Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Herrn Capellmeister Louis Spohr
gegenwärtig
in Thierachern
bey Thun
Canton Bern1


Munster 12 Juny 1816.

Jedesmal mein theuerster freund Herr Spohr, Wenn ich das pettschaft Allegro sehe bin ich selbst ganz Allegro.2 Sie können sich also leicht einbilden mit wieviel Vergnügen ihr angenehmes Schreiben vom 12. May von mir empfangen wurde, Ihre freundschaft wird mich entschuldigen wenn ich nicht eherder antwortete denn ich war abwesend, bin aber nicht bis nach Paris gekommen und werde diese Reise erst späterhin machen, vielleicht erst auf das zukünftige frühjahr. – Sehr froh war ich zu ersehen daß Sie sich in Thierachern diesen Sommer auf zuhalten gedenken, und daß sie vermutlich das diesjährige Musik fest in freyburg dirigiren werden. Ich richte mich darauf ein, um Sie geehrter freund allda zu sehen, und mit Herrn Mayer dem feste beyzuwohnen. Ich wünsche also sehr daß keine hinderniße Ihnen und mir diesen angenehmen plan vereiteln. – Bis jetzt werden sie wenig Vergnügen in ihrer Berggegend gehabt haben. Wenn wenigstens die bey uns die jahres Zeit gröstentheils kalt – trübe – oder naß war3 . Erst einige schöne Tage hatten wir uns dieses Frühjahr zu erfreuen. – Dieser Umstand macht mich sehr begierig bald zu erfahren ob sie noch in Thierachern sind, und bis in August allda fixirt bleiben werden. – Das sie in den Schweitzer städten wo sie Concert gaben immer gute Geschäfte gemacht haben4 freut mich sehr – wer verdient dies Mehr als Sie freund – daß aber die Orchester noch schlechter sind als bey uns tröstet mich. – Ein leidiger Trost -- werden Sie ausrufen –! Es ist wahr. Denn in unserm Geschick ist es noch Satisfaction, von den schlechten Musik-Liebhabern doch nicht die schlechtesten zu seyn. – Dies alles lieber Herr Spohr, wird den guten Erfolg haben, daß wir von ihrer herrlichen Composition noch leichtere werden entstehen sehen, die man auch hier executiren und begleiten kann und in dieser Hinsicht werden sie für sich und die Liebe zur Kunst sehr viel Nutzen stiften. Gern erfuhr ich daß sie fleißig mit Composition wirklich beschäftigt sind. Ich erinnere mich nicht mehr ob ich Ihnen schon den empfang der herlichen Partitur des théme varie aus Allruna5 u auch meinen herzlichsten dank angezeigt habe. Wir haben dasselbe schon einige mal probirt und sind ganz bezaubert davon – obgleich es gleich nur halb ging --. Die fagott stimme ist aber recht schwierig – der vielen Noten und Sprünge wegen – die dem Instrument nicht sehr günstig sind und verhindern dem tone gehörig zu pflegen. Ich bemühe mich diese Variationen so einz[ustudiren]6 daß ich sie schon bey meinem Besuch erträglich, oder doch zu erkennen vortragen kann. – Viel schönes habe ich seitdem von ihren Compositionen in der Muscalischen Zeitung gelesen. besonders von Hermstädt der verschiedene Concerte in Berlin gab, wo sie allgemein bewundert wurden.7 – Die Gebrüder Bohrer waren kürzlich in Paris, und gefilen sehr besonders der Cello8 – die Violine9 weniger. Madm Catalani ist auf ihrer Reise nach Berlin und Wien begriffen, geht alsdann aber nach Paris zurück. – . Von Herrn Streicher habe ich Antwort erhalten. Er macht mir wirklich 2 Piano nach ihrer angabe für 100 Ducaten eines. Ich hoffe daß sie in Mü[nster]10 seyn werden, wenn sie mich wieder besuchen. – Auch wir hier unterhalten das Musicalische Feuer mit unaus gesezter Sorgfalt. Stets erinnern wir uns Ihrer und ihr Andenken ist im wahren Genuß für unsre kleine Dilettanten Gesellschaft. Jedes Mitglied empfiehlt sich Ihnen bestens. Ich erwarte Herrn Brandl seit einigen Wochen – bin aber ohne seine Nachrichten auf meine letzten Briefe, Befürchte also, daß ihm unangenehmes zugestoßen sein möge. Welches mich sehr beunruhigt.
Ich grüße Ihre theure Frau, und wünsche ihr die beste Gesundheit und den angenehmsten aufenthalt in der Schweitz. Hier einige Zeilen für die Frau Capellmeisterin – von ihrem ganz ergebenen

Jaques Hartmann

Autor(en): Hartmann, Jacques
Adressat(en): Spohr, Louis
Erwähnte Personen: Bohrer, Anton
Bohrer, Max
Brandl
Catalani, Angelica
Mayer (in Münster bei Colmar)
Streicher, Andreas
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Variationen, Klar Orch, WoO 15
Erwähnte Orte: Berlin
Freiburg im Üechtland
Paris
Thierachern
Wien
Erwähnte Institutionen: Schweizer Musikgesellschaft
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1816061246

Spohr



Dieser Brief ist die Antwort auf den verschollenen Brief Spohr an Hartmann, 12.05.1816. Spohr Antwortbrief vom 27.06.1816.ist ebenfalls verschollen.

[1] Auf dem Adressfeld befindet sich rechts in der Mitte der Poststempel „60 / COLMAR“.

[2] Zu dieser Zeit nutzte Spohr für seine Briefe ein Petschaft (Stempel) mit dem er seine Umsetzung seines Nachnamens in Notenschrift auf den Siegelwachs stempelte (Johann Lewalter, „In Noten gesetzte Namen“, in: Zeitschrift für Musik 87 (1920), S. 74f., hier S. 75; vgl. Louis Spohr, Lebenserinnerungen,, hrsg. v. Folker Göthel, Tutzing 1968, Bd. 1, S. 184, Text mit fehlerhafter Paginierung auch online; Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 1, Kassel und Göttingen 1860, S. 207f.).

[3] „war“ über der Zeile eingefügt.

[4] Vgl. „Aus der Schweiz. April“, in: Morgenblatt für gebildete Stände (1816), S. 448; „Zürich“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 18 (1816), Sp. 457-460, hier Sp. 458; Spohr, Lebenserinnerungen, Bd. 1, S. 223-227, Text mit fehlerhafter Paginierung auch online; Selbstbiographie, Bd. 1, S. 250-255.

[5] Vermutlich eine Bearbeitung des eigentlich für Klarinette und Orchester komponierten Variationen WoO 15.

[6] Unleserlich durch Siegelaufdruck.

[7] Vgl. „Berlin. Uebersicht des Monats Januar“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 18 (1816), Sp. 103-106, hier Sp. 104f.

[8] Max Bohrer.

[9] Anton Bohrer.

[10] Unleserlich durch Siegelaufdruck.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (27.01.2023).