Autograf: Privatbesitz
Vorlage: Fotokopie im Spohr Museum Kassel (D-Ksp)

Frankfurt a/m den 9ten Juni
Meine lieben Kinder!

Schon seit Donnerstag, den 4ten Juny Morgens früh um 5 Uhr bin ich hier. Daß ich noch hier bin, morgen erst weiter reisen werde, und auch jetzt erst schreiben kann: daran ist Spohr und das sogenannte Rudolstädter Quartett, bestehend aus den Herren Methfessel, von Holleben, Müller und Sommer, schuld. Spohr befindet sich hier sehr wohl und beträgt sich äußerst freundschaftlich gegen mich, durch ihn genoß ich täglich bedeutende musikalische Vergnügen. Ich habe ihn bereits zweimal in Quartett-Gesellschaften und auch einmal im Conzert der Madame Grünbaum gehört1. Diese ist wohl eine der allervorzüglichsten jetzt lebenden Sängerinnen in Europa; ich wenigstens hörte nie eine bessere. Sie hat eine sehr schöne Stimme von etwa a bis d''', ungeheure Fertigkeiten, geläuterten Geschmack, seelenvollen Vortrag, spricht die Worte – sowol deutsche als italienische – gut aus, singt durchaus fest und sicher, und zum Entzücken rein, auch nicht ein einziges zweideutiges Tönchen habe ich von ihr gehört. An dem Herrn Schelble hat man hier einen ganz vorzüglichen Tenoristen und/oder2 Baßisten, wie es Noth thut. Spohr dirigirt die Oper und hat ein herrliches Orchester. Heute wird sein Faust, ein gefährliches Stück Arbeit – gegeben. Doch, von allem diesen, so wie von einigen höchst poßirlichen Vorfällen, den Elephanten, Erbprinzen, Herrn Sommer und Mad. Willi(???) pp. betreffend, mündlich mehr.
Seit Gera, wo ich zum leztenmale an euch schrieb, habe ich keinen einzigen Regentropfen gesehen. Von dem fast beständigen Sonnenschein und Staube, der Hitze und Dürre, sind hier viele Menschen, so wie auch ich, ganz heiser geworden. In Gera nahm ich den 30sten Morgens früh Extra-Post und fuhr gegen 5 ½ Uhr weiter über Cöstritz, Kloster Lausnitz, Schöngleina pp nach Jena (t M) wo ich gegen 1 Uhr anlangte. Hier aß ich, fuhr gegen 3 Uhr weiter nach dem mit Recht berühmten Weimar, wo ich um 5 ½ eintraf. (2 ½ M.) An demselben Abend war Oper, und zwar der Augenarzt von Gyrowetz. Ich eilte sogleich dahin und freute mich über die sehr gut gelungene Aufführung. Außer Mad. Eberwein, Mad. Unzelmann pp gefiel mir vorzüglich der Tenorist, Namens Moltke, der nächstens nach Hamburg kommen wird. Der sehr freundschaftlichen Aufnahme des Herrn Eberweins und seiner Gattin so wie vorzüglich seine liebevollen Bemühungen um mich, verdanke ich die vergnügten Stunden, die ich in Weimar erlebte. Von hier gieng es nun am 1sten Juni gegen Mittag um 1 Uhr rasch vorwärts über Erfurt (3 M.) Gotha (3 M.) Eisenach (3 ½ M.) Marchsuhl (2 M.) Vach (2 M.) Budlar (1 ½ M.) Hünefeldt (2 M.) Fulda (2 M.) Neuhof (2 M.) Schlüchtern (2 M.) Saalmünster 2 M.) Gellnhausen (2 M.) und Hanau (3 M.) hieher nach Frankfurth (2 M.) wo ich am 4ten Juni Morgens früh um 5 Uhr anlangte und im Weidenhof einquartirte. Morgen geht es nun in Spohrs und des oben erwähnten Quartetts Begleitung den Mayn hinunter bis Maynz und von da auf dem Rheine bis Coblenz. Von hier werden diese Herren sämmtlich wieder zurück kehren4 und ich meine Reise über Wesel pp nach Otterndorf weiter fortsetzen. Schreibt dies doch dem Haus baldmöglichst. Bald hätt’ ich verg essen, euch vorläufig mit meiner Reisegesellschaft hieher bekannt zu machen. Diese bestand unter andern aus folgenden Personen. 1 bis 4.) Vier preußische Officiere – sämmtlich lustig, zur Neckerey geneigt, aber doch anständig und artig. 5 und 6.) Ein alter circa 60-65jähriger Schauspieler und der Zeit ex-Schauspieldicrector Namens Tilli mit seiner ziemlich jungen Frau. 7.) Ein{} äuserst lustiger Frankfurther, der unsere Receveur & pageur zur allemeinen Zufridenheit machte. 8.) Ein jungen Mädchen aus Dresden. 9.) Ein höchst poßirlicher Schweitzer. 10. Ein Apotheker-Gesell. 11. Ein Musikus aus Leipzig, Namens Lange. Daß es bei dieser gemischten Gesellschaft nicht an Späßchens fehlte, könnt ihr euch denken; hoffentlich werdet ihr mir aber die schriftliche Mittheilung derselben erlassen. Grüßt alle Verwandte, Freunde und Bekannte, und empfehlt mich vorzüglich bei De Chapeauge5, Schwartz6, Mönckeberg7, Ries, Schlesinger8, Zadig9, Doormann10, Hagedorn11, Embden12, Stockfleth13, Müller14, Baur, Heine15, Parish, Rork etc. und sagt ihnen, daß ich mich, bei allen Freuden und vergnügungen, die ich geniße, doch sehr auf den Augenblick freue, sie alle wieder in Hamburg zu sehen.
Daß ihr euch alle recht wohl befinden möget hofft von ganzem Herzen euer treuer Vater

Schwencke.



[1] „gehört“ über der Zeile eingefügt.

[2] „oder“ unter „und“ eingefügt.

[3] Am Wortende gestricfhen: „en“.

[4] Statt westlich nach Mainz und Koblenz reiste Spohr mit den Rudolstädtern dann südlich über die Bergstraße nach Mannheim und Heidelberg.

[5] Sic! Sicherlich einer der Kaufleute Chapeaurouge (vgl. Hamburgisches Address-Buch (1819), S. 70).

[6] Infrage kommt einer der Herren Schwartz in: Hamburgisches Address-Buch (1818), S. 343f.

[7] Vgl. ebd., S. 158.

[8] Vgl. ebd., S. 326.

[9] Vgl. ebd., S. 419.

[10] Vgl. ebd., S. 77.

[11] Vgl. ebd., S. 129.

[12] Vgl. ebd., S. 89.

[13] Vgl. ebd., S. 369.

[14] Vgl. ebd., S. 261-264.

[15] Vgl. ebd., S. 143f.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (05.07.2023).