Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. hist. litt. 15[162
Inhaltsangabe mit Zitat: Autographen von Musikern, darstellenden und bildenden Künstlern (darin eine italienische Sammlung). Versteigerung 20. Oktober 1913 (= Katalog Henrici 13), Berlin 1913, S. 31

Wohlgeborner,
Hochzuverehrender Herr Canzley-Secretair,

Ich eile Ihr geehrtes Schreiben vom 6ten Nov. welches ich vor einigen Tagen erhielt, zu beantworten, und Sie zugleich um Ihre gütige Verzeihung wegen meines so langen Stillschweigens gehors. zu bitten.
Ich hoffe sie zu erhalten, wenn ich Ihnen die Ursache davon bekant mache. Wie ich Ihr vorletztes Schreiben erhielt, hoffte ich noch immer die Umstände würden mein Project begünstigen mit meiner Frau nächsten Winter eine musikalische Reise zu machen. Späterhin wie der Krieg zwischen Preußen und Frankreich ausbrach mußte ich freilich die Hoffnung dazu wohl fahren lassen1, allein die Besorgnisse die der Nähe des Kriegsschauplatzes bey uns erregte, ließen mich von neuem die Antwort auf Ihr geehrt. Schreiben verzögern. Nun aber da die Scenen des Kriegs uns nicht mehr so in der Nähe bedrohen, habe ich wieder angefangen der Kunst zu leben; und da nun an eine musikal. Reise für diesen Winter nicht zu denken ist, so soll es mich freuen wenn ich durch meinen Unterricht Ihrem Freunde2 nützlich werden kann. Haben Sie, also die Güte ihm meine Bereitwilligkeit dazu bekant zu machen, und das nöthige wegen seiner Herüberkunft gefälligst zu bestimmen. Bis jetzt hat unsere Gegend noch so wenig am Kriege gelitten, daß es eher wohlfeiler wie theurer geworden ist, daher3 ihm sein Aufenthalt hier wohl nicht sehr hoch kommen wird. Man kann hier des Mittags von 4 sgr an bis zu allen Preisen speisen. Ein möblirtes Zimmer mit einem Bette wird etwa halbjährig 15 bis 25 Rth kosten. Dies letztere könnte ich Ihrem Freunde, wenn ich die Zeit seiner Herüberkunft(?) wüßte, vorläufig miethen, indem es vieleicht Schwierigkeiten machen könnte, so gleich eins zu finden.
Schicken Sie allso Ihren jungen Freund so bald wie möglich, und seyn Sie versichert, daß ich nichts versäumen werde ihn zu einem recht braven Künstler auszubilden. Hat er Talent zur Komposition, so wird es mich freuen ihm auch im theoretischen Theile der Musik mit meinem Rath beyzustehen, und so wird er, hoffe ich, seine Zeit bey mir angenehm und nützlich zubringen.
In einem Ihrer Briefe erkundigen Sie sich nach meinen neuesten Kompositionen. Sie sind sämtlich bey Kühnel in Leipzig herausgekommen und bestehen in einem Concerte in c#, einem Potpourri, Violinquartetten4, den Variationen, deren Sie erwähnen und noch andere in d#.
Nächstens werden eine Fortsetzung der Quartetten5, eine Ouvertüre fürs große Orchester und mehrere andere Sachen erscheinen. So eben habe ich auch eine Oper6 beendigt, an der ich seit einem viertel Jahr unabläßig arbeitete, und deren Komposition mich so interressirte daß ich darüber das drückende des letzten Zeitraums vergessen konnte. Dieß wird die erste Gesangkompos. seyn, die von mir ins Publikum kommt, obgleich nicht die erste war, an der ich mein Talent für diese schöne, aber auch schwerste Kompositions-Art versuchte.
Leben Sie wohl und seyn Sie meiner herzlichsten Hochachtung versichert.

Ihr
gehorsamster Diener
L. Spohr

Gotha den 15ten Nov.
1806.



Dieser Brief ist die Antwort auf den derzeit verschollenen Brief Keller an Spohr, 06.11.1806. Der nächste erhaltene Brief dieser Korrespondenz ist Spohr an Keller, 10.02.1807, aus dem sich noch jeweils ein Brief von Spohr und Keller erschließen lassen.

[1] Vgl. Louis Spohr, Lebenserinnerungen, hrsg. v. Folker Göthel, Tutzing 1968, Bd. 1, S. 98f., Text mit fehlerhafter Paginierung auch online; ders., Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 1, Kassel und Göttingen 1860, S. 104f.

[2] Johann Friedrich Witzenmann.

[3] „daher” eingefügt über dem gestrichenen Wort „und”.

[4] Op. 4.

[5] Op. 11.

[6] Die Prüfung.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (08.05.2017).