Autograf: Lippische Landesbibliothek Detmold (D-DT), Sign. Mus-h 17 S 4
Druck: Otto von Meysenbug, „Beiträge zur Geschichte musikalischen und theatralischen Lebens in Detmold”, in: Mitteilungen aus der lippischen Geschichte und Landeskunde 3 (1905), S. 177-204, hier S. 182f.

Cassel den 13ten Februar
1837
 
Wohlgeborner Herr!
 
Mit Vergnügen werde ich Ihnen Ihrem Wunsche gemäß, Partitur und Stimmen meines neuen Oratoriums1 leihen, doch werden Sie sie vor dem 7.-8. Mai nicht erhalten können, da das Oratorium am Charfreitag hier und am Himmelfahrtstage (4ten Mai) in Bremen gegeben werden soll, zu welcher Aufführung ich bereits meine Orchesterstimmen zugesagt habe. Wenn aber dort die Stimmen Tags nach der Aufführung eingepackt und abgesandt werden, so erhalten Sie sie für Ihre Aufführung zeitig genug.
Was die junge Sängerin betrifft, so wünschte ich Näheres über ihr Gesangstalent zu erfahren. Ist sie schon so weit vorgebildet, daß sie Rollen wie Agathe2, Rezia3 genügend geben kann, so könnten wir ihr sogleich Engagement für erste und zweite Parthien antragen. Die ersten Parthien, die außer den genannten von ihr gegeben werden müßten, wären z. B. Fidelio, Pamina4, Jessonda, Romeo5, Rose6 in Adlers Horst, Gräfin in Figaro's Hochzeit und ähnliche; von zweiten Elvira in Don Juan, Röschen in Faust u.s.w. Doch wird nicht verlangt, daß sie die genannten Parthien bereits alle wisse, sondern nur, daß sie in Gesang- und Musik-Bildung soweit fortgeschritten sei, um sie erlernen und geben zu können. Indem ich Sie ersuche mir hierüber gefälligst umgehend Auskunft zu geben, bitte ich zugleich um ein Verzeichniß sämtlicher Rollen, die Frl. Scott bisher gegeben hat. Auch wünschte ich zu wissen, ob sie im Fall wir uns einigen, nicht sogleich hieher kommen könnte, sondern noch 6 Wochen dort zu bleiben hätte.
Schlüßlich noch eine Frage: Daß wir während der Pfingsttage hier ein großes Musikfest haben werden, wird Ihnen wohl schon bekannt seyn.7 Wir bedürfen dazu fremder Saiteninstrumente, Geiger, Bratschisten, Violoncellisten und Contrabassisten. Könnnten und mögten Sie nebst andern, tüchtigen Mitgliedern Ihrer Kapelle activen Antheil nehmen? und ist dieß, wie viel und welche Instrumente würden dies seyn können?
Daß wir nur routinirte Orchesterspieler gebrauchen können, brauche ich wohl kaum zu erinnern, indem unser Musikfest sich durch eine sorgfältige Auswahl der Mitwirkenden hauptsächlich auszeichnen soll.
Einer möglichst baldigen Antwort entgegensehend
mit vorzüglicher Hochachtung ganz
 
der Ihrige
Louis Spohr
 
 
Nachschrift
 
Mit diesem Brief zugleich geht einer von uns (der Direktion) an Fräulein Scott ab8, in welchem ihr ein vorläufiges Engagement bis zum 1sten October angetragen und der verlangte Vorschuß zugesagt wird. Hinsichtlich der Gagenbestimmung soll sie uns vertrauen; sie wir zufrieden seyn. d – In unserm Briefe wird zwar [auf Veranlassung des Prinzregent]9 die Bedingung gestellt daß sie sogleich kommen müsse; sie soll sich aber dadurch nicht abhalten lassen, dort obgleich zu kündigen10 und ihre 6 Wochen, wenn es nicht ander seyn kann, dort noch aushalten. Sie schreibe der Direction nun, „daß sie nach Empfang unseres Briefs sogleich gekündigt habe, ihre dortigen Verpflichtung nach, aber no[ch] 6 Wochen bleiben müsse11 und daher in Cassel erst den und den eintreffen könne. Auch bestimme sie die Zeit, so sie den Vorschuß zu erhalten wünscht. Ist es aber auf irgend eine Weise möglich, früher als nach Ablauf der 6 Wochen zu uns zu kommen, so geschieht uns damit ein großer Dienst. – Jedenfalls lasse ich Fräulein Scott ersuchen die beyden Parthien (Jessonda u Elvire) dort noch fleißig zu studiren, damit sei nach ihren Antrittsrollen bald geben könne.
eilig: der Obige



Dieser Brief ist die Antwort auf Kiel an Spohr, 08.02.1837. Kiel beantwortete diesen Brief am 15.02.1837.
 
[1] Des Heilands letzte Stunden.
 
[2] Rolle in Der Freischütz von Carl Maria von Weber.
 
[3] Rolle in Oberon von Carl Maria von Weber.
 
[4] Rolle in Die Zauberflöte von Wolfgang Amadeus Mozart.
 
[5] Rolle in I Capuleti e i Monetcchi von Vincenzo Bellini.
 
[6] „Rose” eingefügt über gestrichenem „Marie”.
 
[7] Louis Spohr plante für Pfingsten 1837 ein Musikfest in Kassel, das die Regierung zu diesem Zeitpunkt jedoch aus religiösen Gründen nicht genehmigte (vgl. Louis Spohr, Lebenserinnerungen, hrsg. v. Folker Göthel, Tutzing 1968, Bd. 2, S. 175, Text mit fehlerhafter Pagnierung auch online; ders., Louis Spohr’s Selbst-Biographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 216).
 
[8] Dieser Brief ist derzeit verschollen.
 
[9] Am Rand eingefügt.
 
[10] Hier gestrichen: „da”.
 
[11] „müsse” eingefügt.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (22.06.2016).

Wohlgeborner Herr! Mit Vergnügen werde ich Ihnen Ihrem Wunsche gemäß, Partitur und Stimme meines neuen Oratoriums leihen, doch werden Sie sie vor dem 7.–8. Mai nicht erhalten können, da das Oratorium am Charfreitag hier und am Himmelfahrtstage (4. Mai) in Bremen gegeben werden soll, zu welcher Aufführung ich bereits meine Orchesterstimmen zugesagt habe. Wenn aber dort die Stimmen Tags nach der Aufführung eingepackt und abgesandt werden, so erhalten Sie sie für Ihre Aufführung zeitig genug.
Was die junge Sängerin betrifft, so wünschte ich Näheres über ihr Gesangstalent zu erfahren. Ist sie schon so weit vorgebildet, daß sie Rollen wie Agathe, Rezia genügend geben kann, so könnten wir ihr sogleich Engagement für erste und zweite Parthien antragen. Die ersten Parthien, die außer den genannten von ihr gegeben werden müßten, wären z. B. Fidelio, Pamina, Jessonda, Romeo, Rose in Adlers Horst, Gräfin in Figaro's Hochzeit und ähnliche; von zweiten Elvira in Don Juan, Röschen in Faust u.s.w. Doch wird nicht verlangt, daß sie die genannten Parthien bereits alle wisse, sondern nur, daß sie in Gesang- und Musik-Bildung soweit fortgeschritten sei, um sie erlernen und geben zu können. Indem ich Sie ersuche mir hierüber gefälligst umgehend Auskunft zu geben, bitte ich zugleich um ein Verzeichniß sämtlicher Rollen, die Frl. Scott bisher gegeben hat. Auch wünschte ich zu wissen, ob sie im Fall wir uns einigen, nicht sogleich hieher kommen könnte, sondern noch 6 Wochen dort zu bleiben hätte.
Schließlich noch eine Frage: Daß wir während der Pfingsttage hier ein großes Musikfest haben werden, wird Ihnen wohl schon bekannt seyn. Wir bedürfen dazu fremder Saiteninstrumente, Geiger, Bratschisten, Violoncellisten und Contrabassisten. Könnnten und möchten Sie nebst andern, tüchtigen Mitgliedern Ihrer Kappelle activen Antheil nehmen? und ist dieß, wie viel und welche Instrumente würden dies seyn können?
Daß wir nur routinirte Orchesterspieler gebrauchen können, brauche ich wohl kaum zu erinnern, indem unser Musikfest sich durch eine sorgfältige Auswahl der Mitwirkenden hauptsächlich auszeichnen soll.
Einer möglichst baldigen Antwort entgegensehend, mit vorzüglicher Hochachtung ganz der Ihrige
 
L. Spohr.