Autograf: ehemals Privatbesitz Dr. Ernst Hauptmann in Kassel, vermutlich 1943 Kriegsverlust
Druck: La Mara (= Pseud. für Marie Lipsius), Classisches und Romantisches aus der Tonwelt, Leipzig 1892, S. 130f.

Dem s[ehr] ehrw[ürdigen] Br[uder] Hauptmann im Or[ient] von Dresden.


Gotha den 22sten Merz [18]12.

Mein sehr verehrter O[rdens] Bruder1,

Verzeihen Sie gütigst, daß ich meinem Versprechen: Ihnen von Zeit zu Zeit über die Fortschritte Ihres Herrn Sohn's in feinem Studium der Musik einige Nachricht zu geben, erst so spät Genüge leiste. Eine große Arbeit2, die mich seit meiner Zurückkunft von Hamburg3 ausschließlich beschäftigt, eine wahrend meiner Abwesenheit versäumte Correspondenz die nachgehohlt werden muste, haben mich bis jezt davon abgehalten.
Wie innig freue ich mich, Ihnen, dem Vater nur Lobenswerthes vom Sohne berichten zu können. Sein liebenswürdiger Charakter, seine Bildung, die wie immer mit Bescheidenheit gepaart ist, seine Kenntnisse und richtige Beurtheilung in der Musik, haben mir ihn so werth gemacht, daß ich ihn zu meinem täglichen Gesellschafter gewählt habe. Mit ihm spreche ich am liebsten von der Kunst und ihren Meisterwerken, denn er versteht mich. Ihm spiele ich meine Entwürfe vor und theile ihm meine Ideen zur Ausarbeitung mit. Indessen bin ich es nicht allein der ihn so liebgewonnen hat,- alle die ihn näher kennen lernen, finden sich eben so zu ihm hingezogen, und ich habe oft das Vergnügen andere von seinem Lobe überfließen zu sehen. - Auch in der Musik hat er schon bedeutende Fortschritte gemacht, besonders im Violinspiel. In diesem leztern war er bey seiner Herkunft sehr weit zurück,- es fehlte ihm an reiner Intonation an Leichtigkeit und an Gewandheit. Jezt spielt er schon mehrere schwere Sachen und seit kurzem ein sehr schweres Concert von mir mit vieler Festigkeit Gewandheit und Elegance. Da er beynah ganz von vorne anfing, so zeugt das sehr für seinen Fleiß. Ob er ein ausgezeichnetes Talent für Komposition besitze, kann ich noch nicht recht beurtheilen, indem wir jezt erst das erste Concert, welches er bey mir gemacht hat, beendigen. Indessen hat er sehr achtungswerthe Kenntnisse der Harmonie und viel Geschick zur thematischen Bearbeitung weswegen ich ihn auch nun ein Gesangstück werde schreiben lassen, wo diese Bearbeitung mehr an ihrem Platze ist, wie bei einem Concerte. Mit einem Worte, ich kann Ihnen nur die Versicherung geben daß Ihr Sohn ein ausgezeichneter Künstler werden wird, von dem Sie, die Kunst und ich viel Ehre haben werden.
Indem ich mich Ihrem fernern brüderlichen) Wohlwollen empfehle, grüße ich Sie d.d.u.h.Z.4 und nenne mich

Ihren
treuverbundenen O[rdens] B[ruder]
Louis Spohr.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en): Hauptmann, Johann Gottlob
Erwähnte Personen: Hauptmann, Moritz
Erwähnte Kompositionen: Spohr, Louis : Das jüngste Gericht
Spohr, Louis : Der Zweikampf mit der Geliebten
Erwähnte Orte: Gotha
Hamburg
Erwähnte Institutionen:
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1812032203

Spohr



Der letzte überlieferte Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Johann Gottlob Hauptmann, 15.04.1811.

[1] Freimaurerische Anrede.

[2] Das jüngste Gericht (vgl. Louis Spohr, Lebenserinnerungen, hrsg. v. Folker Göthel, Tutzing 1968, Bd. 2, S. 150ff., Text mit fehlerhafter Paginierung auch online; ders., Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 1, Kassel und Göttingen 1861, S. 168-171).

[3] Von den Aufführungen seiner Oper Der Zweikampf mit der Geliebten (vgl. Louis Spohr, Lebenserinnerungen, hrsg. v. Folker Göthel, Tutzing 1968, Bd. 2, S. 145-149, Text mit fehlerhafter Paginierung auch online; ders., Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 1, Kassel und Göttingen 1861, S. 162-168).

[4] Freimaurerisch: „Durch die uns heilige Zahl“ (vgl. Druck, S. 131, Anm. 1).

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (21.03.2017).