Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,8
Druck: Edward Speyer, Wilhelm Speyer der Liederkomponist 1790-1878. Sein Leben und Verkehr mit seinen Zeitgenossen dargestellt von seinem jüngsten Sohne, München 1925, S. 38f. (teilweise)

Sr. Wohlgeb.
Herrn Wilhelm Speyer
im eigenem Hause neue Mainzerstr.
Frankfurt a/m


Dresden den 21sten
Nov. 19

Geliebter Freund,

Ihren Brief nach Berlin habe ich durch meinen Bruder1 richtig erhalten. Ich danke Ihnen für die darin enthaltenen Nachrichten aus Frankf. und bitte Sie recht sehr damit fortzufahren.
Unser 2tes Concert in Hamburg war zwar nicht besuchter wie das erste, doch darf ich mit dem Erwerb in dieser Stadt recht zufrieden seyn, da ich nach Abzug aller Aufenthalts- Concert- und Reisekosten um 200 rth. reicher nach Berlin wie nach Hamburg gekommen bin. Mit der Aufnahme unsrer Leistungen, öffentlich und in Privatgesellschaften dürfen wir außerordentlich zufrieden seyn, und ich habe mich von neuem überzeugt, daß man, Wien ausgenommen, in keiner deutschen Stadt so viel gebildeten Kunstsinn besitze wie in Hamburg. Daß Berlin in dieser Hinsicht, mehr vieleicht noch wie Frankf. sehr zurückstehe scheint Ihnen nicht bekannt, ich werde es Ihnen, wenn wir uns wiedersehen, durch Erzählungen von dem dortigen Kunsttreiben zur Gänze beweisen. Ich habe indessen doch meine Oper dort gelassen; weiß aber schon, daß sie vor dem Frühjahr nicht in Scene gesezt werden kann. - Da es jezt in Berlin an einem großen und schicklichen Concertlokale fehlt, so machte ich dem Grafen Brühl die Proposition, für die Hälfte der Einnahme mit ihm gemeinschaftlich Concert im großen Opernhause zu geben. Dieß wollte er nicht, bot uns aber ein Honorar von 60 Friedrichsd'or wenn wir beyde dort auftreten wollten. Da dieß schnell und ohne Kosten und Mühe des Arrangements geschehen konnte, so nahm ich es gern an und stand mich besser dabey als wenn ich ein eigenes Concert im Saal gegeben hätte. Der Erfolg war für uns sehr glänzend und schmeichelhaft. Schon daß man uns mit Aplaudissement bewillkommte war eine in Berlin ungewöhnliche Auszeichnung. Berichte über dieses erste Auftreten stehen in beyden Berliner Zeitungen; ein ausführlicher in der Vossischen.2 Acht Tage später traten wir unter den selben Bedingungen zum 2ten mal auf. Das Haus war so überfüllt, daß nicht alle Platz finden konnten und diesesmal hatte der Graf gewiß einen großen Gewinn. Ob über dieses auch etwas ge­schrieben ist, weiß ich nicht, denn wir reisten Tags darauf ab.3
Daß Spontini mit 4000 rth. und manchen Vorrechten in Berlin engagirt sey, wissen Sie; vieleicht noch nicht, daß Romberg seinen Abschied verlangt und ihn wahrscheinlich jezt schon erhalten hat. Das Nähere hierüber, was mich auch selbst sehr nahe angeht, behalte ich mir vor, Ihnen mündlich zu erzählen.
Hier in Dresden geht es uns auch nach Wunsch. Es war nicht mein Plan hier Concert zu geben da wir beyde schon 4 mal zu verschiedenen Zeiten hier öffentlich aufgetreten sind. Wir [haben uns] daher nur bey Hofe gemeldet und werden nächsten Mittwoch gehört werden. Zwar will der König kein Hofconcert veranstalten, sondern uns im Theater hören;4 er hat mir aber sagen lassen, daß er es als solches betrachte und der Intendant sagt mir, daß er nicht wegen eines Honorars mit mir zu unterhandlen habe, da der König uns beschenken wolle.
Diesesmal habe ich Ihnen doch enge genug geschrieben, und doch finde ich kaum Raum, um Ihnen noch für Ihre gütige Einladung bey Ihnen zu wohnen unsern Dank zu sagen. Sie machen sie so ernstlich, daß wir wohl ohne Ziererey einwilligen müssen; doch werden wir Ihnen nicht lange zur Last fallen, aber die wenigen Tage recht genießen. Nächsten Donnerstag gehen wir nach Leipzig wo alles im Voraus arrangirt wird, so auch in Rudolstadt und Gotha u. beym Kantor Schade hoffe ich wieder einen Br[ief] von Ihnen zu finden. Leben Sie wohl. Herzliche Gruße von uns an alle die Ihrigen.

Louis Spohr

NS. Ich werde Ihnen zeitig genug die Zeit unserer Ankunft in Frankf. melden, wenn Sie nebst den übrigen Kunstfreunden die Güte haben wollen vorläufige Arrangements zum Concerte zu treffen. Ich dächte aber, dieß müßte in jedem Fall im Weidenbusche seyn.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Speyer, Wilhelm
Erwähnte Personen: Brühl, Karl Moritz von
Romberg, Bernhard
Schade, Johann Gottfried
Spohr, Ferdinand
Spontini, Gaspare
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Zemire und Azor
Erwähnte Orte: Berlin
Dresden
Gotha
Hamburg
Leipzig
Rudolstadt
Wien
Erwähnte Institutionen: Hoftheater <Dresden>
Königliche Schauspiele <Berlin>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1819112102

https://bit.ly/

Spohr



Dieser Brief beantwortet einen verschollenen Brief von Speyer an Spohr. Speyers Antwortbrief vom 27.11.1819 ist ebenfalls verschollen.

[1] Ferdinand Spohr, wohnhaft Mauerstr. 53 (vgl. Allgemeines Adreßbuch für Berlin, hrsg. v. J.W. Boicke, Berlin 1820, S. 420).

[2] Noch nicht ermittelt.

[3] Vgl. die vorhergehende Anmerkung. Einen Bericht über beide Konzerte aber in: „Berlin. Uebersicht des November”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 21 (1819), Sp. 873-876, hier Sp. 874.

[4] Vgl. „Dresden, Jänner 1820”, in: Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode (1820), S. 100ff. und 108ff., hier S. 101f. 

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (22.01.2016).

Dresden, 21. November 1819.

... Mit der Aufnahrne unsrer Leistungen in Hamburg dürfen wir außerordentlich zufrieden seyn, und ich habe mich von neuem überzeugt, daß man, Wien ausgenommen, in keiner deutschen Stadt so viel gebildeten Kunstsinn besitzt wie in Hamburg. Daß Berlin in dieser Hinsicht, mehr vieleicht noch wie Frankf. sehr zurückstehe, scheint Ihnen nicht bekannt; ich werde es Ihnen, wenn wir uns wiedersehen, durch Erzählungen von dem dortigen Kunsttreiben zur Gänze beweisen. Ich habe indessen doch meine Oper (,Zemire und Azor’) dort gelassen; weiß aber schon, daß sie vor dem Frühjahr nicht in Scene gesezt werden kann. – Da es jezt in Berlin an einem großen und schicklichen Konzertlokale fehlt, so machte ich dem Grafen Brühl die Proposition, für die Hälfte der Einnahme mit ihm gemeinschaftlich Konzert im großen Opernhause zu geben. Dieses wollte er nicht, bot uns aber ein Honorar von sechzi Friedrichsdor wenn wir beide dort auftreten wollten. – ... Der Erfolg war für uns sehr glänzend und schmeichelhaft. Schon daß man uns mit Aplaudissement bewillkommte war eine in Berlin ungewöhnliche Auszeichnung ... Acht Tage später traten wir unter denselben Bedingungen zum zweiten Male auf. Das Haus war so überfüllt, daß nicht alle Platz finden konnten, und dieses Mal hatte der Graf gewiß einen großen Gewinn ...
Daß Spontini mit viertausend Thaler und manchen Vorrechten in Berlin engagirt sei, wissen Sie; vieleicht noch nicht, daß Romberg seinen Abschied verlangt und ihn wahrscheinlich schon erhalten hat. Das Nähere hierüber, was mich auch selbst sehr nahe angeht, behalte ich mir vor, Ihnen mündlich zu erzählen.
Hier in Dresden geht es uns auch nach Wunsch. Es war nicht mein Plan hier Konzert zu geben da wir beide schon viermal zu verschiedenen Zeiten hier öffentlich aufgetreten sind. Wir haben uns daher nur bei Hofe gemeldet und werden nächsten Mittwoch gehört werden ...