Autograf: Universitätsbibliothek Kassel - Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel (D-Kl), Sign. 4° Ms. Hass. 287

Hamburg den 30t Sept. 1822

Lieber Herr Capellmeister,

daß ich Ihnen nicht früher geschrieben und für Ihre äußerst freundschaftliche Aufnahme gedankt habe, daran sind die unzähligen Gesellschaft schuld welche ich mit Eduard gleich nach meiner Ankufnt besuchen mußte. Zwei Abende ausgenommen, wo ich in meinem Hause Quartett machte ist dies der erste Abend endlich wo wir ganz solo im Hause beisammen sind. Ihr Schüler wird hier mit Entzücken gehört. Seine Mutter1 mußte er gleich den andern Morgen seiner Ankunft das staccato vormachen, meine Schwester Julie2 und sogar der Apotheker3 waren ganz außer sich über die Fortschritte die ihr Bruder unter Ihrer gütigen Leitung gemacht hat. Empfangen Sie nochmals meinen herzlichsten Dank für das Gute was Sie meinem Bruder durch Ihre väterliche Fürsorge zukommen ließen.
Herrn u. Madame Lehmann, bei denen wir vor einigen Tagen Quartett machten, können nicht genug Eduards Auffassen Ihrer Composition und Ihres Vortrags rühmen u Lehmann findet sogar daß der Eduard in seinen Zügen vieles von Ihnen angenommen hat. Seine vorzüglichsten4 Jugendfreundinnen hier, Luise u Betty Duncker die in der Zeit sich eine an einen Kaufmann Thode, die andere an einen Pastor Rautenberg verheirathtet haben haben recht ihre Freude über sein Spiel und sein unverändertes5 Wesen u dabei dutzen sie sich noch wie vormals. Der alte Schwenke der dem Sterben ganz nahe war, ist plötzlich wieder viel besser geworden und hat uns nicht wenig durch seinen Besuch als wir bei uns Quartett machten, überrascht. Er sah freilich noch erbärmlich aus und klagte gewaltig über seinen bejammernswerthen Zustand – dennoch freute er sich sehr über Ihr Emol Quartett u über Eduard. Alle Arzenei hat er jetzt abgesetzt u seine starke Natur scheint sich wirklich wieder durchzuholen.6 Sein Sohn Fritz befindet sich mit seiner Frau recht wohl – daran aber: daß man bald von ihm hören wird: scheint noch nicht viel zu seyn. Auf Prell’s Ersuchen hat er Ihre Dmol Symphonie für 2 Violinen, 2 Bratschen, 1 Flöte u Violoncel u Baß eingerichtet – ich hoffe sie nächstens zu hören. Ich bin jetzt mit Einstudiren Ihrer Zemire beschäftigt welche mir nächsten Sonntag bei Caesar Godeffroy in [???] mit doppelter Quartett Begleitung ausführen werden.
Vorigen Mittwoche hielt ich eine Probe, die von 7 bis 11 Uhr Abends dauerte – nächsten Mittwoch habe ich noch eine Clavierprobe u Donnerstag darauf die Generalprobe. Emilie Schröder sang die Zemire im Finale unübertrefflich schön und ich hoffe mit Zuversicht daß die Oper recht gut gehen soll. Wie ist es mit Ihrem Reise-Plan? werden Sie zum Frühjahr zu uns nach Hamburg kommen? O bitte, thun Sie es und melden Sie es mir dann etwas früher, ich kann alsdann vielleicht die Einrichtung treffen daß Sie mit Ihrer Frau bei uns wohnen können. Mein Bruder hat zwar jetzt die Absicht eine Etage zu vermiethen aber es wird hoffentlich doch nichts daraus werden, u wie würden wir uns alle freuen wenn wir Sie und Ihre liebe Frau auf einige Wochen bei uns haben könnten.
Eine belle vue können wir Ihnen freilich nicht geben aber ein schönes Musikzimmer. Da Eduard noch einige Worte beifügen will, so schließe ich mit der Bitte mich den lieben Ihrigen bestens zu empfehlen

Ihr aufrichtiger Freund W. Grund.


Ach, lieber Herr Kapellmeister, auch mich mag die Anzahl der Einladungen bey Ihnen u. Ihrer lieben Frau entschuldigen, daß ich erst jetzt Ihnen meinen innigen Dank für Ihre freundschaftliche Aufnahme sage. Des Schwärmens ist hier kein Ende, noch jetzt aben wir uns auf 14 Tage im Voraus auf jeden Tag engagiren müßen, ein sonderbarer Abstand von Meiningen. – Wilhelm u. ich haben ein ganz neues Leben in’s Haus gebracht, denn die arme Mutter war durch Jette’s Abreise höchst niedergeschlagen und fühlte sich noch verlaßner, durch die Abwesenheit des ausgelaßenen Wilhelms; der Empfang bey unsrer Ankunft war höchst rührend für mich, die innige Freude meiner Mutter u. meiner Geschwister sprach sich so in jeder Bewegung aus; ich mochte erzählen, was ich wollte, über Alles freuten sie sich. – Wir bewohnen jetzt ein sehr schönes Haus, es ist eine wahre Freude in den geräumigen Zimmern zu musiciren. – Mit meiner Violine hab ich eine höchst vortheilhafte wirkende Veränderung vorgenommen; unzufrieden mit dem Ton wagte ich es Stimm u. Steg zu rücken, doch uneins mit mir selbst ging ich zum Instrumentenmacher u. ließ ihn sie untersuchen u. siehe da! er fand daß die Stimme ganz falsch geschnitten war, nämlich die Poren der Stimme waren gleichlaufend mit jenen der Violine u. dieß soll nach seiner Behauptung nicht nur dem Ton schaden sondern auch die Decke des Instrumentes ruiniren. Jetzt steht eine neue Stimme darin u der Ton ist7 ganz göttlich! – Ich spiele hier sehr viel, werde Anfang November Konzert geben, gleich darauf meine Schwester Sengstack in Bremen besuchen u.8 auch dort Konzert geben, auch bin ich engagirt hier den 15 November im Harmoniekonzert für Honorar zu spielen. Von der Begleitung Ihrer Irländer Variationen hab ich einen Klavierauszug gemacht u. spiele sie jetzt oft mit Wilhelm meiner Mutter vor, die sowie auch Julie ganz verliebt in diese Komposizion ist. Der arme B. Romberg ist leider mit seinem neuen Hause betrogen, denn es ist im Innern halb vermodert. Ich habe schon mehreres mit ihm gespielt.
Nach 1000 Grüßen an Ihre Frau u. Kinder von Ihrem Sie innig liebenden Eduard G.

NS. Mutter u. Julie rufen mir noch die herzlichsten Grüße an Sie, Ihre Frau, an Emilie u. Ida zu u. wünschen sehnlichst Sie alle recht bald in Hamburg zu sehen. –



Der letzte erhaltene Brief in der Korrespondenz mit Eduard Grund ist Eduard Grund an Spohr, 16.06.1822, der nächste erhaltene Brief Eduard Grund an Spohr, 20.06.1823.

[1] Christiane Eleonore Grund.

[2] Julie, später verh. Schmilinsky.

[3] Ferdinand Grund.

[4] „vorzüglichsten“ über der Zeile eingefügt.

[5] Hier gestrichen: „Spi“

[6] Christian Friedrich Gottlieb Schwencke starb am 28.10.1822.

[7] Hier gestrichen: „jetzt“.

[8] „u.“ über der Zeile eingefügt.

Kommentar und Verschlagwortung, soweit in den Anmerkungen nicht anders angegeben: Karl Traugott Goldbach (25.05.2022).