Autograf: bis mindestens 1943 im Besitz von Werner Wittich, danach Kriegsverlust (vgl. Druck, S. 14)
Druck: Louis Spohr, Briefwechsel mit seiner Frau Dorette, hrsg. v. Folker Göthel, Kassel und Basel 1957, S. 29-32

Kassel, den 24sten Januar 22
 
Geliebte Herzens-Seele,
 
Wie sehne ich mich nach Dir, wie liebe ich Dich und wie fürchterlich werden die 2 Monate bis zu Euerer Ankunft noch dauern! Es kommt mir manchmal sehr töricht vor, daß wir uns durch so lange Trennung das Leben verbittern; bedenke ich dann freilich wieder, daß hier durchaus niemand ist, der Emilien1 zweckmäßigen Unterricht geben könnte; daß ich vor Ostern keine bequeme Wohnung schaffen könnte, in der wir alle unsere gewohnte Arbeit treiben könnten, so sage ich seufzend: es muß sein. Am vorigen Sonnabend war ich krank. Ich machte nachmittags eine Quartettprobe wie der Zufall kam. Ich mußte schnell nach Hause eilen und lag dann ganz verlassen im Bette. Gegen die Nacht wurde es besser und am andern Morgen war alles vorbei. Ich fühlte aber schmerzlicher wie je mein Alleinsein und die Trennung von Euch. – Dies abgerechnet bin ich hier aber sehr zufrieden und wir werden, hoffe ich, recht viel frohe Tage hier verleben. Mein Wirkungskreis hier ist ganz der von Frankfurt ohne sein Unangenehmes und ich hätte ich ganz Deutschland keinen angenehmern finden können. – Am Sonntage dirigierte ich zum erstenmal im Opferfest. In 2 Generalproben hatte ich Sänger und Orchester recht eingehetzt und es ging am Abend wirklich vorzüglich, so daß ich selbst meine Freude daran hatte. Gerstäcker als Murny und die Canzi als Myrha waren vorzüglich. Gleich die Ouverture wurde lebhaft applaudiert, etwas hier Unerhörtes, später auch die andern Ensemblestücke.2 Am andern Morgen war die ganze Stadt voll von der Verwandlung, die mit dem Orchester und der Oper vorgegangen sei; auch der Kurfürst ließ mir etwas Schmeichelhaftes darüber sagen. Montag abend war ich bei Gerstäcker in Gesellschaft, wo ich den Intendanten, Herrn von Manger, mit seiner Familie und mehrere der angesehensten Leute der Stadt fand. Vom Theaterpersonal waren nur 2 der vorzüglichsten da. Es ging hoch her und das Souper war so brillant wie möglich. Auch da war fast den ganzen Abend nur von der Metamorphose die Rede, die mit dem Orchester vorgegangen sei. – Dienstag gab die Kapelle ihr 3. Abonnement-Konzert. Sie waren früher in corpore zu mir gekommen und hatten mich gebeten, mich an die Spitze ihres Unternehmens zu stellen. Ich konnte dies nicht verweigern. Ich dirigierte daher die beiden Ouverturen und die Gesangstücke. Wir gaben 2 Ouverturen von Cherubini. Ich kann Dir nicht beschreiben, welchen herrlichen Effekt diese im Saal (ein neu erbauter, sehr schöner Saal, den Du noch nicht kennst) mit stark besetztem Orchester (16 Violinen, 4 Kontrabässe) machten und mit welchem Enthusiasmus sie aufgenommen wurden. Ich habe nun die Überzeugung, daß unser Orchester, wenn noch 4 bis 5 gute Künstler engagiert werden, bald eines der besten in Deutschland sein wird. Hasemann kommt Ostern. - Die Kurfürstin war im Konzerte und sagte mir viel Schmeichelhaftes über meine Art zu dirigieren. - Das Orchester hatte mich eingeladen, einem von ihm veranstalteten Souper beizuwohnen. Ich fand da eine sehr angesehene Gesellschaft. Adlige und Bürgerliche durcheinander, die alle Gäste der Kapelle waren. Ich bekam meinen Platz neben dem Intendanten. Vor mir auf dem Tisch stand ein Tempel des Ruhms, in den schwebende Genien meinen Namen getragen hatten. Oben war die Inschrift: Willkommen in unserer Mitte. - Der Intendant brachte die Gesundheit des Kurfürsten, dann der Kurfürstin, als dritte die meinige aus, bei der beiligendes Gedicht verlesen wurde.3 Der Jubel und der Lärm der Trompeten und Pauken war groß und die Szene rührte mich umso mehr, da ich auch nicht das Mindeste im Voraus davon gewußt hatte. Nach dem meinigen wurde noch auf das Wohl des Intendanten, des Generaldirektors Feige, des Chordirektors Baldewein und auf das der anwesenden Gäste, unter welchen auch Dem. Canzi war, die am Abend gesungen hatte, getrunken. Während der Tafel sangen Gerstäcker und 3 der andern Sänger 2 von meinen 4stimmigen Liedern recht vorzüglich und das Ganze endete um 12 Uhr ebenso anständig und sinnig, wie es begonnen hatte. - Gestern dirigierte ich zum zweitenmal in der schönen Müllerin von Paisiello. Die Oper war neu einstudiert und ging daher nicht so gut wie das Opferfest. Sie gefiel doch indessen sehr und wurde mit Beifall aufgenommen. Es war ungeheuer voll und schon mittags kein Billet mehr zu bekommen. Auf heute abend bin ich zum Generaldirektor Feige eingeladen; nächsten Sonntag werde ich beim Konzertmeister Barnbeck zum erstenmal Quartettmusik machen. Auf meinen Vorschlag hin ist der Dem. Canzi der Antrag gemacht worden, noch 2 Monat bis Ostern hier zu bleiben, so allsdann Dem. Braun als erste Sängerin herkommen wird.4 Sollte man einig mit ihr werden, so würden in dieser Zeit Webers Freischütz und Zemire und Azor einstudiert und während der Messe, die Mitte März anfängt, einige Male gegeben werden.
Eine Wohnung für uns habe ich immer noch nicht finden können. Die, von der ich Dir schrieb, ist mir zuwider gemacht worden. Ich habe vor ein paar Tagen 4 besehen, die alle nichts taugen. - Gestern sind mir noch 2 bezeichnet worden, die ich heute besehen werde. - Es gibt hier mehrere Möbelmagazine, so die schönsten Möbel fertig zu bekommen sind. Matrazen zu Betten werde ich aber wohl im voraus bestellen müssen und erwarte darüber Deine Aufträge. Wenn ich nur erst eine Wohnung gefunden hätte! - Grüße Hauptmann von mir und sag ihm, daß sich unser Projekt realisieren würde. Nächstens würde ich ihm schreiben. Dotzauer und den jungen Kummer laß doch wissen, daß Hasemann als erster Violoncellist bereits engagiert war, wie ich hieher kam. - Ich hoffe, heute abend einen Brief von Dir zu bekommen. Schreib mir ja recht oft. Deine Briefe machen mir unendliche Freude. - Ich besuche Frau von Malsburg dann und wann, weil ich mit ihr von Dir sprechen kann. Ach wärest Du nur erst da, mein gutes Weib! Lebe wohl. Grüße die Kinder und sage, sie sollen fließig sein. Tausend Küsse meinem Schnoddelchen5!



Dieser Brief folgt auf Louis Spohr an Dorette Spohr, 18.01.1822. Der Postweg dieses Briefs überschnitt sich mit Dorette Spohr an Louis Spohr, 18.01.1822 und dem nächsten überlieferte Brief dieser Korrespondenz Dorette Spohr an Louis Spohr, 26.01.1822.
 
[1] Emilie, später verheiratete Zahn.
 
[2] Vgl. „Cassel”, in: Allgemeine musikalische Zeitung 24 (1822), Sp. 324-331, hier Sp. 330.
 
[3] Göthel (S. 93, Anm. 51) zufolge war das Gedicht im Nachlass zur Zeit seiner Transkriptions des Briefs nicht mehr vorhanden, er zitiert aber nach der Wiedergabe bei Alexander Malibran, Louis Spohr. Sein Leben und Wirken, Frankfurt am Main 1860, S. 156.
 
[4] Vgl. „Cassel”, Sp. 331.
 
[5] Kosename für Spohrs jüngste Tochter Therese.
 
Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (15.12.2016).