Autograf: nicht ermittelt
Entwurf: ehemals im Spohr-Nachlass im Besitz der Familie Wittich, vermutlich 1945 in Dresden verschollen
Abschrift: Computerdatei von Herfried Homburg († 2008) nach einer Abschrift des Entwurfs von Folker Göthel

Gotha [im] Sept. 1815

Hochgeborner, gnädiger Herr Graf,

Als ich vor einem halben Jahre erfuhr, daß Ew. Excellenz nach Dero Ernennung zum Generalintendanten der königl. Schauspiele und Kapelle damit umgingen die durch Himmels Tod erledigte Kapellmeister-Stelle von neuem zu besetzen, war ich im Begriff, mich den Bewerbern um diese Stelle anzureihen; ich erfuhr aber damals von Sr. Durchl. dem Fürsten Radziwil, der mich während dem Kongreß bey meinen Privatmusiken öfters mit seiner Gegenwart beehrte, daß auch Bernhard Romberg unter den Bewerbern sey und daß er sehr wünsche, daß dieser treffliche Künstler für Berlin gewonnen werde. Diese Äußerung vermogte mich von meiner Bewerbung abzustehen; auch kam dazu, daß ich im Begriff war in Gesellschaft meiner Frau eine Reise nach Italien, Frankreich und Engeland anzutreten und daß es den Anschein hatte, als würde die Stelle in Berlin sogleich wieder besetzt werden. Da dies nun aber wahrscheinlich durch die neuesten Zeitereignisse noch länger verzögert werden wird, da ich meine Reise aber dieser Zeitereignisse wegen wohl allein auf Italien werde beschränken müssen und da ich hier erfahre, daß Bernhard Romberg von seiner Bewerbung zurücksteht, so wage ich es Ew. Excellenz um die gnädige Erlaubnis zu bitten, mich den übrigen, mir übrigens unbekannten Bewerbern zu dieser Kapellmeisterstelle zugesellen zu dürfen.
Als Folge dieser Bitte glaube ich einiges von meiner Künstlerlaufbahn erwähnen zu müssen, da ich wohl nicht voraussetzen darf, daß sie Ew. Excellenz bekannt sey. Von meinem 13ten bis in mein 21stes Jahr war ich Mitglied der Herzogl. Braunschweigischen Chapelle und hatte mich bey meinen Studien und Reisen der Aufmunterung und Unterstützung des damaligen Herzogs zu erfreuen. Mit seiner Bewilligung trat ich in meinem 21sten Jahr als Director der Chapelle in Herzogl. Gothaische Dienste, wo ich 7 Jahr verblieb. Auf einer Reise nach Wien wurde ich dann vor 3 Jahren als Kapellmeister und erster Orchesterdirector des Theaters an der Wien engagirt, welchen Posten ich bis vorigen Herbst verwaltet habe. Unzufriedenheit mit der Direction und der damals bestehende allgemeine Friede veranlaßten mich meinen Abschied zu nehmen und eine Reise durch Europa anzutreten, auf der ich jezt begriffen bin. Der Wunsch, als praktischer Künstler einen recht ausgebreiteten Wirkungskreis und als Komponist Veranlassung zu großen Gesangskompositionen zu haben, vermogten mich vor 3 Jahren den Hof von Gotha, wo ich übrigens vollkommen zufrieden war, mit Wien zu vertauschen ; dieselbe Neigung machte mir, nach Vollendung meiner Reise durch Italien, ein Engagement in Berlin sehr wünschenswert, wo eine herrliche Kapelle und ein großes Theater dem Komponisten und Director Veranlassung zur Thätigkeit genug darbiethen.
Da von meinen größere[n] Gesangskompositionen noch nichts in Berlin gegeben worden ist, so wünschte ich nichts sehnlichster als daß Ew. Excellenz mir Gelegenheit gäben, durch Aufführung einer derselben darzuthun, daß ich nicht ganz unwürdig sey nach der Ehre zu streben, in die Reihe der berühmten Künstler einzutreten, die die Berliner Kapelle von jeher aufzuweisen hatte. Ich nehme mir daher die Freiheit Ew. Excellenz für das Theater in Berlin meine letzte in Wien geschriebene Oper Faust zu offeriren. Sie ist zwar im Auftrag der Direction des Theaters an der Wien geschrieben und von dieser honorirt; das Verkaufsrecht an andere Theater habe ich mir aber vorbehalten. Daß sie dort immer noch nicht gegeben worden ist, lag früher an lokalen Hindernissen, seit meinem Abgange aber wohl allein an den dabey interessirten dortigen Komponisten. Umso mehr liegt mir aber daran, daß diese echte deutsche Nationaloper, auf die ich glaube stolz seyn zu dürfen, nun bald auf eine würdige Art gegeben werde. In Hinsicht der Rollenbesetzung, Machinerie, Tanz usw. würde in Berlin keine Schwierigkeit obwalten. Sollten Ew. Excellenz diese Oper (von der ich ein Textbuch beyzulegen so frei bin) für das dortige Theater geeignet finden und davon eine Aufführung noch in diesem Herbst veranstalten wollen, so würde ich gern um die Aufführung zu leiten nach Berlin kommen und meine Reise nach dem Süden um einige Monathe verschieben. Bis Ende October bleibe ich ohnedies in hiesiger Gegend indem am Jahrestage der Leipziger Schlacht in Frankenhausen abermals ein großes Musikfest stattfinden wird, wo ich eine Cantate von mir: Das befreite Deutschland von Caroline Pichler gedichtet, aufführen werde.1 -
Sollten Ew. Excellenz mich daher mit einer Antwort beehren wollen, so bitte ich unterth. sie hieher oder nach Frankenhausen zu adressiren.
Indem ich mich Ew. Excellenz Gnade und Wohlwollen empfehle, nenne ich mich

Ew. Excellenz
untethän. Diener
Louis Sp[ohr]



Ob Spohr diesen Brief abschickte, lässt sich nicht belegen. Der nächste belegte Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Brühl, 15.05.1818.

[1] Vgl. „Musikfest in Frankenhausen”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 17 (1815), Sp. 767-770.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (11.11.2016).