Marianne Spohr, Tagebuch von der Reise nach England 1843
Autograf: Spohr Museum Kassel (D-Ksp), Sign. Sp. ep. 2.2.01, Bl. 14v-15r

Montag d.10t.

Morgens Massen von Visiten bei Spohr, unt. and. Sivori (mit Album), Mr. Hawell, englisch. Enthusiast, Dilletant, der eine wahre Anbetung für Sp. äußerte und als sehnlichsten Wunsch ausgesprochen, ihn nur einmal zu sehen; er konnte leider nur englisch, gefiel mir aber sehr wohl und betrachtete Sp. beim Abschied noch lange mit gerührtem Blick und Thränen in den Augen. Dann lange Unterredung (von mir verdolmetscht) mit den Direktoren von Ex. Hall1, die noch immer von ihrem großen Plan nicht ablaßen wollten.2
Vor Tisch besahen wir noch das prachtvolle British Museum, bei seiner ungeheuren Größe freilich so flüchtig wie möglich. Schon das Lokal kann zu den Merkwürdigkeiten Londons gerechnet werden, indem es ein ganzes Straßenquartier einnahm und im Innern zu lauter colossalen Sälen verbunden ist mit großen Fenstern von der Decke beleuchtet und einen entzückenden Spaziergang bei jedem Wetter darbietet. Es enthält in reizendster Aufstellung alle Merkwürdigkeiten der Welt, sehr interessant und selten z.B. die vielen Alterthümer aus Egypten, Griechenland u.s.w..
Abends das Extra Phil. Concert, das sehr glänzend ausfiel.3 Von der Musik interessierten mich besonders außer der von Spohr (Conc. in A), Ouv. aus Macbeth und Arie aus Jessonda, die Staudigl 2mal singen mußte, die Fingals-Ouvert.4 von Mendels. und 9te Symphonie mit den Chören von Beethoven, die mir jedoch, obgleich sie unübertrefflich ging, mehr verrückt als wahrhaft schön erschien. Zu Anfang des Concerts, als die Königinn hereintrat, stand Alles auf und „God save the Queen“ ward wundervoll von Solo-und Chorstimmen gesungen. Im Zwischenakt Spohr in den Nebensaal zur Königinn eingeladen, wo sie sich lange und sehr schmeichelhaft mit ihm unterhielt. So auch Prinz Albert und der König Leopold v. Belgien. Von Allem war Spohr sehr befriedigt.
H. Marshall mit seiner Tochter Mary aus Norwich, die erst heute nachgekommen uns vergebens zu Haus aufgesucht. Wir fanden sie sehr hübsch und auch ebenso liebenswürdig kindlich wie sonst.



Dieser Tagebucheintrag folgt auf den Eintrag 09.07.1843. Der nächste Eintrag ist 11.07.1843.

[1] Sacred Harmonic Society.

[2] Vgl. Marianne Spohr, Tagebucheintrag 08.09.1843; Sacred Harmonic Society an Spohr, 08.09.1843.

[3] Vgl. „Philharmonic Society”, in: Musical World 18 (1843), S. 239; „Philharmonic Concerts. Extra Concert, by Command of the Queen. Monday, July 10“, in: Examiner (1843), S. 437; Spohr an Adolph Hesse, 28.08.1843; Spohr an Moritz Hauptmann, 06.10.1843; Louis Spohr’s Selbstbiographie, Bd. 2, Kassel und Göttingen 1861, S. 278.

[4] Die Hebriden.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (29.05.2020).