Autograf: Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (D-B), Sign. 55 Nachl. 76,5

Sr. Wohlgeb.
Dem Herrn Wilhelm Speyer
neue Mainzerstr. im eigenem Hause
in Frankfurt a/m


Gandersheim den 9ten September
19

Herzlich geliebter Freund,

Jetzt, nachdem der erste Freudenrausch des Wiedesehens vorüber ist und Ältern und Verwandte über unsere bisherigen Schicksale bis zu einstweiliger Beruhigung unterrichtet sind, ist es meine erste und angenehmste Pflicht die Nachricht unserer glücklichen Ankunft zu geben. Unsere Reise war angenehm und heiter; einzelne Regenschauer dienten nur dazu den Staub zu löschen und beunruhigten uns nicht. Wir hatten 3 bequeme Nachlager und fanden Zeit genug zu einem 5 stündigen Aufenthalt in Cassel, den wir benutzten die Wilhelmshöhe und andere dortige Merkwürdigkeiten zu besuchen. Unsere Harfe fand sich sehr gut in der Reise und wir alle sangen wohlgemuth: [Nbs.]
Doch wird dies Ihnen wohl gewaltig ins Moll moduliren wenn es zum Abschied von unseren Kindern geht. Ich wollte es wäre erst überstanden! Meine arme Dorette drückt mich, wenn ich daran denke! – Zur Beruhigung kann es nur dienen dass die Kinder hier vortrefflich aufgehoben seyn werden. Über ihr hiesiges Wohlergehen wacht ein erfahrener Arzt1 und ihre moralische und wissenschaftliche Ausbildung werden sie von gut unterrichteten und gut unterrichtenden Lehrern, die jetzt schon in voller Thätigkeit sind, bekommen. Auch selbst der Clavierunterricht, dem ich eingangs mal beygewohnt habe, ist zweckmäßiger als ich es in einer so kl. Provinzstadt erwartet hätte. Mit einem Wort, ist erst die schwere Trennungsstunde vorüber, so können wir beruhigt an unsere lieben Hinterlassenen zurückdenken.
Eine Antwort auf diesen Brief mit der erfreulichen Nachricht von der glücklichen Entbindung Ihrer lieben Frau erwarten wir noch hier zu erhalten, da wir wenigstens noch 12-14 Tage hier verweilen werden; wo mich dann ein späterer Treffen wird, werde ich Ihnen in einer nächsten Epistel melden, indem ich nun bald die entscheidende Antwort von London erhalten werde die mich bestimmen wird, ob wir uns dorthin oder nach Paris oder nach Petersburg wenden.
Unsere Frankf. Freunden theilen Sie doch nebst unserm besten Gruß das wesentliche dieses Briefes gefälligst mit und vergessen Sie doch ja nicht mir einige musik. und theatrali[sche [Neu]igkeiten: wie die Italiana gefallen haben [Textverlust?] in Ihrer Antwort erkennen zu lassen. – [Die Ruhe(?)] in die ich so plötzlich versetzt bin, ist mir fast unbehaglich und wenn ich nicht täglich 2 Lektionen (an einen meiner Frankfurter Schüler2 und einen jungen Musiker von Cassel3 die sich beyde hier für die Zeit unseres Aufenthalts eingemiethet haben) zu geben hätte, so würde ich es, glaube ich, nicht lange aushalten. – Die herzlichsten Grüße von meiner Frau und mir an Ihre Damen und Herrn u Mad. Pensa.
Mit unveränderlicher Liebe und Freundschaft ganz

der Ihrige
Louis Spohr

NS. Ich bitte Sie, mir alle Ihre Briefe unfrankirt zuzusenden, weil sie sicherer gehen. Auf der Adresse von dem Briefe vergessen Sie nicht Gandersheim über Göttingen zu setzen.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Speyer, Wilhelm
Erwähnte Personen: Pensa, Bernhard
Pensa, Maria Anna
Speyer, Charlotte
Spohr, Carl Heinrich
Spohr, Dorette
Spohr, Ernestine
Erwähnte Kompositionen:
Erwähnte Orte: Gandersheim
Kassel
London
Paris
St. Petersburg
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1819090902

Spohr



Der letzte überlieferte Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Speyer, 03.01.1819. Speyers Antwortbrief im September 1819 ist verschollen.

[1] Spohrs Vater Carl Heinrich Spohr.

[2] Noch nicht ermittelt.

[3] Noch nicht ermittelt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (21.01.2016).