Autograf: British Library London, Sign. Add. 29804 f. 19
Inhaltsangabe: A Guide to the Autograph Letters, Manuscripts, Original Charters and Royal, Baronial, and Eclesiastical Seals, exhibited to the Public in the Department of Manuscripts (= Kat. British Museum), [London] 1878, S. 35
Beleg: Catalogue of additions to the manuscripts in the British Museum in the years MDCCCLIV-MDCCCLXXV, Bd. 2, London 1875, S. 725

Sr. Wohlgeb.
Dem Herrn Fr. Treitschke
Regisseur und Theaterdichter der
k.k. Hofoper
in
Wien.

Franco.1


Frankfurt den 5ten May
1819.

Wohlgeborner
Hochzuverehrender Herr,

Recht lange haben Sie nichts von sich hören lassen, wohl Beweises genug daß seit vorigen Herbst nichts neues von Bedeutung auf den Theatern von Wien erschienen sey. Wie ist es denn aber mit der Posse die auf dem Leopoldstädter Theater so dauernden Beyfall gehabt hat „die falsche Primadonna“2? Läßt sie sich nicht auf andere Theater verpflanzen? Sollten Sie der Meinung seyn, daß man Sie mit Erfolg hier geben könnte, so ersuche ich Sie, sie für Rechnung des hiesiges Theaters zu kaufen und uns gütigst zu überschicken. - Elisabeth v. Rossini haben wir, doch nicht mit bedeutendem Erfolg gegeben. In 14 Tagen werde ich den Chaperon rouge in Scene setzen; da es uns aber an einem schicklichen Individuo zur Hauptrolle fehlt so ist auch nicht viel zu hoffen. Auch ist die Musik wirklich viel schwächer, als die von3 Johann v. Paris und anderer Opern von Boieldieu.
Vor 4 Wochen haben wir zum erstenmal und seitdem wieder einigemal eine neue Oper von mir: Zemire und Azor, neue Bearbeitung des alten franz. Sujets von Ihlée, gegeben, die die Hauptveranlassung zu diesem Briefe ist. Nie hat eine Oper in Frankfurt einen größeren Beyfall gehabt als diese; dies führe ich nicht zum Beweise ihrer Güte an, denn die Frankfurter sind im guten Geschmack sehr zurück, sondern nur um darzuthun, daß es mir diesmal geglückt ist, in einem Styl zu Schreiben der nicht blos die Kenner sondern auch den großen Haufen befriedigt.4 So viel es der gute Geschmack erlaubt hat, habe ich mich dem herrschenden hingegeben, d.h. ich habe für die Singstimmen so brillant geschrieben als es die Situation nur immer erlauben wollte und so sind besonders die Parthien der Zemire und des Azor zu den dankbarsten geworden die vieleicht existiren. Die Oper ist in 2 Acten und spielt gerade 3 Stunden; Sie hat Arien, Duetten, Ensemblestücke aller Art, 2 große Finale, Tänze, Geisterchöre u.s.w. und kann auf einem größern Theater als das unsrige mit vieler Pracht ausgestattet werden. - Nun zur Hauptsache: Da mein Faust im Theater a.d.W.5 durch schlechte Besetzung so verdorben worden ist5, so habe ich ein doppeltes Interesse zu wünschen, daß diese Oper auf dem Kärnthnerthortheater, wo man alle Parthien, besonders die der 3 Schwestern so vorzüglich besetzen kann, gegeben werde. Ich ersuche Sie daher das Werk der Behörde für ein Honorar von 15 Dukaten inklusive der Abschrift für Buch und Partitur gefälligst anzutragen und durch Ihren vielvermögenden Einfluß die Annahme gütigst zu bewirken. Ich glaube überzeugt seyn zu können, daß die Aufführung der Direction Vortheil und mir Ehre bringen würde.
Ihrer gütigen Antwort entgegen sehend, [habe] ich die Ehre mit vorzüglicher Hochachtung zu seyn

Ew. Wohlgeb.
ergebenster Diener
Louis Spohr.



Der letzte erschlossene Brief dieser Korrespondenz ist Treitschke an Spohr, 19.07.1818. Treitschkes Antwortbrief vom 27.05.1819 ist derzeit ebenfalls verschollen.

[1] Links neben der Adresse befinden sich von anderer Hand Empfangs- und Antwortvermerk: „Frankfurt 5 May 819 / Spohr. / empf. 19. / btw.(?) 29.

[2] Die falsche Catalani von Ignaz Schuster.

[3] „die von“ über der Zeile eingefügt.

[3] Vgl. „Frankfurt am Main, den 4ten May“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 21 (1819), Sp. 349-359, hier Sp. 349-357.

[4] Abkürzung für „an der Wien“.

[5] Vgl. Spohr an Carl Friedrich Peters, 30.07.1818.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (03.07.2017).