sie daher, Partitur und Buch mit einliegendem Briefe mit erster fahrender Post an den Grafen Brühl abzusenden.
Bei dem herrlichen Frühlingswetter fangen wir nun an, Excursionen in und um London zu machen, um die Merkw ürdigkeiten zu sehen. So waren wir am letzten Sonntage in Richmond, 13 englische Meilen von hier, in einer wahrhaft paradiesischen Gegend. Ich kann es Ihnen nicht beschreiben, wie wohl es uns that, das erste Grün und die ersten Baumblüthen zu sehen und einmal wieder reine Luft ohne den unerträglichen Steinkohlendampf einzuathmen. Um so schwerer fiel es uns aber auf die Brust, als wir uns dem grossen Steinhaufen wieder näherten. – Es wird jetzt täglich lebhafter in der Stadt, und die Winter-Saison wird nun mit der Baumblüthe endlich ihren Anfang nehmen. Kann es wohl grössere Verkehrtheit als in London geben?
Im nächsten Briefe werde ich Ihnen beschreiben, wie man hier in den meisten Privathäusern Musik treibt. Es ist dieses auch ganz englisch, doch machen einige Häuser rühmliche Ausnahmen. So habe ich gestern Abends beim Herzog von Hamilton gespielt, wo der Herzog von Sussex und eine sehr vornehme Gesellschaft zugegen waren; ich kann aber nicht genug die Stille und Aufmerksamkeit während der Musik, so wie das artige Betragen der Anwesenden gegen uns Künstler rühmen. Die Engländer, besonders die gereist sind, können auch recht liebenswürdig sein.
Leben Sie wohl. Die herzlichsten Grüsse an die Ihrigen. Erfreuen Sie uns bald mit einem Briefe.
Wie immer, ganz der Ihrige
Louis Spohr.

London, 17. April 1820.
 
Geliebter Freund,
 
Wie kann ich Ihnen genug danken, daß Sie durch schnelles Widerrufen jene Schreckensnachricht von unserm Tode meinen Eltern und meiner Schwiegermutter Tage des Kummers erspart haben!Ohne Ihren Brief, was hätten sie nicht noch alles gelitten bis der Widerruf in den Zeitungen zu ihren Augen gekommen wäre. Nie werde ich Ihnen diesen Freundschaftsdienst vergessen! – Wir erhalten jezt aus allen Gegenden Deutschlands Glückwünschungsschreiben über unsere Erhaltung, die uns als Beweis für die Theilnahme ,vieler guter Menschen viel Freude gemacht haben. Ich kann aber immer noch nicht begreifen, wie das Gerücht von unserm Untergange entstanden seyn kann, da wir schon längst in London waren, wie der Sturm wütete der so viel Schiffe zertrümmert hat ... Seit der Zeit habe ich wieder dreimal öffentlich gespielt und das dritte Konzert der Philharmonischen Gesellschaft dirigiert und bin, ich darf es wohl behaupten, immer mehr in der Gunst des Publikums gestiegen, wenigstens hat es mir bei jedem Auftreten die unzweideutigsten Beweise davon gegeben ... Im lezten Dilettanten Konzert in der City, im Saal der ,Londoner Schenke’ spielte ich mit meiner Frau eine Sonate und im zweiten Teil meine ,Gesangszene,’ und zuletzt in dem sogenannten Vokal-Konzert einem sehr schönen Saal, in Hanover Square, mein neues A-Dur Konzert, welches besonderes Glück machte. Meine Frau die bey ihrem ersten Auftreten in London, wo soviel gute Harfenisten sind, durch ihren Mut mich ganz überraschte und beschämte, da ich beim ersten Auftreten viel zaghafter war, erregte durch das eigentümliche ihres Spiels große Sensation und erhielt von allen, die an dem Abend auftraten, den lebhaftesten Beyfall. Daß uns dieses Gelingen unserer Bestrebungen, als Künstler den Aufenthalt sehr erheitert, können Sie sich denken. Die größeste Freude hat mir aber die günstige Aufnahme meiner neuen Sinfonie gemacht. Es war vor meiner Ankunft in London noch nie irgend eine meiner Orchesterkompositionen, weder im Philh. Konzert, noch so viel ich weiß, irgend einem der andern der andern Konzerte gegeben worden und ich wünschte sehr eine Gelegenheit herbei, um den Künstlern und Kennern etwas davon zu hören zu geben. Diese fand sich. Unter mehreren recht zweckmäßigen Einrichtungen bey der Ph. Ges. findet auch die statt, daß sie im Laufe ihrer Konzerte an zwei Abenden vor einem kleinen ausgesuchten Publikum von Künstlern und Kennern, neue, ihnen unbekannte Kompositionen (hauptsächlich Sinfonien und Ouvertüren) aufführen und den Beifall der Anwesenden entscheiden lassen, ob sie der öffentlichen Aufführung in einem der folgenden Konzerte würdig sind oder nicht. Bei einer solchen Probe gab ich ihnen meine gestochene Sinfonie, (die neue war noch nicht ausgeschrieben) und zwei meiner Ouvertüren zu hören und der enthusiastische Beifall mit dem die Sachen ausgezeichnet wurden (freilich hatten sie auch nur mit sehr schwachen Produkten zu konkurrieren, einer Sinfonie von Soliva, dem Komponisten der Oper ,la testa di bronzo’ und einer andern, noch schwächeren von einem hiesigen Komponisten), veranlaßte die Herren Direktoren zu der Bitte, ihnen die gestochene Sinfonie im nächsten Konzert aufzuführen. Dies lehnte ich aber ab, indem ich ihnen sagte, daß ich zu meinem Debüt als Komponist, eine neue, hier in London geschriebene bestimmt habe, welches denn auch genehmigt wurde, obgleich die Herren zu glauben schienen, daß ihnen die neue wohl kaum so gut gefallen könne wie die alte. Diese Meinung änderten sie aber schon in der Probe nach dem ersten Anhören. Das Orchester, dessen Gunst ich mir durch kleine Aufmerksamkeiten und Artigkeiten schon früher bei der Aufführung meiner anderen Sachen, erworben hatte, gab sich alle mögliche Mühe, die Sinfonie mir zu Dank zu spielen. Auch gewöhnten sie sich immer mehr an meine Weise zu dirigieren und fanden darin eine große Stütze, so daß nicht allein meine Sinfonie, sondern auch alle anderen Sachen, die in diesem Konzert aufgeführt wurden (die Sinfonie aus C, mit der Fuge von Mozart und die Ouvertüren aus ,Fidelio’ und ,Medea’) viel genauer gingen als gewöhnlich. Es ist aber auch die Weise, wie man hier im Theater und in Konzerten dirigiert, die verkehrteste, die man ersinnen kann. Von zwei Dirigenten die da paradieren ist es eigentlich keiner. Der ,Conductor’, wie er auf den Affichen heist, sitzt am Piano und spielt aus der Partitur, gibt aber weder den Takt noch die Tempi an; der ,Leader’ oder erste Geiger sollte es eigentlich, da er aber nur eine erste Violinstimme vor sich hat, so kann er dem Orchester nicht nachhelfen, begnügt sich daher seine Stimme herunter zu streichen und läßt das Orchester mitlaufen, so gut es gehen will. Die Künstler hier haben das Fehlerhafte dieser Weise und die Unmöglichkeit, daß ein Orchester von 50 - 60 Personen auf solche Art, je ein Ensemble haben könne wohl früher eingesehn, als ich es ihnen auseinandergesetzt habe, allein sie wagen nicht eine Änderung zu treffen, weil das einmal Hergebrachte hier als heilig und unantastbar betrachtet wird , sowie denn der Engländer überhaupt bey aller politischen Freiheit, doch der ärgste Sklave der Etikette ist. Ich dirigierte aber bei den Proben auf altgewohnte Weise aus der Partitur und am Abend, wo dann freilich der ,Conductor’ hinter dem Piano paradieren mußte, wußte ich die Sache schon so auswendig, daß ich dem Orchester auch ohne Partitur aushelfen konnte. Meine Sinfonie wurde also so genau und besonders so nuanciert vorgetragen, wie ich es nach einer einzigen ziemlich flüchtigen Probe nie gehofft hatte und dem habe ich es wohl zu danken, daß sie vom Publikum mit einem Enthusiasmus aufgenommen wurde, wie seit meiner Anwesenheit hier noch kein anderes Orchesterstück.
Das Scherzo wurde da capo verlangt, und nach der Wiederholung noch weiter beklatscht. Dieser gute Erfolg ist mir doppelt erfreulich gewesen, weil er mich hoffen läßt, daß ich bis jetzt als Komponist noch nicht zurückgeschritten bin, denn dem eigenen Urteil, nach welchem diese Sinfonie das beste ist, was ich je von Orchestermusik geschrieben habe, darf ich nicht so unbedingt trauen, teils weil man die jüngsten Kinder immer am liebsten hat, teils weil man sich gar zu ungern gestehen will, daß die Schöpfungskraft der Jugend schon im Abnehmen sei!
Von andern Konzerten und Musikaufführungen, denen wir beywohnten, läßt sich nicht viel erfreuliches melden. Die italienische Oper ist jetzt ganz schlecht. Wir haben so fürchterliche Langeweile dort ausgestanden, daß wir uns jetzt noch nicht haben entschließen können, ein zweites Mal hinzugehen. Unter den Sängern zeichnet sich auch nicht ein einziger aus. Das Orchester, auf die Weise dirigiert, wie ich oben beschrieben habe, ist im ewigen Schwanken und man fürchtet jeden Augenblick, daß es völlig umwerfen würde. Die Chöre sind unter aller Kritik. – Von Benefizkonzerten war das interessanteste für uns (aber nicht durch seine Güte!) das, was die 71jährige Mara im Opernhause gab.
Sie hatte warscheinlich gehofft, die Neugierde, eine Sängerin, die man vor 40 Jahren in ihrer Blüte hier bewundert hatte, nun als Matrone wieder zu hören, werde die Engländer in großer Anzahl ins Theater locken und sie in ihren alten Tagen noch einmal einen recht bedeutenden Schlag machen, allein sie betrog sich gewaltig! Das Haus war leer und bey den ungeheuren Kosten in diesem Theater (das Haus allein kostet 100 Guineen) wird sie wohl noch zu den Unkosten zulegen müssen ... An diesem Abend geschah noch einiges, was nur in England vorfallen kann. Ein Schüler von Krommer sollte das große Klavierkoncert von Mozart, in C-Dur, mit Trompeten und Pauken und stark besetztem Orchester spielen. Es fand sich aber, daß das Piano so hoch stand, daß keins der Blasinstrumente gebraucht werden konnte. In jeder anderen Stadt hätte man ein solches Konzert vorher probiert und dann hätte der Stimmer zwischen Probe und Aufführung das Instrument noch gehörig stimmen können; hier war das aber nicht geschehen. Ich erwartete nun man werde das Konzert ganz weglassen der Klavierspieler werde statt dessen etwas anderes ohne Begleitung geben. Aber weit gefehlt! Man gab dieses Musikstück, wo die Blasinstrumente so wesentlich sind, ganz ohne diese, bloß die erste Oboe- und erste Fagottstimme wurde auf Geige und Violoncell gespielt. Wie nun besonders die Tutti in dem großen Opernhause klangen, können Sie sich denken! Ich habe aber nicht bemerkt, daß irgend jemand im Publikum diese Profanation eines herrlichen Meisterwerks übelgenommen hätte! Oder haben sie vieleicht geglaubt, es müsse so seyn? – Der Violinist Cramer spielte dann im zweiten Teil ein Violinkonzert von Martini, welches wenigstens 120 Jahr alt ist. Etwas langweiligeres gibt sicherlich in der Welt nicht! Wie man so etwas öffentlich spielen kann, ist mir unbegreiflich! Wenn es aber auch hier nicht geschähe, mögte es wohl schwerlich wo anders geschehen! Als eine Merkwürdigkeit von London war es mir daher nicht ohne Interesse; auch fühlte ich einmal wieder recht lebhaft, daß wenn es in jener Zeit auch schon Vokalmusik gab, die Instrumentalmusik doch erst in den lezten fünfzig bis sechzig Jahren von unsern Heroen in Wien geschaffen worden ist! Dagegen habe ich sogenannte ,Glees’ aus jener Zeit, vierstimmige Gesänge für Männerstimmen, mit dem größten Vergnügen schon in mehreren Konzerten singen hören. Es ist dies die einzige Nationalmusik, die die Engländer besitzen. Besonders giebt es einige von Webbe und Smith, die ganz vortrefflich sind. Es ist aber auch unmöglich, solche Gesänge vollendeter vorzutragen als es von den Herren W. und C. Knyvett, Vaughan und Bellamy geschieht. Eine solche Gleichheit der Simmen und eine so vollkommen reine Intonation sind mir früher nie vorgekommen. Man scheint hier aber nicht viel Wert darauf zu legen und hat mich inmer sehr verwundert angesehen, wenn ich mit Entzücken davon gesprochen habe. Eine Rossinische Kavatine setzt auch hier die Hände viel sicherer in Bewegung! – In einem der lezten Vokalkonzerte wurde ein Tedeum von Graun gesungen. Kaum hatten die Sänger nach dem sehr langen Vorspiele die ersten Worte gesungen, als sich alle Anwesenden erhoben und so lange das Musikstück dauerte, stehen blieben. Es ist mir dies in doppelter Hinsicht lächerlich vorgekommen! Erstlich zu sehen, daß die Engländer unserm Herrgott gleiche äußere Ehre wie ihrem Könige erweisen, denn bekanntlich wird das ,God save the King’, der König mag anwesend sein oder nicht, auch immer stehend angehört, und zweitens, daß sie ein Konzertmusikstück, was eben wie die andern im Konzertsaal nur aufgeführt wird, um den Anwesenden einen Kunstgenuß zu bereiten, als zum kirchlichen Ritus gehörig betrachten und dabei sich geberden als wären sie in der Kirche. Der Ernst und die Gravität, womit der Engländer die oft absurden Vorschriften der Etikette beobachtet, kommt mir überhaupt immer sehr komisch vor, und ich kann dies mit dem Verstand und dem Freiheitssinn, dessen er sich rühmt, wenig vereinen ...
Bei dem herrlichen Frühlingswetter fangen wir an nun an, Exkursionen in und um London zu machen, um die Merkwürdigkeiten zu sehen. So waren wir am letzten Sonntag in Richmond, eine wahrhaft paradiesische Gegend. Ich kann Ihnen nicht beschreiben wie wohl es uns tut, das erste Grün und die ersten Baumblüten zu sehen und einmal wieder reine Luft ohne den unerträglichen Steinkohlendampf einzuathmen. Um so schwerer fiel es uns aber auf die Brust, als wir uns dem großen Steinhaufen wieder näherten. Es wird jetzt endlich lebhafter in der Stadt und die Wintersaison wird nun mit der Baumblüte endlich ihren Anfang nehmen. Kann es wohl größere Verkehrtheit geben als in London?
Im nächsten Briefe werde ich Ihnen beschreiben, wie man hier in den vornehmen Privathäusern Musik treibt. Es ist dies auch ganz Englisch! Doch machen einige Häuser rühmliche Ausnahmen. So habe ich gestern Abend beym Herzog von Hamilton gespielt, wo der Herzog von Sussex und eine sehr vornehme Gesellschaft zugegen waren; ich kann aber nicht genug die Stille und Aufmerksamkeit während der Musik so wie das artige Betragen der Anwesenden gegen uns Künstler rühmen! Die Engländer, besonders die, welche gereiset sind, können auch recht liebenswürdig sein ...