Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,7
Druck: Edward Speyer, Wilhelm Speyer der Liederkomponist 1790-1878. Sein Leben und Verkehr mit seinen Zeitgenossen dargestellt von seinem jüngsten Sohne, München 1925, S. 36f. (teilweise)

Sr. Wohlgeb.
Dem Herrn Wilhelm Speyer
neue Mainzergasse Hause in1
Frankfurt a/m


Hamburg den 19ten
October 19.

Geliebter Freund,

Recht sehr habe ich mich geschämt, wie mir nach Abgang meines vorigen Briefes einfiel, daß ich gerade das Wichtigste vergessen hatte, nämlich Ihnen die entscheidende Antwort von London mitzuteilen. Es kam daher, daß ich den erwarteten Brief schon in Gandersheim erhalten und beantwortet hatte und mir die Sache daher nicht mehr so nahe lag. Die Philharm. Ges. nimmt meine Bedingungen ohne weitere Einschränkungen an und verspricht, alles in ihren Kräften Stehende aufzubieten, um uns den Aufenthalt lukrativ und angenehm zu machen. Hier habe ich von jemand, der soeben aus London kommt, erfahren, daß sie meine Überkunft schon angekündigt und nun bereits ihre Subskribentenanzahl vollständig hat, so daß man schon jetzt um keinen Preis mehr eine Eintrittskarte bekommen könnte. – Wir werden nun unsere Reise dem früher entworfenen Plane gemäß fortsetzen und im Dezember noch einmal die Freude haben, Sie und die Ihrigen in Frankfurt zu begrüßen.
Unsere Reise von Braunschweig hierher durch die Lüneburger Heyde (in der wir uns des Börneschen Witzes2 erinnerten,) war langsam und langweilig. Eine eben so unangenehme Laune(?) steht mir in ein paar Tagen noch bevor, nämlich die von hier nach Berlin. Unser hiesiger Aufenthalt aber war höchst angenehm. Zwei Abende abgerechnet, wo wir das Theater besuchten, waren wir jeden Tag eingeladen, am öftesten auf ganze Tage auf nahegelegene Landsitze, wo wir, fast immer vom herrlichsten Wetter begünstigt, die Freuden der schönen Natur, des geselligen Zusammenlebens und der Kunstgenüsse in gleichem Maße genossen haben. – Meine neuen Quartette, die man hier schon gestochen hat, habe ich sehr oft, vortrefflich akkompagnirt, vor gebildeten Zuhörern gespielt, das meiste Glück aber, wie natürlich, mit den beiden Soloquartetten gemacht. Auch die beiden Quintette haben wir einige Male gegeben. Der Enthusiasmus für diese Gattung von Musik ist hier größer wie irgendwo anders, Wien allenfalls ausgenommen .
Unser erstes Konzert fand am 7ten statt und war, trotzdem daß damals alle reichen Leute noch auf dem Lande wohnten, ziemlich besucht. Von dem morgenden 2ten erwarte ich sehr viel, da nun fast alles hereingezogen ist.
Im Theater hörten wir Figaro und Don Juan, beydes aber, besonders vom Orchester, noch [schlechter]3 wie in Braunschweig. Auch unter den Säng[ern] zeichnet sich niemand wie Gerstäcker aus [wenn?] auch nur durch seine Stimme. Die Frankfurter würden ihr Theater lieb gewinnen, wenn sie das hiesige gesehen hätten.
Mit Ihren Kunstnachrichten aus Frankfurt haben Sie mir große Freude gemacht; fahren Sie doch ja damit fort. Ihren nächsten Brief erwarte ich in Berlin unter Adresse meines Bruders.4
Die herzlichsten Grüße von meiner Frau und mir an Ihre ganze Familie und H. u Md: Pensa.
Mit unveränderter Freundschaft ganz der

Ihrige Louis Spohr.



Spohrs Dank für Speyers „Kunstnachrichten aus Frankfurt“ am Textende zeigt, dass diesem Brief ein derzeit verschollener Brief von Speyer im Oktober vorausgehen dürfte. Speyers Antwort, Ende Oktober oder Anfang November ist ebenfalls verschollen.

[1] Hier zwischen die Zeilen geschrieben: „H. Pensa & Speyer”.

[2] Vermutlich Anspielung auf Börnes Kritik der Frankfurter Uraufführung von Spohrs Zemire und Azor: „Der bescheidene Spohr wird gewiß der erste seyn, der es anerkennt, daß er die freundliche Aufnahme, welche Zemire und Azor gefunden, auch wohl der Pracht und Herrlichkeit zu verdanken habe, mit welcher die ungemeine Bühnenverwaltung seine Oper ausgestattet hat. Der wunderschöne Feenpalast, in welchem der reisende Kaufmann und sein Diener Milchbrei aßen, war ein Meisterstück von überirdischer Baukunst! Und gar die zauberhaften Gärten! Man kann die ganze Lüneburger Heide durchreisen und findet keinen ähnlichen.” (Ludwig Börne, „Frankfurter Volksbühne”, in: Die Wage. Eine Zeitschrift für Bürgerleben, Wissenschaft und Kunst 1 (2. Aufl. 1819), S. 280-290, hier S. 287.

[3] Edward Speyer ergänzt hier „besser”; die beiden folgenden Sätze legen aber „schlechter” oder einen synonymen Begriff nahe.

[4] Ferdinand Spohr, wohnhaft Mauerstr. 53 (vgl. Allgemeines Adreßbuch für Berlin, hrsg. v. J.W. Boicke, Berlin 1820, S. 420). 

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (21.01.2016).

Hamburg, 19. Oktober 1819

Recht sehr habe ich mich geschämt, wie mir nach Abgang meines vorigen Briefes einfiel, daß ich gerade das Wichtigste vergessen hatte, nämlich Ihnen die entscheidende Antwort von London mitzuteilen ... Die Philharmonische Gesellschaft nimmt meine Bedingungen ohne weitere Einschränkungen an und verspricht, alles in ihren Kräften Stehende aufzubieten, um uns den Aufenthalt lukrativ und angenehm zu machen. Hier habe ich von jemand, der soeben aus London kommt, erfahren, daß sie meine Überkunft schon angekündigt und nun bereits ihre Subskribentenanzahl vollständig haben, so daß man schon jetzt um keinen Preis mehr eine Eintrittskarte bekommen könnte. – Wir werden nun unsere Reise dem früher entworfenen Plane gemäß fortsetzen und im Dezember noch einmal die Freude haben, Sie und die Ihrigen in Frankfurt zu begrüßen.
Unsere Reise von Braunschweig hierher durch die Lüneburger Heide (in der wir uns des Börneschen Witzes erinnerten) war langsam und langweilig ... Unser hiesiger Aufenthalt aber war höchst angenehm. Zwei Abende abgerechnet, wo wir das Theater besuchten, waren wir jeden Tag eingeladen, am öfestesten auf ganze Tage auf nahegelegene Landsitze, wo wir, fast immer vom herrlichsten Wetter begünstigt, die Freuden der schönen Natur, des geselligen Zusammenlebens und der Kunstgenüsse in gleichem Maße genossen haben. – Meine neuen Quartette, die man hier schon gestochen hat, habe ich sehr oft, vortrefflich akkompagniert, vor gebildeten Zuhörern gespielt, das meiste Glück aber, wie natürlich, mit den beiden Soloquartetten gemacht. Auch die beiden Quintette haben wir einige Male gegeben. Der Enthusiasmus für diese Gattung von Musik ist hier größer wie irgendwo anders, Wien allenfalls ausgenommen . – Unser erstes Konzert fand am 7. statt und war, trotzdem daß damals alle reichen Leute noch auf dem Lande wohnten, ziemlich besucht. Von dem morgenden, dritten, erwarte ich sehr viel, da nun fast alles hereingezogen ist. - Im Theater hörten wir ,Figaro’ und ,Don Juan’, bei aber, besonders vom Orchester, noch besser wie in Braunschweig. ... Mit Ihren Kunstnachrichten aus Frankfurt haben Sie mir große Freude gemacht; fahren Sie doch ja damit fort! ...