Louis Spohr, Tagebuch oder Merkwürdigkeiten einer musicalischen Reise, Ms. 1802, S. 28-32
Autograf: Privatbesitz
Vorlage: Mikrofilm im Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. Mf 110
Inhaltsangabe: Louis Spohr, Lebenserinnerungen, hrsg. v. Folker Göthel, Tutzing 1968, Bd. 1, S. 320, Anm. 3 und S. 321f., Anm. 12

Donnerstag
Hamburg
d 6ten Mai.

Neuer Violinbogen.
Bemerkungen über das Hamburger Theater.
Über Orchester, Schauspieler und Decorationen

Unzufrieden mit dem Violin1 Bogen, den ich schon so lange gebraucht habe, kam ich auf den Einfall mich in der Musikhandlung bey Mees zu erkundigen, ob sie nicht Bogen von Tourtet2 aus Paris zu verkaufen hätten. Man zeigte mir den letzten, der 3 Louisd’or kosten sollte. Da mir sein Äusers sehr gefiel, und mein Lehrer3, den ich herzu holte auch am Paquet keinen Fehler fand, so kaufte ich ihn. Angenehm wurde ich überrascht wie ich ihn zum ersten mahle gebrauchte, und das Spiel4 damit so sehr erleichtert fand. Ich studirte auch beynah den ganzen Tag an einem Concerte von meines Lehrers Bruder5.
Endlich um 6 Uhr, da ich nicht länger Lust hatte zu spielen, und mein Lehrer in die Freimaurer Loge ging, wo er heute als Mittglied aufgenommen ist, begab ich mich ins Theater, wo man heute den Telemach aufführte. Sehr zufrieden mit dem Orchester das die Ouvertüre vortreflich execoutirte, sah ich den Vorhang auffliegen und hofte nun auch eben so zufrieden mit den Schauspielern seyn zu können. Allein das war nicht der Fall. Ihre erste Sängerin Madame Koch die in der Rolle der Eucharis auftrat, sang zwar nicht ohne Geschmack und Fertigkeit; sie hatte aber so etwas kreischendes in der6 Stimme, das ihren Gesang ganz unerträglich machte. Der erste Tenorist H. Kirchner in der Rolle des Telemach sang auch mit vielem Gefühl, er hat aber die übele Gewohnheit bey haltenden Tönen zu tremoliren,7 daß man seine Stimme ehr8 für die einer meckenden Ziege als eines Menschen halten mögte. Am besten hat mit Madame Kostenoble9 in der Rolle der Calipso gefallen. Sie hat eine sehr schöne Stimme, zwar nicht so viel Geläufigkeit in der Kehle wie Madame Koch, aber gewiß eben so viel Geschmack. Der hier sehr beliebte Bassist H. Apel der die Rolle des Mentors spielte hat mir aber destoweniger gefallen wollen. Seine steife Stimme, seine geschmacklosen Verzierungen, und sinlosen10 Cadenzen können nur einem Hamburger Puplico gefallen. Überhaupt habe ich noch11 nie Menschen fälschere Urtheile fällen sehn, als heute Abend. So wurden zum Beyspiel die Späße des Colophonio (der, in Vorbeygehn gesagt, seine Rolle sehr plump machte) über mäßig beklatscht und belacht und eine12 eingelegte Arie13 von Mozart, die die Madame Kostinoble sehr gut sang, nicht einmahl mit dem leisesten Beyfall-Zeichen begleitet. Aber Herrn Apel rief man dafür desto mehr bravo zu, wenn er z.B. einen rechten tiefen Baßton heraus brumte, oder alle übrigen im Chore überschrie. – Freilich waren auch Leute von Geschmack unter den Zuschauern, aber nur zu wenige um ihre Urtheile geltend machen zu können.
Wie das Theater und die Decorationen anbetrifft, so haben sie mir nicht sehr gefallen wollen. Der Vorhang (der aber schon sehr beschädigt ist) und noch wenige andere Hinterdecorationen ausgenommen, fand ich sie alle sehr schlecht gemalt. Vorzüglich schlecht ist die Walddecoration.
Überhaupt hat mir das Theater lange nicht so gut gefallen wollen wie unser Braunschweiger. Es ist für eine Stadt wie Hamburg viel zu klein. Es hat nur 4 Pläze, 3 Logen und das Partere.

Autor(en): Spohr, Louis
Adressat(en):
Erwähnte Personen: Apel, J.
Costenoble, Johanna
Eck, Franz
Kirchner, A.
Koch (Schauspielerin in Hamburg)
Erwähnte Kompositionen: Hofmeister, Franz Anton : Telemach
Erwähnte Orte: Hamburg
Erwähnte Institutionen: Hoftheater <Braunschweig>
Stadttheater <Hamburg>
Zitierlink: www.spohr-briefe.de/briefe-einzelansicht?m=1802050629

Spohr



[1] „Violin“ über der Zeile eingefügt.

[2] Sic!

[3] Franz Eck.

[4] Hier gestrichen: „mit“.

[5] Friedrich Eck.

[6] „der“ über gestrichenem „ihrer“.

[7] Hier gestrichen: „so“.

[8] Sic!

[9] „noble“ über dem folgenden „in“ eingefügt; vermutlich ließ Spohr hier zunächst eine Lücke für den Namen, deren Platz dann nicht ganz reichte.

[10] Sic!

[11] Hier gestrichen: „ich von“.

[12] „eine“ über gestrichenem „die“ eingefügt.

[13] Hier gestrichen: „die“.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (13.07.2022).